Lutherorte

Reformation

Foto und Copyright: Andreas Schoelzel

Lutherorte

Reformation

»Schick dich in die Welt hinein, denn dein Kopf ist viel zu klein, dass da passt die Welt hinein« – auch ohne Auto, Eisenbahn und Flugzeug war Martin Luther zu Lebzeiten viel unterwegs – weil es sein Lebensweg so verlangte und Diskussion und Disputation über Wohl und Wehe des Glaubens und der Zeit ihn an die verschiedensten Orte riefen.

Zwischen seiner Geburtsstadt Eisleben, die auch Ort seines Sterbens wurde, und dem legendären Aufenthalt auf der Wartburg bei Eisenach, auf der Luther das Neue Testament übersetzte, zwischen Erfurt, wo er als Bettelmönch des Augustinerordens Theologie studierte, und Torgau, wo er mit seinem musikalischen Freund Johann Walter den Grundstein für das heutige Evangelische Gesangbuch legte, liegen viele Orte, in denen Luther für kurz oder lang zu Gast war. Nürnberg gehört dazu ebenso wie Leipzig und Augsburg … und natürlich Wittenberg. Als »Lutherland« im unmittelbar biografischen Sinne stehen heute die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Hier finden sich viele Städte, in deren Kirchen Martin Luther gepredigt, in deren Häusern und Schänken Martin Luther mit Freunden und Sympathisanten diskutiert und übernachtet hat und Plätze, auf denen es zu Treffen und Disputationen kam.

Darüber hinaus weitet sich der Horizont mit den Aktivitäten des Reformators. In Heidelberg beispielsweise konnte Martin Luther 1518 erstmals seine Thesen diskutieren. In der dortigen Heiliggeistkirche kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten. In Worms stand Martin Luther Kaiser und Reichstag Rede und Antwort. Das wurde zum Wendepunkt der Kirchengeschichte. Denn der Versuch, hier der Reformation wirksam Einhalt zu gebieten, misslang. 1529 kam der nach Papst und Kaiser inzwischen bekannteste Mann Europas nach Marburg an die Lahn und nahm auf Wunsch des hessischen Landgrafen Philipp am Marburger Religionsgespräch mit dem Zürcher Reformator und Theologen Huldrych Zwingli teil. Aber eine Einigung scheiterte. Als Martin Luther 1530 vogelfrei während des Augsburger Reichstages auf der Veste Coburg ausharren musste, diskutierte er hier öfter mit Freunden aus Nürnberg und der mutigen Reformatorin Argula von Grumbach (1492–1568), Mutter von vier Kindern und überzeugte protestantischen Laien-Theologin, deren Grab noch heute bei der evangelisch-lutherischen Pfarrkirche St. Sigismund im unterfränkischen Zeilitzheim zu finden ist.

Einige der wichtigsten Luther-Orte werden hier kurz vorgestellt.

A

Die Wettiner Kurfürsten hatten neben Weimar eine zweite Thüringer Residenz in Altenburg. Als engster Vertrauter, Sekretär und Beichtvater Friedrichs des Weisen (= Friedrich III., Kurfürst von Sachsen, 1463–1525) hatte Georg Spalatin (1484–1545) von hier jahrelang zwischen dem Kurfürsten und Luther vermittelt. 1519 traf er hier im Auftrag des Kurfürsten den päpstlichen Legaten Karl von Miltitz (um 1490–1529) und verhandelte das »Altenburger Schweigeabkommen«, das als letzter Versuch einer gütlichen Einigung gilt.

1523 traute Martin Luther den ehemaligen Generalvikar der Augustiner, Wenzelslaus Link, in der Altenburger Bartholomäikirche. Die dreischiffige, sechsjochige Hallenkirche mit einem 5/12-Chorpolygon zwischen unregelmäßigen Seitenschiffsabschlüssen wurde 2011 mit dem Siegel des Europäischen Kulturerbes ausgezeichnet. Nach dem Tode des Kurfüsten übernahm Georg Spalatin 1525 die Altenburger Pfarrstelle, ab 1528 dann die Superintendentur und setzte Luthers Reformation in Altenburg um. Luther besuchte ihn und die Stadt mehrfach und blieb bis zu seinem Tod 1545 in engem Briefkontakt mit ihm.

Wie eine »Schüssel gesottener Krebse mit Petersilie garniert« – so hatte die Thüringische Stadt Arnstadt an der Gera, eine der ältesten Städte Mitteldeutschlands, mit ihren üppig umgrünten krebsroten Dächern auf den Augustinermönch Martin Luther gewirkt, als er 1506 anlässlich eines Augustinerkapitels im Arnstädter Franziskanerkloster weilte. Andere nannten sie – bis heute! – das »Tor zum Thüringer Wald«. Denn in der Handelsstadt Arnstadt, die es als Umschlagplatz für Holz und Getreide sowie mit einer einträglichen Weinwirtschaft zu Wohlstand gebracht hatte, wurden seit dem Mittelalter Handelskonvois auf dem Weg in den Thüringer Wald ausgestattet. Als Luther 1537 auf der Durchreise nach Schmalkalden zur Zusammenkunft des gleichnamigen protestantischen Militärbündnisses ein zweites Mal in der Stadt übernachtete, war die Stadt bereits seit sechs Jahren in protestantischer Hand und hatte bereits ihre Schattenseite kennengelernt: 1525 – vier Jahre, nachdem der Eislebener Prediger und Augustinerprior Caspar Güttel (1471–1542) auf dem Marktplatz der Stadt erstmals reformatorisch gepredigt hatte – hatte die Stadt im Zuge des Bauernkrieges vor einem 8000-köpfigen Bauernhaufen kapituliert – und nach der späteren Niederlage der Bauern in Frankenhausen eine empfindliche Geldbuße einstecken müssen. Gleichwohl hielt die Reformation 1531 offiziell Einzug in Arnstadt, wo sieben Jahre später auch die Klöster säkularisiert wurden: das Benediktinerkloster und das Franziskanerkloster, dessen Klosterkirche in der Folge zur Arnstädter Hauptkirche, der »Oberkirche«, wurde. Ihre Sakristei erhielt 1589 eine eigene Bibliothek, die bis heute wertvolle Lutherschriften führt.

Mit der »Confessio Augustana« von 1530 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 kommt der Reichstadt nicht zentrale Bedeutung für die lutherische Reformation zu – in Augsburg wurde mit diesen Ereignissen Weltgeschichte geschrieben. Martin Luther weilte nur zweimal – 1511 und 1518 – in der bayerischen Metropole, wobei der letzte Aufenthalt bereits unmittelbar in die Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen religiösen Auffassungen führte: Kardinal Cajetan verhörte Luther, wobei dieser standhaft blieb und die Unterordnung aller kirchlicher Autoritäten unter die Bibel forderte.

Der Reichstag zu Augsburg, der am 20. Juni 1530 von Kaiser Karl V. eröffnet wurde, stand im Zeichen der konfessionellen Differenzen zwischen den »Altgläubigen«, den Lutheranern und anderen reformatorischen Bestrebungen. Aus Sicherheitsgründen war Luther nicht persönlich in Augsburg anwesend, stand aber – sich in Coburg aufhaltend – in engstem brieflichem Kontakt mit Philipp Melanchthon und dessen Mitstreitern. Dabei gelang es den lutherischen Theologen das Augsburger Bekenntnis öffentlich am 25. Juni vor dem Kaiser zu verlesen, woraufhin dieser die katholische Antwort „Confutatio pontificia“ (Konfutation) verlas. Zu einer Einigung kam es 1530 jedoch nicht.

Erst ein Vierteljahrhundert später und neun Jahre nach Luthers Tod wurde auf dem von König Ferdinand I. am 5. Februar 1555 eröffneten Augsburger Reichstag der Religionsfrieden auf der Grundlage der Confessio Augustana erreicht. Bis heute ist dies die Grundlage der Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche.

B

Mit der thüringischen Saline-Kurstadt Bad Frankenhausen (bis 1818 Frankenhausen) am Südhang des Kyffhäusergebirges verbindet sich eines der blutigsten Kapitel der Reformationsgeschichte: die sogenannte »Schlacht bei Frankenhausen«, in deren Verlauf am 15. Mai 1525 etwa 6000 aufständische Bauern unter der Führung des Radikalreformators Thomas Müntzer (1489–1525) im Kampf mit hessisch-braunschweigischen Fürstentruppen ihr Leben ließen und die sogenannten deutschen Bauernkriege endgültig ihr Ende fanden.

