Paul Gerhardt
1607–1676
Paul Gerhardt, Kupferstich von Ludwig Buchhorn (1770–1856)
Paul Gerhardt
1607–1676
Paul Gerhardt, Sohn einer Familie, in der der Großvater Superintendent, der Vater Gastwirt war, wurde am 12. März 1607 in Gräfenhainichen im Landkreis Wittenberg geboren und geriet frühzeitig in die Wirren des 30-jährigen Krieges. Sein Vater starb bereits 1619, seine Mutter 1621. Wie sein älterer Bruder besuchte er ab 1622 die Fürstenschule St. Augustin in Grimma (Landkreis Leipzig), zu deren Lehrauftrag auch die Artes Liberales (Rhetorik, Dialektik, Musik und Poetik) gehörten und studierte ab 1628 in Wittenberg Theologie und Philosophie. Sein Studium finanzierte er in der während der Kriegs- und Pestzeit stark frequentierten Stadt unter anderem als Hauslehrer. 1643 ging er erstmals nach Berlin. Seine Bekanntschaft und baldige Zusammenarbeit mit Johann Crüger (1598–1662), der bereits seit 1622 als Kantor an St. Nikolai fungierte, liest sich in den Gesangbüchern Johann Crügers. In dessen Gesangbuch »Praxis Pietatis Melica – Das ist Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen«, erstmals 1640 erschienen, finden sich in der 2. Ausgabe 1647 bereits 18 Lieder von Paul Gerhardt, 1653 waren es in der 5. Auflage schließlich 82 Lieder, die sowohl Gerhardts unermüdliches literarisches Wirken als auch die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Musiker und dem volkssprachlichen Dichter dokumentieren.
Nachdem Paul Gerhardt 1651 an der Nikolaikirche ordiniert worden war, nahm er noch im selben Jahr den Dienst an der Pfarrkirche St. Moritz in Mittenwalde an einer der schönsten dreischiffigen gotischen Hallenkirche in Brandenburg auf. Hier heiratete er 1655 Anna Maria, geborene Berthold. Hier kam 1656 auch die erste Tochter Maria Elisabeth zur Welt. Wie drei weitere Kinder, musste das Ehepaar Gerhardt sie schon im Kindesalter beerdigen. Nur der Sohn Paul Friedrich Gerhardt überlebte die Eltern. Während der Mittenwalder Zeit schrieb Paul Gerhardt unter anderem »O Haupt voll Blut und Wunden« (EG 85), das Johann Sebastian Bach 1727 als einen zentralen Choral in die Matthäus-Passion (BWV 244) übernahm. Der Choral, 1656 bei Johann Crüger erschienen, zählt heute zum musikalischen Weltkulturerbe.
1657 ging Paul Gerhardt nach Berlin an die Nikolaikirche, wo er auch literarisch zunächst eine äußerst fruchtbare Zeit genoss. Schwierigkeiten entstanden durch Meinungsverschiedenheiten mit dem brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund, der von der lutherischen zur calvinistischen Lehre übergetreten war und ihn 1664 verpflichtete, das verordnete Toleranzedikt zu unterzeichnen. Die Ablehnung brachte Paul Gerhardt zunächst die Entlassung vom Dienst an St. Nikolai. Obwohl sie 1667 seitens des Kurfürsten wieder aufgehoben wurde, verzichtete Paul Gerhardt auf das Amt, worauf er endgültig der Stelle verwiesen wurde. 1668 ging Paul Gerhardt in die kursächsische Kleinstadt Lübben, wo er bis an sein Lebensende am 27. Mai 1676 wirkte und arbeitete. Er ist im Chorraum der seit 1930 so genannten Paul-Gerhardt-Kirche beigesetzt.
