Matthias Claudius

1740–1815

Friederike Leisching zugeschrieben (1767–1846): Porträt des Matthias Claudius, etwa 1797

Matthias Claudius

1740–1815

Der Dichter und Journalist Matthias Claudius wurde am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld als viertes Kind des Reinfelder Pastors Matthias Claudius geboren. Die Vorfahren väterlicherseits waren über viele Generationen Pastoren im heute an der dänischen Grenze gelegenen Süderlügum. Matthias Claudius besuchte die Lateinschule in Plön und studierte ab 1759 zunächst Theologie, später Rechts- und Verwaltungswissenschaft in Jena. Im Register der Wandsbecker Kirche wird er mit »J.V.B.« (Juris Utriusque Baccalaureus) geführt, wonach er einen ersten Abschluss im Studium beider Rechte hatte – des weltlichen (Zivil-)Rechts und des kanonischen Kirchenrechts. Bis 1770 arbeitete er als Redakteur der in Hamburg herausgegebenen Hamburgischen-Adreß-Comtoir-Nachrichten. Dort kam er in Kontakt mit den Aufklärern Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781).

Im Januar 1771 zog Matthias Claudius nach Wandsbek (bis 1879 Wandsbeck) und wurde dort Redakteur der Tages-Zeitung »Der Wandsbecker Bothe«. Claudius gestaltete den »gelehrten Teil« der vierseitigen Zeitung durch Gedichte und Beiträge von Aufklärern wie Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) und Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803), wodurch die Zeitung und ihr Redakteur deutschlandweit bekannt wurden. 1776 ging Matthias Claudius auf Vermittlung Johann Gottfried Herders als Obercommissarius zur Oberlandkommission nach Darmstadt. Ab 1777 war er auch Redakteur der »Hessen-Darmstädtischen privilegirten Land-Zeitung«, kehrte jedoch bereits nach einem Jahr mit seiner Familie nach Wandsbeck zurück. Auch als die Zeitung nicht mehr erschien, publizierte Claudius weiterhin unter dem Namen »Der Wandsbecker Bothe«. In seinen Gedichten und sonstigen Veröffentlichungen verwendete er auch den Namen Asmus als Pseudonym. Ab 1785 erhielt Claudius einen Ehrensold des dänischen Kronprinzen Friedrich, der sehr von den literarischen Qualitäten des Wandsbekers überzeugt war. Infolge der Kriegsereignisse um Hamburg floh Claudius 1813 zunächst nach Kiel, später nach Lübeck und verbrachte seine letzten Lebensmonate bis zum 21. Januar 1815 schließlich bei seiner Tochter und ihrem aus Thüringen stammenden Mann, dem Buchhändler und Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772–1843), in Hamburg.

Matthias Claudius hat das Evangelische Gesangbuch zwei der meistgesungenen Lieder zu verdanken – »Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land« (EG 508) aus dem Jahr 1783 mit einer äußerst eingängigen Melodie, die erstmals 1800 in Hannover aufgezeichnet worden ist, und das aus mehreren Umfragen als Lieblingslied der Deutschen hervorgegangene: »Der Mond ist aufgegangen« (EG 482) aus dem Jahr 1779, zu dem Johann Abraham Peter Schulz 1790 eine der innigsten Melodien geschrieben hat, die das Wunderhorn des deutschen Liedes enthält.

Das naturalistische Bild der Nacht, gleichbedeutend mit Sorge, Not und Tod, steht in »Der Mond ist aufgegangen« nicht mehr im Vordergrund der Betrachtung. Die Angst vor der Nacht, über Jahrhunderte typisch und wesentlicher kulturgeschichtlicher Aspekt, wird mehr und mehr überwunden. Zeit und Ewigkeit finden in diesem protestantischen Abendlied ihre mythisch-allegorische Entsprechung. Mit der Bannung der Angst geht bei Matthias Claudius auf faszinierend ästhetisch-schlichte Weise eine neue Wahrnehmung der Nacht und ihrer Landschaft einher. Abend und Nacht haben ihre Bedrohung verloren. Sie werden zum Ort der Geborgenheit. Nach Arbeit und Aktivität, kurz: nach »des Tages Jammer« erwarten uns Ruhe und Entspannung in der »Dämmrung Hülle« bzw. »stillen Kammer«, in der auch der versöhnende Schlaf schließlich die alte Ordnung wieder herstellt. Faszinierend ist außerdem, wie Matthias Claudius sich in Maß und Diktion seiner Dichtung auf Paul Gerhardts »Nun ruhen alle Wälder« bezieht und von hier der Weg weiter bis zu Heinrich Isaacs »Innsbruck, ich muß dich lassen« zurück zu verfolgen ist. Beide Abendlieder – »Der Mond ist aufgegangen« und »Nun ruhen alle Wälder« sind zu hören auf der CD »choral:gut« mit dem Athesinus Consort Berlin.

Matthias Claudius:
Der Mond ist aufgegangen (EG 482) – Lilienfelder Cantorei Berlin, Klaus-Martin Bresgott (CD »Uraltes Wehn«, 2004)

Der Mond ist aufgegangen
(Wandsbeck 1779)

1. Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

2. Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold
als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen solvlt.

3. Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

4. Wir stolzen Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.

5. Gott, lass dein Heil uns schauen,
auf nichts Vergänglichs trauen,
nicht Eitelkeit uns freun;
lass uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.

6. Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod;
und wenn du uns genommen,
lass uns in’ Himmel kommen,
du unser Herr und unser Gott.

7. So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und lass uns ruhig schlafen.
Und unsern kranken Nachbarn auch!

Friederike Leisching zugeschrieben (1767–1846): Porträt des Matthias Claudius (1740–1815), etwa 1797