Frankenhausen war wenige Tage zuvor, Ende April 1525, zu einem Zentrum der seit 1524 vielerorts stattfindenden Bauernerhebungen geworden – nicht zuletzt, weil der im nahe gelegenen Mühlhausen weilende Radikalreformator Thomas Müntzer den Frankenhausener Bauern, Handwerkern und Kleinbürgern, die mit ihrem Aufruhr in Müntzers Sinn für weniger Steuern und Feudalabgaben und mehr politische Mitbestimmung sowie ein frei gepredigtes Evangelium stritten, seine Unterstützung zugesagt hatte und am 11. Mai 1525 tatsächlich in Frankenhausen erschienen war – nicht wie angekündigt mit 10 000, aber doch mit 300 Getreuen, mit denen er den städtischen Aufstand, der bereits am 29. April mit der Stürmung von Rathaus, Schloss und Klöstern begonnen und zur Kapitulation der Schwarzburger und Stolberger Grafen geführt hatte, noch schürte und bereits laufende Friedensverhandlungen unterband – wie sich herausstellen sollte zur Unzeit: Denn mittlerweile hatten sich hessische und braunschweigische Truppen gegen die Bauern verbündet und waren in Richtung Frankenhausen gezogen. Der anfängliche Triumph der militärisch hoffnungslos unterlegenen Aufständischen, die die ersten drei Angriffswellen der Fürstentruppen am 14. Mai 1525 noch erfolgreich abwehren konnten, sollte sich bereits einen Tag später in eine bittere Niederlage verwandeln, als die vereinten Fürstentruppen am Nachmittag des 15. Mai die Wagenburg der Aufständischen auf dem seither sogenannten »Schlachtberg« mit einem Überraschungsangriff einnahmen.

Über 6000 Bauern verloren an diesem Tag ihr Leben oder wurden in den folgenden Tagen hingerichtet – darunter auch ihr Anführer Thomas Müntzer, der sich zunächst verstecken konnte, dann aber doch gefunden und im fürstlichen Feldlager bei Mühlhausen hingerichtet wurde. Heute erinnert das von 1976 bis 1987 durch den Leipziger Maler Werner Tübke (1929–2004) geschaffene 1.722 Quadratmeter große Panoramagemälde »Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland« in einem eigens dafür errichteten Rundbau auf dem Schlachtberg an dieses Ereignis.

C

Als Kaiser Karl V. 1530 die protestantischen Parteien zum Reichstag nach Augsburg einberief, um die konfessionellen Differenzen zwischen Neu- und Altgläubigen zu diskutieren und möglichst im Sinne der altgläubigen Positionen beizulegen, konnte Martin Luther selbst nicht teilnehmen. Denn Luther stand seit dem Wormser Reichstag 1521 »unter Acht und Bann« und hätte bei Ankunft in Augsburg seiner sicheren Verhaftung entgegengesehen. Entsprechend brauchte es einen sicheren und möglichst nahe gelegenen Aufenthaltsort für den Reformator, der sich auf dem Reichstag unter anderem von seinem Freund und Mitstreiter Philipp Melanchthon vertreten ließ.

Nürnberg hätte sich als protestantische Reichsstadt dafür geeignet. Doch da die Nürnberger den Groll des Kaisers fürchteten, bot sich Coburg an. 1056 erstmals urkundlich erwähnt und 1331 zur Stadt promoviert, war Coburg 1485 unter sächsische, das heisst protestantische, Hoheit gelangt und hatte 1524 die Reformation eingeführt – ein geeigneter Ort für Luther, um dem Reichstag in hinreichender Nähe, aber auf sicherem Territorium beizuwohnen, zumal Coburgs »Veste« (=Burg) als uneinnehmbar bekannt war. »Endlich sind wir auf unserem Sinai angekommen, mein lieber Philipp, aber wir wollen einen Zion aus diesem Sinai machen, und wollen drei Hütten bauen, dem Psalter eine, den Propheten eine und dem Äsop eine.«, schrieb Luther über seinen Aufenthaltsort an Melanchthon, der ihn während der Verhandlungen über die Ereignisse auf dem Reichstag informierte.

Fünf Monate sollte Luther ab April 1530 auf der Veste verbringen, während denen er an seiner Bibelübersetzung arbeitete und zahlreiche Predigten, Briefe und Schriften – darunter den »Sendbrief vom Dolmetschen« über die Grundsätze seiner Übersetzungsarbeit – verfasste. Ob Luther sein berühmtes Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« ebenfalls auf der ähnlich lautenden »Veste« gedichtet hat, ist – wenn auch sein Notentext vermutlich dort entstanden ist – nicht erwiesen. Heute erinnern die Lutherkapelle, zwei Lutherzimmer und ein Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. an das Leben und Schaffen des Reformators in Coburg.

D

Noch im ersten Jahrzehnt der Reformation wäre vermutlich niemand auf die Idee gekommen, die anhaltinische Residenzstadt Dessau an der Mulde mit der reformatorischen Bewegung zu verbinden. Eher schon mit dem sogenannten »Dessauer Bund«, einem antiprotestantischen Fürstenbündnis, das sich 1525 im Dessauer Schloss, der Residenz der tief katholischen Fürstenwitwe Margarethe von Münsterberg, unter dem Eindruck der Bauernkriege als katholisches Schutzbündnis konstituierte. Und doch, das Blatt sollte sich wenden, als Margarethes Sohn, Georg III., ein langjähriger Freund Luthers, nach dem Tod seiner Mutter das Fürstenamt übernahm. Nun stand die Stadt offen für den Reformator, der, nachdem 1534 die Reformation in Dessau Einzug gehalten hatte, regelmäßig in der Dessauer Marienkirche predigte und 1545 – kurz vor seinem Tod – Georg III. zum ersten und einzigen protestantischen Bischof, der zugleich auch Landesherr war, weihte. Der dankte es ihm, indem er nach dem Tod Luthers, hunderte Briefe und das Manuskript von Luthers Übersetzung des Alten Testaments in einer Sammlung zusammenfasste, die heute noch als »Georgsbibliothek« als Teil der Anhaltinischen Landesbücherei Dessau zugänglich ist. Heute ist die Stadt Dessau, die 1213 erstmals urkundlich erwähnt wurde und im 18. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum der Aufklärung war (vgl. u.a. die klassizistische Anlage des »Wörlitzer Gartenreichs«), insbesondere durch das Dessauer Bauhaus bekannt – jene 1919 in Weimar gegründete stilprägende Architektur- und Designschule, die sich 1925/26 in Dessau ansiedelte.

Lange Zeit hatte die Reformation in der sächsischen Residenzstadt Dresden keine Chance. Denn in Dresden, seit 1485 prunkvolle Residenz der sächsischen Herzöge an der Elbe, residierte Herzog Georg von Sachsen (1471–1539), seines Zeichens erbitterter Gegner der Reformation. Kein Wunder, dass es ihn wenig erfreute, dass der Jungreformator Martin Luther – nach einem ersten Besuch in Dresden 1516 noch als Augustinermönch – am 25. Juli 1518 ausgerechnet in seiner Schlosskapelle und auf Einladung seines Hofkaplans Hieronymus Emser (1478–1527) gegen die katholische Lehre predigte. Und wenig verwunderlich, dass sich Georg mit Leibeskräften gegen die Sympathien zur Wehr setzte, welche die reformatorische Bewegung seit Luthers Wormser Auftritt 1521 auch in der Dresdner Bevölkerung genoss. Immerhin konnte sich Georg auf die Unterstützung seines Kaplans Hieronymus Emser verlassen, der sich nach Luthers Predigt 1518 mit Luther in einem Disput über Jan Hus (1369–1415) überworfen hatte und seither mit diesem in einer literarischen Fehde begriffen war. Und immerhin wusste Georg eine starke und stärker werdende antireformatorische Druckindustrie in seinem Rücken, mit der er Stimmung gegen Wittenberg machen konnte.

Doch am Ende half auch die von Georg mit propagierte (und von Luther als Teufelswerk kritisierte) päpstliche Heiligsprechung Bischof Bennos von Meißen (1010–1106) 1523 als Balsam katholischer Seelen nichts: Nur vier Tage nach Georgs Tod am 21. April 1539 trat Herzog Heinrich der Fromme (1473–1541) Georgs Nachfolge an – ein Anhänger der Reformation, die bereits am 6. Juli 1539 in der Dresdner Kreuzkirche ausgerufen wurde.

E

Die thüringische Stadt ist ganz eng mit der lutherischen Reformation verbunden, da er hier fast ein Jahr lang 1521/22 auf der Wartburg versteckt gehalten wurde und das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Vorausgegangen war der Reichstag zu Worms, auf dem Luther am 17./18. April 1521 letztmalig zum Widerruf aufgefordert wurde. Da dieser nicht erfolgte, wurde Luther mit dem „Wormser Edikt“ Kaiser Karls V. für vogelfrei erklärt, womit das Leben des Reformators unmittelbar bedroht war. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise ließ ihn deswegen heimlich entführen und auf die Wartburg bringen, wo er als Junker Jörg die folgenden Monate verbrachte.

Eisenach ist darüber hinaus mehrfach mit dem Lebens Luthers verbunden: Der 1483 in Eisleben geborene Martin besuchte 1498 bis 1501 die Eisenacher Georgenschule, wo er vornehmlich in Latein unterrichtet wurde. Luther erinnerte sich später gern an Eisenach, das er „meine liebe Stadt“ nannte. Auch später besuchte er die Kommune noch mehrfach und predigte hier.

