Max Reger
1873–1916
Max Reger, um 1910
Max Reger
1873–1916
»Die Protestanten wissen nicht, was sie an ihrem Chorale haben.« Das sagt der Katholik Max Reger – geboran am 19. März 1873 in Brand (Oberpfalz) – zu seinem Mentor, dem Lehrerorganisten Adalbert Lindner im heimatlichen Weiden (Oberpfalz) im Jahr 1898, kurz bevor er mit der Choralfantasie über »Ein feste Burg« ein neues Kapitel der Orgelmusik aufschlägt. Man hätte den von Fachwelt und Publikum bisher misstrauisch beäugten 25-jährigen Heißsporn mit seinen Anforderungen an die Orgel endgültig für verrückt erklärt, wenn sich nicht in Karl Straube, dem späteren Leipziger Thomasorganisten und Kantor ein Virtuose gefunden hätte, der Regers Orgelmusik so souverän darzubieten weiß, dass die darin bearbeiteten Choräle eine überwältigende Ausdrucksgewalt erhalten. Gerade als »Outsider« erspürt Reger die Expressivität in den alten Chorälen und offeriert sie in hochromantischer Klangsprache den durch Gewohnheit abgestumpften Zeitgenossen neu, etwa das »Morgenstern-« und das »Wachet auf«-Lied von Philipp Nicolai (1599).
Reger hat zwar als Schüler die katholischen Messen in der Weidener Simultankirche gespielt und dabei kühn improvisiert, ist aber kein professioneller Organist. Lehrer Lindner bildet ihn zum Pianisten aus, beim großen Theoretiker Hugo Riemann studiert er Komposition und wird in den Kosmos der Bachschen Harmonik eingeführt. Bald bearbeitet Reger Bachsche Choralvorspiele für Klavier. Er orientiert sich an den drei großen B’s: Bach, Beethoven, Brahms und komponiert viel Klavier- und Kammermusik, dazu wie alle in dieser Zeit etliche Klavierlieder. Eine schwere Erkrankung zwingt ihn, den bisherigen Wirkungsort als Klavier- und Theorielehrer, Wiesbaden, mit dem elterlichen Haus in Weiden einzutauschen. In den folgenden drei Weidener Jahren reift seine Meisterschaft und erfolgt die Hinwendung zur Orgelmusik, obwohl vor Ort gerade gar kein hinreichendes Instrument zur Verfügung steht. Er schuldet das dem Leitbild Bach.
Ab 1901 kann Reger sechs Jahre lang in München als Dozent am Konservatorium wirken, dann wird er Universitätsmusikdirektor und Professor in Leipzig, schließlich Hofkapellmeister am musikalisch so bedeutenden Hof in Meiningen. Er praktiziert die damalige Form des Jetset: mit dem Nachtzug als Pianist und Dirigent eigener und anderer Werke von einem Konzert zum andern, dazwischen Lehrverpflichtungen nachkommen, oft knapp am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und dann braucht ja auch ein »Workaholic« noch etwas Zeit zum Komponieren. In Jena, wo er 1908 mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet wird, kauft er schließlich ein Haus, bahnstrategisch günstig gelegen, um sich dort mit (evangelischer) Frau und zwei adoptierten Töchtern wenigstens ab und zu wohlfühlen zu können. Mit 43 Jahren ist er ausgebrannt und erliegt am 11. Mai 1916 im Leipziger Hotel einem Herzschlag.
Bei allem Streben nach großer Form, Expressivität und Virtuosität hat sich Reger immer wieder auch der Aufgabe gestellt, liturgische »Gebrauchsmusik« zu liefern. So entstehen mittelschwere und ganz einfache Choralvorspiele, Choralkantaten und geistliche Chorsätze, einiges davon im Kontakt mit dem Straßburger Theologen Friedrich Spitta. Das Vorbild von Brahms Opus 110 überbietet er aber mit noch größeren und expressiveren geistlichen Motetten derselben Opuszahl. Die geplanten chorsymphonischen Großwerke »Requiem« und »Te Deum«, sowie ein (evangelisches) Osteroratorium vereitelt der frühe Tod. So gibt es nur den grandiosen »100. Psalm«, in dem ein Extra-Trompetenchor als Finale »Ein feste Burg« schmettert. Regers Befehl an den Dirigenten der Uraufführung: »Sie müssen die Hörer an die Wand klatschen.«
Max Reger:
Ich liege und schlafe (Op. 11, 2) – Athesinus Consort Berlin, Klaus-Martin Bresgott (CD »Boten«, 2011)