Alexander Ochs – Ausstellungsmacher, Kurator und Galerist
Alexander Ochs (sechster von rechts) im Kreis von Künstlerinnen und Künstlern und weiteren Beteiligten – Eröffnung der Ausstellungsreihe »Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen« in der Hauptkirche St. Katharinen Hamburg, 2018 (Foto: Uwe Gaasch)
Alexander Ochs – Ausstellungsmacher, Kurator und Galerist
Alexander Ochs ist ein in Berlin lebender Galerist, Ausstellungsmacher und Kurator. Seit 2007 initiiert und gestaltet er Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Kirchen. In diesem Sommer ist er für die Hamburger Ausstellung »Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen« verantwortlich. In fünf Innenstadtkirchen sind Werke von Rebecca Horn, Ai Weiwei, Leiko Ikemura, Micha Ullman, Chiharu Shiota und vielen anderen zu sehen. Zu seinen Ausstellungen erschienen fünf Bücher, die er jeweils mit von ihm eingeladenen Co-Autoren herausgibt.
Was ist Ihr Leitmotiv, wenn Sie Kunst in Kirchen bringen?
Über die Jahre hat sich das persönliche Motiv wohl immer wieder geändert. Bis heute hat sich ja auch die Liturgie in unseren Gottesdiensten wieder und wieder verändert und so weiter entwickelt – ich würde sagen, sie hat sich aus dem Alten kommend auf die Höhe der Zeit gebracht. Aus den Quellen von Liturgie und Gebet entsteht eine gesellschaftspolitische Haltung, die ein gemeinsames Grundverständnis zwischen den meisten Christen schafft: für den Erhalt und die Verteidigung der Schöpfung, für Frieden, für Solidarität, für Gleichberechtigung aller Menschen aus der Idee der Nächstenliebe. Nur sagt jedoch das Bildprogramm der meisten Kirchen ebenso wenig über unsere Liturgie in Zeitgenossenschaft aus wie über unsere politische Haltung und die dahinter stehende Idee von Liebe. Ich denke, dass die Kunst helfen kann, hier Augen und Ohren zu öffnen, aber auch mithelfen kann, tiefere, positive Schichten unseres Unbewussten zum Klingen zu bringen.
Womit beginnen Sie, wenn Sie eine Ausstellung wie in Hamburg konzipieren?
Zuerst spreche ich mit Hamburger Freunden, dann lese ich Hamburger Zeitungen, danach gehe ich in Hamburg spazieren und besuche die mir vorgeschlagenen, wie ausgesuchten Kirchen. Ich setze mich hinein, bleibe anonym, ich höre hin und meditiere. Wenn ich Glück habe, entsteht ein »Wir«, das ich weiter verfolgen kann. Die meisten der Kirchen habe ich zwei-, dreimal besucht. In Berliner Kirchen nehme ich häufig an Gottesdiensten oder Messen und so am Abendmahl teil. Im »Privatleben« laden meine Frau und ich zum Beispiel arabische Musikerinnen und Musiker, oftmals Geflüchtete, zu uns zur Hausmusik und zum Gespräch ein, wir teilen mit jüdischen Künstlern und Freunden den Schabbat oder meditieren und singen auch mit Hinduisten und Buddhisten. Dies alles, die Summe der Erfahrungen und Eindrücke, fließt in einen Strom, aus dem eine Ausstellung entstehen kann.
Gibt es Voraussetzungen, die in einer Kirchengemeinde gegeben sein müssen, um in ihr Gegenwartskunst zu zeigen?