Eisenach ist auch die Stadt des bedeutendsten Komponisten des Barock und überzeugten Lutheraners Johann Sebastian Bach. Der für seine großen Passionen, die h-moll-Messe, das Weihnachtsoratorium, unzählige Kantaten und Orchestermusiken wie die „Brandenburgischen Konzerte“ oder „Das wohltemperierte Klavier“ berühmte Komponist wurde am 21. März 1685 als Sohn des Stadtpfeiffers Johann Ambrosius Bach in Eisenach geboren. Er wurde in der Georgenkirche getauft, war Mitglied der Eisenacher Kurrende und besuchte bis zum Tod seiner Eltern 1694/95 die Lateinschule des Ortes.

Die im Süden des Bundeslandes Sachsen-Anhalt gelegene Lutherstadt Eisleben ist sowohl der Geburts- als auch der Sterbeort Martin Luthers. Hier kam der Reformator am 10. November 1483 als Sohn des Bergbauunternehmers Hans Luther und dessen Frau Margarethe zur Welt. Im Zusammenhang mit einem von Luther zu schlichtenden Erbstreit der Mansfelder Grafen hatte der Reformator im Januar 1546 seinen Aufenthalt in Eisleben genommen, wo er am 18. Februar starb.

Darüber hinaus hatte Luther als Distriktsvikar des Augustinerordens oft dienstliche Obliegenheiten in Eisleben zu erfüllen und unter seiner Einflussnahme wurde die Annenkirche (Eisleber Neustadt) zu einer evangelischen Kirche. In der Stadtkirche St. Andreas predigte Luther mehrfach, so auch kurz vor seinem Tod.

Während das Anwesen der Familie Luther und damit auch das Geburtshaus des Reformators immer richtig identifiziert worden war (heute Lutherstraße 16) und bei bauarchäologischen Untersuchungen von Andreas Stahl kürzlich belegt werden konnte, dass nach einem Brand 1689 und vielen Umbauten erheblich mehr Bausubstanz aus dem 15./16. Jh. erhalten geblieben ist als zu vermuten war, so wurde das Sterbehaus Martin Luthers erst kürzlich durch denselben Bauforscher richtig identifiziert. Es handelt sich nicht um die Luthergedenkstätte Andreaskirchplatz 9 sondern vielmehr um ein nicht erhaltenes Haus auf dem Grundstück Markt 56, wo sich seit etwa 1570 ein neues Renaissancehaus befindet.

(Luther in Mansfeld. Forschungen am Elternhaus des Reformators. = Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 6/2007; Historische Bauforschung in Sachsen-Anhalt. Petersberg 2007, S. 294–313)

Die heutige thüringische Landeshauptstadt ist eng mit dem Leben und Wirken Martin Luthers verbunden. An der hiesigen Universität immatrikulierte sich der spätere Reformator im Jahre 1501 und schloss sein Studium vier Jahre später als Magister artium ab. Am 17. Juli 1505 trat Luther in das Erfurter Augustiner-Eremiten-Kloster ein und wurde am 4. April 1507 im Dom zum Priester geweiht. Hier wirkte er bis zum Jahre 1508 sowie 1509–11, unterbrochen durch ein zweijähriges Studium in Wittenberg. Auch später weilte Martin Luther mehrfach in Erfurt.

Vor allem mit der Augustinerklosterkirche und Teilen der Klausur sowie dem Dom haben sich in Erfurt mehrere authentische Lutherorte erhalten. 1513 bekannte der Reformator: »Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.«

G

Die thüringische Stadt Gotha, 775 erstmals urkundlich erwähnt, im Mittelalter wichtiger Marktstandort und seit 1485 unter ernestinischer Hoheit, kam schon mit der Reformation in Berührung, bevor die Reformation überhaupt begonnen hatte: Bereits 1515 hatte Martin Luther, damals noch Augustinermönch, im Rahmen eines Augustinerkonvents kritisch über die Sitten seiner Mitbrüder gepredigt. 1521 – nachdem Luther in Wittenberg zum Reformator geworden war – predigte Luther auf der Durchreise zum Wormser Reichstag erneut in Gotha, wo kurz darauf die Ereignisse ihren Lauf nahmen: 1522 begann mit einer Predigt von Johann Langenhan in der Gothaer St. Margarethenkirche die reformatorische Bewegung, die sich 1524 mit dem sogenannten »Gothaer Pfaffensturm« derart erhitzte, dass Luther seinen Vertrauten, den ehemaligen Franziskanermönch Friedrich Myconius, auf eine Predigerstelle nach Gotha schickte, um die Verhältnisse zu ordnen. Die Mission gelang, indem Myconius im Augustinerkloster eine Schule einrichtete, Kirche und Schule mit einer neuen Ordnung versah und sich in Zeiten des Bauernkrieges gegen die radikalreformerischen Bestrebungen der Bauernschaft stellte.

Als Luther nach zwei weiteren Besuchen auf der Durchreise zum Marburger Religionsgespräch im Jahre 1529, 1537 ein vorletztes Mal in die nunmehr protestantische Stadt Gotha kam, war er schwer mit einer Nierenkolik erkrankt und diktierte – sich dem Tode nahe wähnend – seinem Begleiter Johannes Bugenhagen in seinem ersten Testament, dass er in Gotha begraben werden wolle. Dass es nicht dazu kam und Luther seinem Freund Myconius 1540 einen letzten Besuch abstatten konnte, verdankte Luther dem Gothaer Arzt Dr. Sturtz – und der Legende nach dem Tambacher Quellwasser, das er auf dem Weg nach Gotha im nahe gelegenen Tambach-Dietharz zu sich genommen haben soll.

Es war – nach Luthers fingierter Gefangennahme auf dem Rückweg vom Wormser Reichstag 1521 – eine der spektakulärsten und wohl auch folgenreichsten Entführungen der Reformationsgeschichte: Die Flucht der Nonnen des Nimbschener Zisterzienserinnenklosters Marienthron zu Ostern 1523 nach Wittenberg – versteckt in einem Fuhrwerk hinter einer Reihe von Heringsfässern. Kein geringerer als der Reformator Martin Luther selbst hatte diese verwegene Rettungsaktion ersonnen und den Torgauer Ratsherrn Leonhard Koppe mit der Ausführung beauftragt. Luther reagierte auf einen persönlich an ihn adressierten Hilferuf der Nonnen, die sich schon früh mit den ordenskritischen Schriften des Reformators auseinandergesetzt hatten – und ahnte nicht, dass er sich damit zugleich auch seine zukünftige Ehefrau nach Wittenberg holen würde. Denn hinter den Fässern war auch die junge Nonne Katharina von Bora (1499-1552) versteckt, die Luther wenige Jahre später (13. Juni 1525) unter großem öffentlichen Aufsehen in Wittenberg heiraten sollte. Die spektakuläre Flucht gehörte zu den unmittelbaren Nebenwirkungen der Reformation, die Luther ein Jahr vor seiner berühmten Thesenveröffentlichung bei seinem ersten Besuch im Grimmaer Augustinerkloster 1516 anlässlich des Tetzelschen Ablasshandels gegenüber Mitbrüdern angekündigt haben soll. Grimma hätte es also wissen können. Und gehörte in der Folge tatsächlich zu denjenigen Städten, die sich der Reformation frühzeitig – wohl schon um 1519 – anschlossen und in der seit 1523 auch reformatorische Schriften gedruckt wurden. Neunmal sollte Luther noch durch die wohlhabende Handelsstadt an der Mulde südöstlich von Leipzig kommen, in der 1550 (nach Meißen und Pforta) in den Räumen des ehemaligen Augustinerklosters die dritte Landes- und Fürstenschule eingerichtet wurde.

H

Am 31. Oktober 1517 verließ ein geharnischter Brief des Wittenberger Universitätsprofessors Martin Luther Wittenberg in Richtung der sächsischen Handelsstadt Halle. Der Adressat: Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490–1545), als Erzbischof von Magdeburg und Mainz einer der einflussreichsten kirchlichen Würdenträger des deutsch-römischen Kaiserreiches. Beiliegend: 95 Thesen gegen die Praxis des käuflichen Heils – genannt »Ablass« – der katholischen Kirche. Albrecht hatte sie seit Juni 1517 durch seinen Ablassbeauftragten Johann Tetzel (1460–1519) noch einmal kräftig ankurbeln lassen: Sein exorbitanter Lebensstil, seine Leidenschaft für teure Reliquienschätze, der Ausbau seiner neuen Residenzstadt Halle seit 1514 und nicht zuletzt seine Promotion zum Erzbischof von Mainz 1515 waren ins Geld gegangen – so sehr, dass sich die entstandenen Pflichten gegenüber dem Bankhaus Fugger nur noch mit einer neuerlichen Ablasskampagne bedienen ließen – mit den bekannten Folgen: Luther protestierte und die Reformation nahm ihren Lauf. Nur in Halle selbst sollte es noch über 20 Jahre dauern. Erst als es Albrecht 1541 in Halle mit den Abgaben übertrieb und auf Druck der Bürgerschaft die Stadt gen Mainz verlassen musste, konnte die Reformation auch in Halle Fuß fassen: Justus Jonas (1493-1555), langjähriger Vertrauter Luthers und späterer Superintendent Halles, war es, der noch im selben Jahr die erste reformatorische Predigt in der gerade erst von Albrecht umgebauten Marktkirche hielt. 1545 war es dann Luther selbst, dem die Marktkirche gleich mehrmals zur Predigtstätte wurde. Es sollte zugleich seine vorletzte Ruhestätte werden: Denn nachdem Martin Luther am 18. Februar 1546 in seiner Heimatstadt Eisleben verstorben war, wurde er auf dem Rückweg nach Wittenberg vom 20. auf den 21. Februar in der Hallenser Marktkirche aufgebahrt. Noch heute sind Totenmaske und Handabgüsse des Reformators von Wilhelm Furtenagel in der Krypta der Marktkirche zu sehen.

