Paul Gerhardts Lied
»Befehl du deine Wege« (1676)
Dichter
Lieder der Reformation
Musik, insbesondere das Lied, ist fester Bestandteil geistlichen Lebens und des Gottesdienstes. Das gemeinsame Singen ist insbesondere seit der Reformationszeit selbstverständlicher Ausdruck der mündigen Gemeinde und wurde seither vielseitig mit der Liturgie verbunden. Parallel haben Lieder und Liedtexte als Lektüre und private Andacht bis in die heutige Zeit ein großes Eigenleben entwickelt und werden nicht nur im Gottesdienst, sondern ebenso im Konzert und im privaten Kontext gepflegt und gesungen.
Verantwortlich für die Verbreitung sind meistenteils Melodien, die als Ohrwürmer, als Ausdruck innigen Einverständnisses auch über instrumentale Weisen weite Verbreitung erfahren haben. Aber was wären die Komponisten ohne die Texte, die sie so ansprechen, dass dafür eine Melodie entsteht? Martin Luther selbst hat mit für heutige Ohren mitunter holperiger Rhythmik aber kraftvoller Sprache den Anfang gemacht und deutsche Kirchenlieder gedichtet. Seither haben sich, insbesondere im 17. Jahrhundert und immer wieder während Zeiten von Reformbewegungen, Dichter, Pfarrer und glaubende Aktivisten dran gemacht, ihrem Glauben und ihrer Sicht auf die Welt poetischen Ausdruck zu verleihen. Dazu zählt frühzeitig Ambrosius Lobwasser (1515–1585) mit seinen Übersetzungen des Genfer Psalters und dem Lied »Nun saget Dank und lobt den Herren« (EG 294). Dazu zählt aber vor allem Paul Gerhardt (1607–1676), dessen Lieder zu den verschiedensten Anlässen geradezu Schlager des Lebens und des Trostes geworden sind und die Hitlisten der beliebtesten Lieder des Gesangbuches bis heute anführen. »Du meine Seele singe« (EG 302) oder »Ich steh an deiner Krippen hier« (EG 37) gehört ebenso dazu wie »Wie soll ich dich empfangen« (EG 11) und »Nun lasst uns gehn und treten« (EG 58). Sie machen Paul Gerhardt in seiner elementaren Frömmigkeit und zugänglichen Bildsprache unbewusst zu einem frühen Vertreter der Ökumene, dessen Lieder konfessionsübergreifende Kraft haben und verbindend wirken. Das gilt ebenso für Dichter wie Georg Neumark (1621–1681) und sein Lied »Wer nur den lieben Gott lässt walten« (EG 369) oder Joachim Neander (1650–1680), der nicht nur durch das nach ihm benannten Tal sondern vor allem durch das Lied »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« (EG 317) bekannt geworden ist.
Im Rahmen des Pietismus entstanden viele neue Kirchenlieddichtungen, die auch neue Gesangbücher mit sich brachten. Das wichtigste Gesangbuch des Pietismus, das 1704 in Halle an der Saale erschienene »Freylinghausensche Liederbuch«, umfasste in zwei Bänden etwa 1.500 Lieder. Während dieser Zeit hat sich unter anderem Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf (1700–1760) und die Herrnhuter Brüdergemeine als Hort vieler neuer Lieder und Dichtungen hervor getan. Als bekanntestes Lied von ihm gilt bis heute »Jesu, geh voran« (EG 391).
Während des Rationalismus und der Klassik wurden viele Lieder nach aufklärerischem Prinzip überarbeitet. Parallel gab es Neudichtungen, die in dem 1780 von Johann Andreas Cramer (1723–1788) herausgegebenen «Cramersche Gesangbuch« gesammelt waren. Von Cramer selbst ist das Lied »Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen« (EG 221) bis heute im Evangelischen Gesangbuch zu finden. Während dieser Zeit wirkte auch Matthias Claudius (1740–1815), der mit »Der Mond ist aufgegangen« (EG 482) das beliebteste Lied (nicht nur) des Gesangbuches schrieb.
Die Romantik brachte eine Rückbesinnung auf Lieder der Reformation. Neue Lieder entstanden vorwiegend wieder im 20. Jahrhundert – unter anderem von Jochen Klepper (1903–1942) beispielhaft das Lied »Der du die Zeit in Händen hast« (EG 64), Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) mit dem wohl berühmtesten Lied des 20. Jahrhunderts »Von guten Mächten treu und still umgeben« (EG 65) und Rudolf Alexander Schröder (1878–1962) mit dem Abendlied »Abend ward, bald kommt die Nacht, schlafen geht die Welt« (EG 487). Hinzu kommen gleichermaßen viele Übersetzungen, mit denen unter anderem Jürgen Henkys (*1929) andere Traditionen bekannt machte – wie etwa mit dem Lied »Morgenlied leuchtet« (EG 455) oder Lieder von Dieter Trautwein (1928–2002) wie »Komm, Herr, segne uns« (EG 170) und Eugen Eckert (*1954) wie »Bewahre uns, Gott« (EG 171). Einige der Stimmen, die den klingenden Boten der Reformation Texte zur Vertonung gegeben haben, werden hier vorgestellt.