In den Kirchen muss Vertrauen zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrerinnen und Pfarrern, ihren Priestern bestehen. Vertrauen in Kirchen sollten wir hier als »Gottvertrauen« verstehen. Wenn es fehlt, wenn die Gemeinden mit ihren Leitungen nicht »in der Wahrheit« sind, geht es schief, weil die zuständigen Leitungen dann nicht in der Lage sind, eine »Brücke« in die zeitgenössische Kunst zu bauen. Nach der Kuratur von 32 Ausstellungen in evangelischen und katholischen Kirchen mit Hunderten von Künstlerinnen und Künstlern kann ich sagen, dass bei 31 Präsentationen das Vertrauen fast immer größer war als die Angst. Einmal ist es in einer evangelischen Kirche schiefgegangen, einer Kirche, die interessanterweise keine eigene Gemeinde hat. Zwei geplante Hamburger Ausstellungsteile in katholischen Kirchen wurden schon im Prozess vor der Eröffnung abgeräumt, was gerade für die dortigen Gemeinden bedauerlich ist, denn ihnen wurde so eine Erfahrung vorenthalten.
Worauf müssen sich die – zum Teil ja sehr renommierten – Künstler einlassen, wenn Sie deren Arbeiten in einen ganz anderen, nämlich sakralen, Kontext stellen?
Einlassen beinhaltet ja die schöne Silbe »ein«. Ich bringe mich also ein, ich gebe etwas hin-ein, ich gebe mich hinein, und in Rebecca Horns großformatiger Arbeit »The Universe in a Pearl« geht es sogar um »Eins« sein, wie es in Asta Grötings Skulptur »The Space between Lovers« um den vergeblichen Versuch des Eins-Werdens geht. Ich bin quasi ein Medium zwischen den Künstlern, ihrer Kunst und den Gemeinden. In dem Moment, in dem ein Künstler mir eine Arbeit übergibt, gibt er sie ab, er lässt sie los und fühlt sich – in der Regel – sehr wohl mit dem Ergebnis, wohl immer dann, wenn das Medium seiner Kunst die ihr eigene Autonomie lässt. Interessanterweise fühlen sich die Künstlerinnen und Künstler am wohlsten, die sich in keiner Art und Weise als »religiös« verstehen und die nie darüber nachgedacht haben, dass diese ihre Arbeit einmal in einer Kirche ausgestellt würde. Schwerer tun sich ausgerechnet die Künstlerinnen und Künstler, die sich einerseits als dezidiert »nichtreligiös« verstehen, sich dann aber an der Kirche (und speziell der Historie der katholischen) abarbeiten und da manchmal arg verheddern. Ein Verheddern, das sich dann oft im eigenen Leiden, im Leiden an sich selbst ausdrückt. Gern aber würde ich Ihre Frage nochmals herumdrehen und fragen, was macht die Kunst mit dem sakralen Kontext und dessen »Bodenpersonal«, den kirchlichen Vertreterinnen und Vertretern des Kontextes. Die Kunst befruchtet und hilft mit, die Seelen zum »swingen« zu bringen, manchmal geht sie aber auch direkt in die offenen Wunden. Die individuellen und die kollektiven. Und jetzt steht die Frage, ob der »Sakrale Kontext« sich da ein-lassen wird oder er die Kunst als zu theologisierende Dekoration versteht. Dekoration meint Oberfläche und an der Stelle geht’s dann schief. Was manche nicht verstehen: Die Künstlerin, der Künstler ist mit sich und dem Kunstwerk allein, allein im künstlerischen Prozess, beim Entstehen des Kunstwerks. Oft entsteht hier eine Form von Transzendenz, die in den Kirchen aufzunehmen wichtig wäre. Dieses Aufnehmen setzt allerdings die Bereitschaft sich zu öffnen voraus.
Auffällig ist, wie sensibel Sie Raum und Werk aufeinander beziehen. Wie arbeiten Sie?
Die von Ihnen zitierte Sensibilität erlebe ich als Gnade. Einerseits. Anderseits ist das hart erarbeitet, ein Hingehen und Fortgehen über Wochen, das Akzeptieren »äußerer Umstände«, das Weg-Lassen von eigentlich Möglichem. Neben einer Portion Demut hilft mir vermutlich auch meine eigene Körperarbeit. Ich glaube fest daran, dass erst das Verstehen des eigenen Körpers die Kirchen als Tempel auch der Seele verstehen lässt. Am Ende hilft auch die mir eigene, fränkische Sturheit: das Bestehen darauf, dass das Kunstwerk sich nicht anbiedert, nichts illustriert, die ihm eigene Autonomie behält. Im Umkehrschluss: auch der sakrale Raum muss dem Kunstwerk Respekt zollen, ohne dieses zu überhöhen.