Nur ein Jahr nachdem Martin Luther 1517 seine berühmten 95 Thesen zum (Miss)Brauch des Ablasswesens in Wittenberg veröffentlicht hatte, wurde Luther auf Initiative Roms durch den Heidelberger Augustinerorden zur Diskussion seiner Thesen nach Heidelberg eingeladen. Die bedeutende kurpfälzische Residenz- und Universitätsstadt am Neckar, erstmals 1196 schriftlich erwähnt, war seit Gründung der Ruprecht Karls Universität 1381 durch Kurfürst Ruprecht I. zu einem bedeutenden Zentrum des Humanismus geworden.

Nun sollte sie außerdem zu einem Meilenstein der Reformationsgeschichte werden. Nicht nur, weil es sich bei der sogenannten »Heidelberger Disputation« um die erste öffentliche Diskussion von Luthers Thesen handelte. Sondern vor allem, weil sie für einige ihrer Hörer – insbesondere für die jüngeren Reformatoren Martin Bucer und Johannes Brenz – geradezu zu einem reformatorischen Erweckungserlebnis wurde und somit in den Folgejahren eine außerordentliche Breitenwirkung entwickelte. In Heidelberg selbst blieben die Dinge in Konfessionsfragen hingegen noch beinahe vierzig Jahre beim Alten und reformatorische Gottesdienste lediglich geduldet. Erst Kurfürst Ottheinrich bekannte sich 1556 – nachdem zuvor Kurfürst Friedrich II. 1545 mit einem ersten Versuch am Widerstand des Kaisers gescheitert war – mit einer neuen Kirchenordnung zum Protestantismus, der sich seit Ottheinrichs Nachfolger, Kurfürst Friedrich III. (1559-1576), – und nur mit einer kurzen lutherischen Unterbrechung – in seiner calvinistischen Prägung etablieren und Heidelberg ob seiner starken Ausstrahlungskraft als reformiertes Zentrum geradezu als »Drittes Genf« bekannt machen sollte.

Der 1563 auf Initiative von Kurfürst Friedrich III. in Heidelberg als Lehr- und Unterrichtsbuch für die reformierte Landeskirche der Kurpfalz erschienene sogenannte »Heidelberger Katechismus« ist mit seinen 129 Fragen und Antworten zum refomierten Glauben bis heute zentrales Lehr- und Bekenntnisbuch der gesamten reformierten Kirche geblieben.

J

Als Martin Luther im März 1521 zum ersten Mal die Thüringische Stadt Jena an der Saale besuchte, kam er nicht als Martin Luther, sondern als Junker Jörg: Dem Exilierten war es nach seiner Bannung auf dem Wormser Reichstag 1521 in seinem Eisenacher Versteck auf der Wartburg zu lang geworden und war unter falschem Namen und verändertem Aussehen inkognito durchs Thüringer Land gestreift.

Ein Jahr später – im August 1522 – waren es dringlichere Gründe, die Luther – noch immer als Junker Jörg – nach Jena führten: Luther befand sich auf dem Weg von Eisenach nach Wittenberg, wo sein ehemaliger Universitätskollege und Mitstreiter Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (1486–1541), während Luthers Abwesenheit die reformatorische Sache derart weit über Luthers Ansichten hinausgetrieben hatte, dass sich Luther zum Eingreifen genötigt sah.

Nur zwei Jahre später sollten sich die beiden in Jena wiedersehen. Denn Karlstadt hatte nach Luthers Intervention 1523 Wittenberg verlassen müssen und eine Pfarrstelle in Orlamünde nahe Jena angenommen, von wo aus er über seinen Schwager, den Juristen Gerhard Westerburg 1490–1558), und dessen theologischem Kompagnon, Martin Reinhardt, indirekt auch in Jena wirkte. Als dort infolge einer Predigt Reinhardts 1524 aufgebrachte Bürger die Klöster Jenas stürmten, sah sich Luther erneut genötigt, einzugreifen: Ganze 90 Minuten soll Luther von der Kanzel der überfüllten Jenaer Stadtkirche St. Michaelis gegen Karlstadt und seine Verbündeten gewettert haben – während Karlstadt, versteckt unter einem Filzhut, unter der Kanzel stand. Auch das anschließende Gespräch zwischen den beiden konnte nicht verhindern, dass Reinhardt und Westerburg im Oktober 1524 die Stadt verlassen mussten und der Luthervertraute Anton Musa (1485–1547) von nun an die geistlichen Geschäfte in Jena in die Hände nahm – keine einfache Aufgabe: Denn die Stimmung war nach wie vor aufgeheizt und die Bauernaufstände zogen durchs Land.

Erst nachdem 1525 einige der Aufständigen auf dem Jenaer Markplatz hingerichtet worden waren und Luther im Mai 1525 ein weiteres Mal gegen den Aufruhr gepredigt hatte, kehrte wieder Ruhe in jene Stadt ein, die Luther in den folgenden Jahren noch mehrmals auf der Durchreise unter anderem nach Augsburg (1530) und Schmalkalden (1537) besuchen sollte und die nach Luthers Tod zu einem der Geisteszentren der Reformation werden sollte: Nachdem die protestantische Seite im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 die Universität Wittenberg verloren hatte, ließ Kurfürst Johann Friedrich (genannt »Hanfried«: 1503–1554) 1548 im ehemaligen Dominikanerkloster der Stadt eine Ersatzschule, die »Hohe Schule«, einrichten, die 1558 durch den Habsburger Kaiser Ferdinand I. (1503–1564) zur Universität Jena promoviert wurde. Dort wirkte seit 1553 auch Georg Rörer (1492–1557), der Sekretär und Editor Luthers, dessen handschriftliche Notizen zum Wittenberger Thesenanschlag 2006 für eine breite Diskussion über die Historizität des Thesenanschlags sorgten.

L

Martin Luther weilte wenigstens siebzehnmal in der Stadt an Pleiße und Weißer Elster, die bereits im 15. und 16. Jahrhundert für das geistige und wirtschaftliche Leben in Kursachsen von herausragender Bedeutung war.

Als wichtigsten Aufenthalt Martin Luthers verzeichnen die Stadtschreiber seine Teilnahme an der Leipziger Disputation, die im Sommer 1519 in der Pleißenburg stattfand, auf deren Grundmauern sich heute das Neue Rathaus der Stadt befindet. Luther Erleben, dass die vom Leipziger Dominikaner Johann Tetzel (1460–1519) teuer ausgelobten Ablassschreiben attraktiver als die im Gebet reuig errungene Gnade vor Gott war, ließ ihn die 95 Thesen verfassen, mit denen er zu einer wissenschaftlichen Disputation über den Ablass aufforderte. Gegen den Willen der Leipziger Theologische Fakultät und der ganzen Universität erzwang Herzog Georg (der Bärtige) von Sachsen (1471–1539) eine Disputation zwischen Luther und dem Ingolstädter Theologieprofessor Johannes Eck (1486–1543). Am 29. Juni 1519 predigte Luther außerdem in der Hofstube der Pleißenburg.

Im Wohnhaus des Druckers Melchior Lotter des Älteren (1470–1549), der Luthers 95 Thesen und den »Sermon von dem Ablass und der Gnade« druckte, wohnten Martin Luther und Philipp Melanchthon während der Tage der Disputation. Als berühmte Buch- und Verlagsstadt war Leipzig für den Fortgang und die Manifestierung der Reformation von herausragender Bedeutung. Von hier wurden Luthers Schriften und die ersten evangelischen Gesangsbücher auflagenstark verbreitet. Allein Melchior Lotter veröffentlichte zwischen 1517 und 1520 über 40 Werke des Reformators.

Nach dem Tod Herzog Georgs des Bärtigen wurde zum Pfingstfest 1539 die Reformation in Leipzig eingeführt. Am 12. August 1545 weihte Luther die alte Dominikanerklosterkirche St. Pauli als evangelische Universitätskirche ein.

Für die Nikolaikirche wurde 1521 eine spätgotische Kanzel geschaffen, die »Luther-Kanzel« genannt wird, obwohl der Reformator vermutlich nie von ihr gepredigt hat. Der Name soll den Geist, der von den Reden dieser Kanzel ausgeht, charakterisieren.