Bereits 1667 hatte Johann Georg Ebeling (1637–1676), Nachfolger Johann Crügers im Kantorenamt an St. Nikolai in Berlin, »Geistliche Andachten« von Paul Gerhardt herausgegeben – eine erste Gesamtausgabe der Lieder Paul Gerhardts, die 120 Dichtungen umfasst. Mit diesem Oeuvre erweist sich Paul Gerhardt nicht nur als bedeutendster Lieddichter des deutschen Protestantismus im 17. Jahrhundert, sondern nach und mit Martin Luther in seiner Erbaulichkeit auch als nachhaltigster. Viele seiner insgesamt 134 Lieder, die größtenteils Eigenschöpfungen aber auch Dichtungen nach Psalmen und mittelalterlichen Hymnen sind, gelten in ihrem Bekenntnischarakter mit ihrer persönlichen Andacht und dem überzeitlichen Anspruch als exemplarisch für die Gemeindelieder des Evangelischen Gesangbuches. Bildhafte Sprache, innige Frömmigkeit und volkstümlich klare Wortwahl haben seine Lieder über das Gesangbuch hinaus zu Volksliedern werden lassen – wie etwa »Nun ruhen alle Wälder« (EG 477), »Die güldne Sonne« (EG 449) und »Befiehl du deine Wege« (EG 361) oder »Geh aus mein Herz, und suche Freud« (EG 503) – zu hören auf der CD »"Boten«" mit dem Athesinus Consort Berlin.
Text: Paul Gerhardt 1647 Melodie: Wolfgang Dachstein 1525 »An Wasserflüssen Babylon« (zu Psalm 137) Satz: Johann Crüger
Paul Gerhardt:
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83) – Athesinus Consort Berlin, Klaus-Martin Bresgott
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83)
1. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
der Welt und ihrer Kinder;
es geht und büßet in Geduld
die Sünden aller Sünder;
es geht dahin, wird matt und krank,
ergibt sich auf die Würgebank,
entsaget allen Freuden,
es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
und spricht: »Ich will’s gern leiden.«
2. Das Lämmlein ist der große Freund
und Heiland meiner Seelen;
den, den hat Gott zum Sündenfeind
und Sühner wollen wählen:
»Geh hin, mein Kind, und nimm dich an
der Kinder, die ich ausgetan
zur Straf und Zornesruten;
die Straf ist schwer, der Zorn ist groß,
du kannst und sollst sie machen los
durch Sterben und durch Bluten.«
3. »Ja, Vater, ja von Herzensgrund,
leg auf, ich will dir’s tragen;
mein Wollen hängt an deinem Mund,
mein Wirken ist dein Sagen.«
O Wunderlieb, o Liebesmacht,
du kannst – was nie kein Mensch gedacht -
Gott seinen Sohn abzwingen.
O Liebe, Liebe, du bist stark,
du streckest den in Grab und Sarg,
vor dem die Felsen springen.
4. Mein Lebetage will ich dich
aus meinem Sinn nicht lassen,
dich will ich stets, gleich wie du mich,
mit Liebesarmen fassen.
Du sollst sein meines Herzens Licht,
und wenn mein Herz in Stücke bricht,
sollst du mein Herze bleiben;
ich will mich dir, mein höchster Ruhm,
hiermit zu deinem Eigentum
beständiglich verschreiben.
5. Ich will von deiner Lieblichkeit
bei Nacht und Tage singen,
mich selbst auch dir nach Möglichkeit
zum Freudenopfer bringen.
Mein Bach des Lebens soll sich dir
und deinem Namen für und für
in Dankbarkeit ergießen;
und was du mir zugut getan,
das will ich stets, so tief ich kann,
in mein Gedächtnis schließen.
6. Das soll und will ich mir zunutz
zu allen Zeiten machen;
im Streite soll es sein mein Schutz,
in Traurigkeit mein Lachen,
in Fröhlichkeit mein Saitenspiel;
und wenn mir nichts mehr schmecken will,
soll mich dies Manna speisen;
im Durst soll’s sein mein Wasserquell,
in Einsamkeit mein Sprachgesell
zu Haus und auch auf Reisen.
7. Wenn endlich ich soll treten ein
in deines Reiches Freuden,
so soll dein Blut mein Purpur sein,
ich will mich darein kleiden;
es soll sein meines Hauptes Kron,
in welcher ich will vor den Thron
des höchsten Vaters gehen
und dir, dem er mich anvertraut,
als eine wohlgeschmückte Braut
an deiner Seite stehen.