Sie selbst sind Galerist und arbeiten im Kunstmarkt beziehungsweise haben dies sehr intensiv getan. Kirchen aber sind kunstmarktferne Orte. Liegt darin nicht eine besondere Chance?
Ja, ich hatte den späten 1990er und frühen 2000er Jahren den chinesischen Kunstmarkt mitaufgebaut und erlebt, was Turbokapitalismus unter der Bedingung der Globalisierung heißt. Heute arbeiten wir mit einer Gruppe meist Berliner Künstlerinnen und Künstler in Berlin-Charlottenburg in einer Art Salon-Format. Gemeinsam führen wir »den Markt« auf ein menschliches Maß zurück, sind ziemlich frei von der am Markt vorherrschenden Gier und frei von Eifersucht auf unsere Konkurrenten. Schön ist aber doch auch, dass uns neben den Künstlerinnen und Künstlern auch Sammlerinnen und Sammler für unsere Ausstellungen in den Kirchen Werke ausleihen. Ich habe in den letzten Jahren gerade von großen Sammlern wie Erika Hoffmann, Thomas C. Rusche, Thomas Olbricht, Heiner Wemhöner oder Peter Raue Werke renommierter Künstlerinnen und Künstler als Leihgaben bekommen, ohne die manche Ausstellung in Kirchen nicht so wertig und schön geworden wäre. Vielleicht liegt in der Aufhebung alter Glaubenssätze, hier »böser Kunstmarkt«, dort »liebe Kirchen«, ein Chance. Ich würde mir aber auch wünschen, dass Gemeinden Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern über deren Galerien erwerben, um damit ihre Kirchen auszustatten. Ich würde mir wünschen, dass Kirchen und ihre Stiftungen Sammlungen aufbauen, entlang derer tatsächlich ein fundiertes und kontinuierliches Gespräch zwischen Kunst und Kirche entstünde. Ein Gespräch, das uns in gemeinsame Initiative und gemeinsames Handeln bringt.
Was würden Sie einer Kirchengemeinde, wenn sie Künstler zu sich einladen möchte, raten? Wie sollte sie vorgehen und was beachten?
Behutsamkeit in der Auswahl. Intensives Gespräch mit der Künstlerin, mit dem Künstler, über beiderseitige Erwartungen. Wissen darum, dass Künstler von ihrer Hände Arbeit leben.
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Kataloge
- Zur Ausstellung »Sein.Antlitz.Körper«
- Zur Ausstellung »In Bed with Martin Luther«
- Zur Ausstellung »Intervention!«
- Zur Ausstellung »Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen«
Alexander Ochs (sechster von rechts) im Kreis von Künstlerinnen und Künstlern und weiteren Beteiligten – Eröffnung der Ausstellungsreihe »Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen« in der Hauptkirche St. Katharinen Hamburg, 2018 (Foto: Uwe Gaasch)
»Du sollst dir (k)ein Bild machen«, Berliner Dom, 2016; Hans Arp: »Kreuzigung«, 1914 (Stiftung Arpe.V. Berlin/Rolandswerth u.a.; Foto: Uwe Gaasch)
»Sein.Antlitz.Körper. Das Kopftuch der Migrantin/Ihr Kreuz tragen«, St. Marienkirche Berlin-Mitte, 2016; Anna und Bernhard Blume: »Kreuzweg«, 2011 (KultumDepot Graz; Foto: Markus Schneider)
»Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen«, Hauptkirche St. Katharinen Hamburg, 2018; Rebecca Horn: »The Universe in a Pearl«, 2006 (Private collection of the artist, Copyright: Rebecca Horn; Foto: Uwe Gaasch)
»Hinsehen.Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen«, Hauptkirche St. Katharinen Hamburg, 2018; Ai Weiwei: »Forever«, 2013 (Ai Weiwei Studio; Foto: Uwe Gaasch)