Den engsten Bezug zu Martin Luther hat in Leipzig die Thomaskirche. Hier wurde 1212 der Thomanerchor gegründet. Im Laufe der Geschichte bekleideten immer wieder bedeutende Komponisten und ausübende Musiker das angesehene Amt des Thomaskantors – vor Johann Sebastian Bach (1685–1750) unter anderem Sethus Calvisius (1556–1615, Schöpfer von »Mein schönste Zier und Kleinod«) oder Johann Hermann Schein (1586–1630). Am 27. Juni 1519 begann die Leipziger Disputation hier mit einem Gottesdienst, an dessen Gestaltung die Thomaner unter ihrem damaligen Kantor (und Buchdrucker) Georg Rhau (1488–1548) mitwirkten. An dieser Kirche führte Luther schließlich auch am Pfingstsonntag, 25. Mai 1539, die Reformation in Leipzig ein. Eine Bronzetafel erinnert heute an dieses Ereignis. Im Gefolge der Reformation erhielt die Thomaskirche ihr heutiges Aussehen. Beim Umbau der Kirche Ende des 19. Jahrhunderts wurden in der Südwand farbige Glasfenster eingefügt. Eines davon zeigt Martin Luther.

Was tun mit verwaisten Klöstern und arbeits- und wohnungslosen Nonnen und Mönchen? – Diese Frage stellten sich Stadtrat und Kirchenobere im Jahre 1520, ein Jahr nachdem die Reformation eingeführt worden war, in der südöstlich von Leipzig gelegenen sächsischen Stadt Leisnig an der Mulde. Und die Frage war berechtigt: Denn im Zuge der Reformation waren allerorts Klöster, Stifte und Bistümer aufgegeben und ihre Bewohner obdachlos geworden. Woher sollten diese Jungprotestanten nun ihr Auskommen haben? Und wer sollte die freigewordenen Immobilien verwalten? – Die Fragen waren grundsätzlich genug, um den Reformator höchst persönlich um Rat zu fragen. Und der kam. Zweimal: 1522 und 1523, und riet zur Verwaltung der betroffenen Immobilien durch die Obrigkeit und zur Einführung eines »gemeinen Kastens«, in dem die Erträge aus der Säkularisierung von Klöstern, Bistümern, Stiften oder Kapiteln gesammelt und zur Versorgung infolge der Säkularisation mittellos gewordener Geistlicher sowie zur Einrichtung von u.a. Schulen herangezogen werden sollten. Die dazugehörige schriftliche Verordnung mit einem Vorwort Luthers sollte als sogenannte »Leisniger Kastenordnung« das erste Sozialwort der protestantischen Kirche werden, das die sozialen Folgen der reformationsbedingten Umstrukturierungen des geistlichen Berufsstandes weitgehend abfedern sollte. Eine Kopie der Ordnung findet sich noch heute im Eingangsbereich der Leisniger Stadtkirche St. Matthäi, in der auch der »gemeine Kasten« selbst aufbewahrt wurde: mit 4 Schlössern versehen, zu denen die Vertreter der vier Stände jeweils einen Schlüssel hatten.

M

Martin Luther besuchte schon als Dreizehnjähriger 1497/98 die Domschule »Bruder vom gemeinsamen Leben« in Magdeburg. 1524 kam er auf Bitten des damaligen Bürgermeisters Nicolaus Sturm in die Stadt an der Elbe, um hier zu predigen. Wegen des großen Andrangs bei seiner Predigt in der Kirche des Augustinerklosters (der heutigen Wallonerkirche) am 24. Juni 1524 wurde sie zwei Tage später in der Johanniskirche wiederholt.

Wenige Wochen später, am 17. Juli des Jahres 1524, bekannten sich fast alle Kirchen der Stadt zu Luthers Lehre. Nur das Domkapitel mit der Stiftskirche St. Sebastian, St. Nicolai und St. Gangolphi sowie die Klöster der Franziskaner, Dominikaner und Prämonstratenser verwahrten sich gegen die Reformation. Magdeburg wurde ein Zentrum des Protestantismus und bekam den Beinamen »Unseres Herrgotts Kanzlei«. Im 30-jährigen Krieg wurde das der Stadt zum Verhängnis: Am 10. Mai 1631 wurde Magdeburg als feindliche protestantische Bastion nach monatelanger Belagerung von kaiserlichen Truppen unter Johann t‘Serclaes Graf von Tilly (1559–1632, seine Verteidigungsschanzen wurden auch Tillyschanzen genannt) und Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (1594–1632, in Friedrich Schillers Drama »Wallensteins Tod« mit Wallensteins Ausspruch »Daran erkenn‘ ich meine Pappenheimer« verewigt) völlig zerstört.

Heute erinnern vor allem die Wallonerkirche, die Johanniskirche und das Luther-Denkmal aus dem Jahr 1886 vor der Johanniskirche an Martin Luther.

Die Johanniskirche ist die älteste Magdeburger Pfarrkirche. 1131 wurde hier eine dreischiffige kreuzförmige Basilika im romanischen Stil errichtet. Die Geschichte der Kirche ist sehr wechselhaft. Bei verschiedenen Stadtbränden und der Zerstörung Magdeburgs 1631 wurde die Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen, aber immer wieder aufgebaut.

Die Wallonerkirche ist eine hochgotische, dreischiffige, mit sieben Jochen versehene, aus Bruchsteinen errichtete Hallenkirche im schlichten Erscheinungsbild der Kirchen der Bettelorden.

Für die Reformationsgeschichte ist die 1138 erstmals urkundlich erwähnte nordhessische Universitätsstadt Marburg die Stadt des »Marburger Religionsgespräches« und Geburtsstadt eines der wichtigsten politischen Führer der Reformation: Landgraf Philipp I. von Hessen. Philipp I., der 1518 nach dem frühen Tod des Vaters gerade einmal 13-jährig die Regentschaft übernommen, 1524 in Marburg die Reformation eingeführt und im Zuge dessen 1527 die erste protestantische Universität Deutschlands gegründet hatte, hatte 1529 – nachdem Kaiser Karl V. kurz zuvor das sogenannte Wormser Edikt gegen Luther und seine Anhänger bestätigt hatte – die protestantischen Parteien nach Marburg zu einer Aussprache geladen, um – auch aus politischem Kalkül – die bestehenden Differenzen zwischen Lutheranern und Schweizer Reformierten insbesondere in der Frage des Abendmahls zu schlichten. Der Versuch scheiterte – nicht zuletzt, weil sich Luther und Zwingli nicht auf ein gemeinsames Verständnis der Abendmahlsworte einigen konnten: Ob die Worte »Das ist mein Leib« nun auch wirklich, wie es Luther vorschwebte, »Das IST mein Leib«, oder, wie es Zwingli vorschwebte, »Marburger Artikel«), die dann auf Druck Philipps von Hessen doch noch zustande kamen. Dennoch: Zwischen Lutheranern und Schweizer Reformierten war nach diesem Gespräch (der Legende nach nicht nur symbolisch!) das Tischtuch zerschnitten. Mit beträchtlichen Folgen: Denn als sich 1531 das protestantische Militärbündnis »Schmalkaldischer Bund« konstituierte, blieben die Schweizer Reformierten außen vor – ein fehlender Bündnispartner, der insbesondere im bevorstehenden »Schmalkaldischen Krieg« (1546/47) hilfreich gewesen wäre.

Lange hatte sich die stolze Bischofs- und Hansestadt Merseburg an der Saale gegen die Reformation zur Wehr gesetzt: 880 erstmals urkundlich erwähnt und 930 zur Königspfalz promoviert, war sie seit 968 auf Initiative Ottos I. (912–973) Bischofssitz und – seit 1021 überragt vom mächtigen Dom St. Johannes der Täufer – eines der wichtigsten geistlichen Zentren Sachsens und Bollwerk der katholischen Tradition. Kein Wunder, dass sich Bischof Adolf von Anhalt (1458–1526) mit allen Mitteln gegen die reformatorische Bewegung zur Wehr setzte: 1520 ließ Adolf Lutherschriften verbrennen, 1522 verbot er die Lektüre von Luthers Bibelübersetzung – und bekam 1525 (ein Jahr vor seinem Tod) doch die Ausläufer der reformatorischen Bewegung zu spüren, als er im Zuge des Bauernkriegs 1525 kurzzeitig aus der Stadt vertrieben wurde. Dennoch blieb Merseburg nach Adolfs Tod (1526) auch unter seinen Nachfolgern katholisch, obwohl sich die reformatorische Sache in der Bevölkerung mehr und mehr ausbreitete und 1543 die erste evangelische Predigt in Merseburg gehalten wurde. Erst 1545 kam es zur entscheidenden Wende, als Kurfürst Georg III. von Dessau-Rosslau (1507–1553) im Merseburger Dom als erster weltlicher Regent auch die geistlichen Würden eines evangelischen Bischofs empfing – und zwar von Martin Luther höchst persönlich, der es sich nicht nehmen ließ, seinen langjährigen Freund selbst in sein Amt einzuführen und zu diesem Anlass im Merseburger Dom zu predigen.

Mühlhausen hat ihren Platz in der Reformationsgeschichte nicht etwa durch Martin Luther, der selbst nie in Mühlhausen war, sondern durch den Radikalreformator und Bauernführer Thomas Müntzer, der in Mühlhausen wirkte und schließlich dort hingerichtet wurde. 967 erstmals urkundlich erwähnt, entwickelte sich die strategisch günstig an wichtigen Handelswegen gelegene Stadt im Laufe des 13. Jahrhunderts zu einer florierenden Handelsstadt, die sich zwar trotz zweier Pestepidemien, einem verheerenden Feuer Ende des 15. Jahrhunderts und der Verlagerung des Handelsplatzes nach Naumburg und Leipzig als – nach Erfurt – bevölkerungsreichste Stadt Thüringens behaupten konnte, zugleich aber auch mit wachsenden sozialen und religiösen Ungleichgewichten zu kämpfen hatte: So hatte sich der Rat der Stadt Anfang des 16. Jahrhunderts in weitgehend selbst gewährten Privilegien eingerichtet, Rechtsprechung und Verwaltung lagen darnieder und die teils erheblichen Finanzabgaben an Klöster und Patrizier drückten die Landbevölkerung ringsum.

Ein guter Humus für den Reformator und Sozialreformer Thomas Müntzer, der 1524 in die Stadt kam, nachdem er mit seinen radikalsozialistischen Reformprogrammen zuvor schon an vielen Orten – zuletzt in Allstedt und nicht zuletzt auch bei seinem ehemaligen Förderer Martin Luther – angeeckt war. Nun erhoffte sich Müntzer von Mühlhausen die Wende: Gemeinsam mit Dietrich Pfeiffer, einem Prediger und ehemaligen Zisterziensermönch, der bereits seit 1523 gegen die soziale und religiöse Schieflage der Stadt gepredigt hatte, organisierte er die Unzufriedenheit der Einfluss- und Mittellosen und forderte in den sogenannten »Elf Artikeln« die Absetzung des Stadtrates zugunsten eines »Ewigen Rates«, was ihm – nach zwischenzeitlicher Ausweisung – 1525, mittlerweile selbst Pfarrer an der Mühlhausener Marienkirche, auch gelang – allerdings nur bedingt und zeitweise: Denn die personelle Besetzung brachte mit ehemaligen Mitgliedern des alten Stadtrates nicht den gewünschten völligen personellen Neuanfang.

Und auch die Einheit der Müntzerschen Bewegung erwies sich als zu brüchig, um die neuen Verhältnisse dauerhaft zu etablieren – zumal die Bewegung zunehmend auch militärisch unter Druck geriet: Am 15. Mai 1525 unterlagen die von Müntzer und Pfeiffer zusammengerufenen Bauerntruppen den militärisch und logistisch überlegenen Fürstenheeren in der Schlacht bei Frankenhausen, mit der auch die seit 1524 immer wieder aufflammenden Bauernkriege ihr Ende fanden. Müntzer wurde – ebenso wie sein Mitstreiter Pfeiffer – gefangengesetzt, gefoltert und hingerichtet. Heute erinnert das von 1976 bis 1987 entstandene und vom DDR-Kulturministerium in Auftrag gegebene 1.722 Quadratmeter große Panoramabild »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« des Leipziger Malers Werner Tübke an die Geschehnisse in Frankenhausen.

N

Die thüringische Stadt Naumburg an der Saale mit ihrem weithin sichtbaren Wahrzeichen, dem spätromanischen Naumburger Dom St. Peter und Paul (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts), hat ihren Platz in der Reformationsgeschichte durch das sogenannte »Naumburger Bischofsexperiment«: die Ordination des Luther-Vertrauten Nikolaus Amsdorf zum weltweit ersten protestantischen Bischof.

Nach dem Tod Bischof Philipps von der Pfalz hatte sich Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, Schutzpatron der Protestanten, 1541 gegen das Domkapitel für Amsdorf ausgesprochen – ebenso wie Martin Luther, der ihn am 20. Januar 1542 im Dom zu Naumburg ordinierte. Zuvor hatte Nikolaus Meder, Pfarrer an der Naumburger Wenzelskirche, seit 1536 als Superintendent die Reformation in Naumburg durch neue Schul- und Kirchenordnungen vorangetrieben, nachdem sich bereits 1525 das Bügertum der Stadt – unter anderem auch mit Blick auf eine stärkere Unabhängigkeit von bischöflicher Einflussnahme – für die Reformation entschieden hatte und sich der Rat der Stadt 1532 unter den Schutz von Kurfürst Johann Friedrich I. gestellt hatte.

Luther selbst war 1521 zum ersten Mal auf dem Weg zum Wormser Reichstag durch Naumburg gezogen. Als er 1542 seinen Freund und Weggefährten Nikolaus Amsdorf ordinierte, tat er dies ohne Vorbild und ohne dass es bis dato eine ausformulierte lutherische Vorstellung von einer solchen Amtshandlung gegeben hätte. Diese lieferte Luther nach: in seiner Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen«.

Es war keine einfache Mission, auf die sich Martin Luther begeben hatte, als er im April 1525 für eine Predigt ins thüringische Nordhausen im Harz kam. Nordhausen, seit 1507 bekannt und reich durch seine Schnapsbrennereien und seit 1524 offiziell protestantisch, war in die Wirren der Bauernaufstände geraten: Thomas Müntzer, einer der Anführer der Bauern, war 1522/23 in der Stadt gewesen und hatte Anhänger um sich geschart. Anfang 1525 hatten sich die Bauern auf eine eigene Programmschrift geeinigt (»Zwölf Artikel«). Nun wollte Luther mit einer Predigt zur Gehorsamspflicht gegenüber den staatlichen Autoritäten an der Nordhäuser St. Blasii-Kirche für Ruhe sorgen – und erntete schellenden Spott … Ausgerechnet hier, in Nordhausen, wo Luther schon 1516 das Augustinerkloster visitiert hatte und sich seit 1522 durch Weggefährten wie den Prior des Augustinerklosters Lorenz Süße (Luthers Zellengenosse in Erfurt), seit 1523 durch den Nordhäuser Bürgermeister und Melanchthon-Freund Michael Meyenburg und nicht zuletzt seit 1524 durch den Stadtpfarrer an St. Blasii, Johannes Spangenberg, frühzeitig stabile protestantische Verhältnisse etabliert hatten, sollte Luther auf taube Ohren stoßen? – Noch in Nordhausen schrieb Luther unter dem Eindruck der Ereignisse unter anderem an seiner Kampfschrift »Von den räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«, in der er die gewaltsame Niederschlagung der Bauernkämpfe empfahl, und brach seine Reise durch das aufständische Gebiet ab. Dennoch blieb Luther, der im Mai 1525 noch einmal inoffiziell in der Stadt weilte, Nordhausen verbunden, wo sich die Reformation in der Folge insbesondere durch das Wirken Johannes Spangenbergs (1524–46), von dem eine Vielzahl von Predigten, Lehr- und Erbauungsschriften, aber auch Kirchenlieder sowie eine Darstellung Melanchthons in Frage und Antwort erhalten sind, dauerhaft etablierte. Heute erinnert u.a. die Kopie eines im Zweiten Weltkrieg verloren gegangenen Epitaphs für Nordhausens ersten protestantischen Bürgermeister Michael Meyenburg in der St. Blasii Kirche an die Ereignisse.

O

Fachwerkhäuser mit frühesten protestantischen Hausinschriften

S

Dreimal besuchte Martin Luther die thüringische Stadt Saalfeld an der Saale, die erstmals 899 urkundlich erwähnt zu den ältesten Siedlungen Ostthüringens gehört: Einmal 1518 auf dem Weg zur »Heidelberger Disputation«, auf der Luther seine nur wenige Monate zuvor veröffentlichten Ablassthesen diskutieren sollte. Noch einmal im selben Jahr auf der Durchreise nach Augsburg. Und schließlich 1530, nun auf der Durchreise in Richtung Coburg, von wo aus Luther die Verhandlungen des Augsburger Reichstags beobachten wollte. Es war nicht nur eine Gelegenheit, in der gerade erst 1514 fertig gestellten Johanneskirche zu predigen, sondern auch einen alten Freund wiederzusehen: Denn drei Jahre zuvor (1527) hatte Luther seinen alten Freund und Wittenberger Kollegen, den Augsburger Theologen Kaspar Aquila, auf das Amt des Stadtpfarrers empfohlen. Der hatte Luther nach einem Theologiestudium in Wittenberg, einer Feldpredigerstelle und einer ersten Pfarrstelle im bayrischen Jengen als Prediger an der Wittenberger Schlosskirche bei der Bibelübersetzung geholfen. Nun machte er sich als Stadtpfarrer und bald auch als Superintendent um die Einführung der Reformation – insbesondere im Bereich des Schul- und Armenwesens – in Saalfeld verdient, von wo er nach dem Schmalkaldischen Krieg für kurze Zeit fliehen musste: 5.000 Gulden hatte Kaiser Karl V. auf Aquilas Kopf ausgesetzt, weil dieser allzu hartnäckig gegen die Rekatholisierungsversuche des Kaisers opponiert hatte. 1552 konnte er nach Saalfeld zurückkehren, wo er 1560 starb.

Als sich im Februar 1531 im thüringischen Schmalkalden der »Schmalkaldische Bund« – ein Militärbündnis protestantischer Fürsten und Städte – konstitutierte, lag der letzte Einigungsversuch zwischen Altgläubigen und Protestanten auf theologischer Ebene – der Augsburger Reichstag – bereits einige Monate zurück. Sein Scheitern und nicht zuletzt der neuerliche Versuch Kaiser Karls V. auf dem Speyerer Reichstag 1529, die gegen Martin Luther und seine Anhänger verhängte Reichsacht im ganzen Reich durchzusetzen, hatte die Fürsten zu einem Verteidigungsbündnis unter der Führung von Sachsen und Hessen bewogen und die Thüringische Kleinstadt Schmalkalden, die es Dank seiner deutschlandweit einzigartigen Eisen- und Metallwarenindustrie zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte, über Nacht zu einem Zentrum des politischen Widerstands der Protestanten gemacht.

Noch wenige Jahre zuvor war Schmalkalden – 874 erstmals urkundlich erwähnt, 1180 zur Stadt promoviert und seit 1360 erbbedingt unter hennebergischer-hessischer Doppelhoheit – fest in katholischer Hand. Doch seit Landgraf Philipp von Hessen – einer der Führer des protestantischen Lagers – 1525 in die auch um Schmalkalden aufflammenden Bauernerhebungen eingegriffen und damit auch die Stadt Schmalkalden unter seine Kontrolle gebracht hatte, hatte auch in Schmalkalden die Reformation Einzug gehalten – und mit ihr die protestantische Bündnisdiplomatie: Von den insgesamt 28 Zusammenkünften des »Schmalkaldischen Bundes« sollten bis zu seiner Niederlage gegen die kaiserlichen Truppen im sogenannten »Schmalkaldischen Krieg« 1547 sieben Treffen in Schmalkalden stattfinden – darunter das wichtigste und größte 1537, an dem auch eine von Martin Luther geführte Wittenberger Delegation teilnahm: Luther hatte im Auftrag des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen Thesen im Gepäck, die mit Blick auf ein mögliches Konzil im Sinne eines gemeinsamen Bekenntnisses diskutiert werden sollten. Obgleich für viele der beteiligten Diplomaten allzu konfrontativ formuliert, wurden sie in Abwesenheit des schwer Nierenkranken Luthers verabschiedet und 1580 als einzige lutherische Bekenntnisschrift aus der Feder Luthers in die bis heute gültige lutherische Bekenntnissammlung »Konkordienbuch« aufgenommen.

Ohne Speyer gäbe es keinen Protestantismus. Jedenfalls nicht dem Namen nach. Denn es war auf dem Zweiten Reichstag zu Speyer 1529, dass die fürstlichen und städtischen Vertreter der evangelischen Reichsminderheit ihre legendäre »Protestation« gegen den kaiserlichen Reichstagsbeschluss einreichten, die 1521 im »Wormser Edikt« gegen Luther und seine Anhänger verhängte »Reichsacht« buchstabengetreu im gesamten Reichsgebiet durchzusetzen. Einige Jahre zuvor – 1526 – hatte es auf dem ersten Reichstag zu Speyer noch so ausgesehen, als ob sich das Wormser Edikt im Netz der unterschiedlichen Zuständigkeiten der deutschen Kleinstaaten weitgehend verlieren könnte. Doch nun legte der Kaiser nach und die Mehrheit der deutschen Stände mit ihm, wogegen sich eine Minderheit evangelischer Stände mit einer schriftlichen »Protestation« verwahrte und den Gehorsam gegenüber dem Kaiser in dieser Frage verweigerte. Es war die Geburtstunde des »Protestantismus« in einer der seinerzeit bedeutendsten Städte Deutschlands: Bereits seit dem 4. Jahrhundert nach Christus war die auf ein römisches Feldlager (10 v. Chr.) zurückgehende freie Reichsstadt – mit einer Unterbrechung – Bischofsstadt gewesen, deren im 11. und 12. Jahrhundert erbauter Dom damals wie heute zu den größten erhaltenen romanischen Kirchenbauten zählt – ein Zeichen kaiserlicher Machtfülle, das ab 1076 nicht zuletzt in den als »Investiturstreit« bekannten Machtkonflikt zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. führte.

In Stotternheim fing alles an. Zumindest der Legende nach. Denn hier, auf freiem Feld unweit der thüringischen Bischofsstadt Erfurt, soll der junge Jurastudent Martin Luther am 2. Juli 1505 – gerade einmal 21jährig – auf dem Rückweg vom elterlichen Mansfeld in ein Unwetter geraten und nur um Haaresbreite von einem hinabfahrenden Blitz verfehlt worden sein: »Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!« soll der zu Tode geängstigte Luther der eigenen Erinnerung nach der beliebten Schutzpatronin der Bergleute geschworen haben – ohne die Rechnung mit seinem Vater zu machen. Denn der hatte für seinen Sohn etwas ganz anderes vorgesehen: Jurist sollte der junge Martin werden und standesgemäß heiraten. Dass sich sein Sohn nun ausgerechnet wegen eines Blitzes und noch dazu in eine der strengsten Ordensgemeinschaften der Stadt – den Erfurter Augustinerorden – einfinden wollte und auf diese Weise nicht nur der für ihn angedachten Profession, sondern auch der für ihn angedachten Frau entgehen sollte, widersprach allem, was sich der Vater für seinen Sohn gewünscht hatte, und sollte dennoch so kommen: Nur zwei Wochen nach dem plötzlichen Himmelszeichen, am 17. Juli 1505, trat Luther in den Erfurter Augustinerorden ein, wo er 1507 die Priesterweihe ablegte. Dass Luther bereits vor dem folgenreichen Ereignis auf freiem Felde über einen möglichen Lebensweg als Augustinermönch nachgedacht hatte und ihm die Begebenheit also mit Blick auf den voraussehbaren Widerstand seines Vaters in die Hände spielte, gilt als wahrscheinlich. Seit 1917 erinnert der sogenannte »Lutherstein« nahe Stotternheim an das Ereignis.

T

erster protestantischer Kirchenneubau der Welt

W

Dass Martin Luther unter seinen Verächtern bisweilen als »Fürstenknecht« bezeichnet wurde, weil er in ihren Augen der weltlichen Obrigkeit allzu viel Autorität zugestand, mag seine Wurzeln unter anderem auch in Weimar haben. Denn dass es in dieser Welt ein geistliches Regiment zur Leitung der Seelen und ein weltliches Regiment zur Erhaltung der äußeren Ordnung gebe und ersteres – obgleich autonom – mit Blick auf das gesellschaftliche Zusammenleben letzterem in bestimmten Fällen Gehorsam zu leisten habe, hat Martin Luther erstmals im Oktober 1522 im Rahmen einer Predigtreihe in der Weimarer Schlosskirche formuliert (vgl. »Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei«, 1523).

Herzog Johann I. von Sachsen (1468-1532) höchst selbst, der als Landesherr Luthers seit 1513 neben Wittenberg auch in der erst 1254 gegründeten ernestinischen Nebenresidenz Weimar residierte und 1525 dort die Reformation einführte, hatte ihn um diese Einschätzung der Legitimität weltlicher Macht gebeten. Nicht ohne Grund. Denn nach Verhängung der Reichsacht gegen Luther 1521 in Worms (wohin Luther 1518 unter anderem über Weimar angereist war) wurden auch militärische Konflikte im Zuge der reformatorischen Bewegung zunehmend wahrscheinlicher – zumal sich auch innerhalb der reformatorischen Bewegung nach und nach auch radikalere Kräfte abzeichneten. Einer von ihnen – Thomas Müntzer (1489–1525) – hatte 1524 im Weimarer Schloss zum Verhör zu erscheinen. Und gegen einen anderen – Andreas Karlstadt (1486–1541) – eröffnete Luther, der 1528, 29, 30, 37 und 1540 noch mehrmals auf Durchreise in Weimar weilen und predigen sollte, kurz danach eine Serie von Predigten in Weimar.

Als es 1546/47 – kurz nach Luthers Tod – im sogenannten Schmalkaldischen Krieg tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den Altgläubigen kam und die protestantische Seite unterlag, wurde Weimar zum Asyl für maßgebliche Förderer und Freunde der Reformation – darunter Kurfürst Johann Friedrich, genannt Hanfried (1503–1554), der nach seiner Gefangenschaft in Weimar vor Anker ging, sowie der Maler und Weggefährte Luthers Lucas Cranach der Ältere (1475–1553).

Martin Luther war nur einmal in seinem Leben in Wernigerode – genauer: im Kloster Himmelpforte nahe Wernigerode, das er im August 1517 – wenige Monate vor seiner folgenreichen Thesenveröffentlichung – noch in seiner Funktion als Mitglied des Augustinerordens visitierte. Das Kloster des Augustiner-Eremiten-Ordens, das 1257 erstmals urkundlich erwähnt und 1524/25 im Zuge des Bauernkriegs zerstört wurde, muss ihm nahe gestanden haben. Denn es hatte bereits seit der Mitte des 15. Jahrhunderts Reformanstrengungen zugunsten der mönchischen Sitten unternommen – insbesondere unter Prior Andreas Proles, der seit 1465 Generalvikar des sächsischen Augustinerordens geworden war und dessen Nachfolger Johannes Staupitz – nachdem Proles 1503 gebannt worden war – als Beichtvater und Mentor Luthers zu Luthers engsten Vertrauten und Förderern im Augustinerorden zählte. Dass sich beide bei Luthers Besuch 1517 begegnet sein sollen und bei dieser Gelegenheit auch über Luthers Meinung zur kirchlichen Ablasspraxis gesprochen haben, mag der Legende angehören. Sicher ist, dass Staupitz – selbst Teil des Reformflügels seines Ordens und Vorgänger Luthers auf dem Wittenberger Lehrstuhl für Bibelwissenschaften – die reformatorischen Bestrebungen Luthers unterstützte, wenn er auch mit den Jahren die zunehmende Gefährdung der kirchlichen Einheit durch die Reformation kritisierte und sich schließlich von Luther distanzierte.

Die im Südosten des Landes Sachsen-Anhalt gelegene Lutherstadt Wittenberg gilt vollkommen zu Recht als das Zentrum der lutherischen Reformation und war damit in den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. ein Ort von Weltgeltung. Die hiesige, erst im Jahre 1502 von Kurfürst Friedrich dem Weisen gegründete Universität (Leucorea) ist die wichtigste Wirkungsstätte Luthers und zahlreicher seiner Mitstreiter wie vor allem Philipp Melanchthons und Johannes Bugenhagens gewesen.

Luther studierte an der Wittenberger Universität 1508/09 Theologie und wurde hier im Jahre 1512 zum Doktor der Theologie promoviert. Seit 1514 wirkte er zudem als Prediger der Stadtkirche. Die entscheidende Wende im Leben des Reformators nahm der sogenannte Thesenanschlag, bei dem in den letzten Jahrzehnten umstritten war, ob er als solcher überhaupt stattgefunden hat. Ein neue Quellenfund Martin Treus spricht jedoch dafür, dass Luther tatsächlich seine 95 Thesen an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen hat. Unstrittig ist jedoch, dass die 95 Thesen Martin Luthers gedruckt und am Tag vor Allerheiligen (1. November) an den Mainzer Erzbischof Albrecht (seit 1518 Kardinal) versendet worden sind.

Luther lebte mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod im Jahre 1546 in Wittenberg, wo ihm 1526 der Südflügel des Augustinerklosters – das heutige Lutherhaus – geschenkt worden war, der entweder für Luther als Distriktsvikar und/oder für den Prior selbst erst 1515/16 errichtet worden war. Hier lebte auch die aus Nimbschen geflohene Nonne Katharina von Bora, die der Reformator 27. Juni 1525 geheiratet hatte.

(J. Ott/M. Treu [Hg.]: Luthers Thesenanschlag Faktum oder Fiktion. Leipzig 2008. = Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9; H. Meller/S. Rhein/H.-G. Stephan [Hg.]: Luthers Lebenswelten. Halle 2008, S. 177–191)

Die im Südosten des Bundeslandes Rheinland-Pfalz gelegene Stadt Worms ist durch den Reichstag 1521 und das sogenannte Wormser Edikt eng mit der lutherischen Reformation verbunden. Nach der Veröffentlichung der 95 Thesen im Jahre 1517 und den darauf folgenden Auseinandersetzungen mit den »Altgläubigen« wurde Luther unter kaiserlicher Zusicherung von freiem Geleit nach Worms geladen, wo er am 17./18. April 1521 letztmalig zum Widerruf aufgefordert wurde. Luther blieb jedoch standhaft, weswegen Kaiser Karl V. den Augustinermönch mit dem »Wormser Edikt« für vogelfrei erklärte. Somit verbindet sich mit dem Wormser Reichstag eine ganz wesentliche Zäsur der Reformationsgeschichte, denn danach war weder eine Rückkehr zum vorherigen Zustand, noch ein Ausgleich zwischen den Katholiken auf der einen Seite und Luther sowie dessen Anhängern auf der anderen Seite möglich.

Die mit dem päpstlichen Bann und der Reichsacht verbundene unmittelbare lebensbedrohliche Situation für den Reformator konnte durch die vom sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen initiierte heimliche Entführung Luthers auf die Wartburg beendet werden. Hier übersetzte dieser in den folgenden Monaten das Neue Testament in die deutsche Sprache und schuf somit eine Vorraussetzungen für die schnelle Verbreitung der neuen Lehre.

Z

»Als nu viel Volks von Wittenberg lief dem Ablass nach gen Jütterbogk und Zerbest und ich nicht wusste, was der Ablass wäre, wie es denn kein Mensch denn wusste, fing ich säuberlich an zu predigen, man könnte wohl besseres tun, das gewisser wäre als Ablass lösen.« – schrieb Martin Luther im Angesicht der blühenden Ablassgeschäfte des Johannes Tetzel, der – von Luther als »Hans Worst« bezeichnet – seit 1517 im Auftrag von Erzbischof Albrecht von Brandenburg, unter anderem auch auf den Zerbster Märkten gute Geschäfte mit käuflichen Heil machte. Zerbst, die kleine ursprünglich auf eine germanische Siedlung zurückgehende Stadt unter askanischer Herrschaft auf halbem Weg zwischen Magdeburg und Wittenberg nahe der Elbe, war zu einer der Anlaufstellen des bischöflichen Händlers geworden. Allerdings hatten die Zerbster bald genug von den »Betteleien« der Mönche und riefen nach Luther, der sich nicht lange bitten ließ: Am 23. Mai 1522 besuchte Luther auf Einladung des Stadtrats die Stadt und predigte binnen zweier Tage insgesamt viermal unter großem Zulauf u.a. im städtischen Augustinerkloster – offenbar mit derart durchschlagender Wirkung, dass die Stadt bereits 1523 eine Inventarisation im Zerbster Nonnenkloster sowie im Franziskanerkloster durchführen ließ, und einen von Luther empfohlenen Geistlichen an die Stadtpfarrkirche St. Nicolai (wo heute ein Reformationsbild Lucas Cranachs zu besichtigen ist) berief. 1525 wurde das Augustinerkloster auf Empfehlung Luthers in ein Hospital und 1526 das Franziskanerkloster in eine evangelische Latein-Schule umgewandelt, für die Philipp Melanchthon eine eigene Schuldordnung ausarbeitete. Luther blieb der Stadt Zeit seines Lebens – unter anderem durch zwei weitere Besuche 1524/1538 und einen umfangreichen Briefwechsel mit dem Rat der Stadt – beratend verbunden. Doch am Ende war es Philipp Melanchthon, der die konfessionelle Identität der Stadt prägen sollte: Zerbst hatte ihm während des Schmalkaldischen Krieges als Unterschlupf gedient und war ihm später, als nach dem Tod Luthers erste theologische Differenzen zwischen Melanchthon und orthodoxen Lutheranhängern auftraten, gefolgt.

Nach Wittenberg ist die sächsische Stadt Zwickau, die es im 15. und 16. Jahrhundert Dank ihres Silberbergbaus sowie ihrer Woll- und Tuchproduktion zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte, die erste deutsche Stadt, in der evangelisch gepredigt wurde: Bereits 1518 – nur wenige Monate nachdem in Wittenberg die reformatorische Bewegung ihren Lauf genommen hatte – hatte der Luther-Vertraute Friedrich Myconius im Zwickauer Mariendom das Evangelium gepredigt und wenig später Johann Wildenauer, genannt Egranus. Als dieser 1520 auf einen Studienaufenthalt nach Süddeutschland aufbrach, vertrat ihn – vermutlich auf Empfehlung Luthers – der Stolberger Theologe und spätere Bauernführer Thomas Müntzer, der nach Egranus’ Rückkehr an der Zwickauer Katharinenkirche einen zunehmend radikalen Kurs vertrat – ein Kurs, der im Kreise der sogenannten »Zwickauer Propheten«, einer frühreformatorischen Erweckungsbewegung um Nikolaus Storch, Resonanz fand und schließlich zu heftigen Spannungen mit dem lutherischen Bürgertum führte. 1521 mussten zunächst Müntzer, später – unter dem lutherischen Bürgermeister Hermann Mühlpfort, dem Luther seine Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« widmete – die »Zwickauer Propheten« die Stadt verlassen. Als es 1522 dennoch zu einem Aufstand gegen das Zwickauer Grünhainer Kloster kam, in dem Bauern gefangen gehalten wurden, musste Luther eingreifen: In vier Predigten im Mariendom, im Schloss und im Rathaus sorgte Luther für Ruhe und entging der Legende nach nur knapp einem Mordanschlag durch die Flucht in ein naheliegendes Gasthaus. »Das ist mein Paradies« soll Luther mit Blick auf seinen Zufluchtsort gesagt haben, der fortan diesen Namen trägt.