Juliane Ebner
Bildende Künstlerin
Juliane Ebner
Bildende Künstlerin
Juliane Ebner kommt aus Stralsund. Wer vom Meer kommt, balanciert sich aus auf dem Boden dieser Welt. Manchmal ist er ein Drahtseil, manchmal eine Wiese, manchmal sumpfiges Gelände, manchmal grauer Asphalt. Innen ist er weit wie das Land am Meer. Wie das Meer. Juliane Ebener beschreibt diese Welt mit den Geschichten ihrer Hand. Oft sind diese Geschichten nicht leicht zu durchschauen. Oft leuchtet eine Eindeutigkeit auf, die nur scheinbar ist, und im nächsten Moment wieder von einem großen Fragezeichen abgelöst wird. In jeder Bewegung wahrt sie eine leichte Hand, ein offenes Staunen und ein großes Begreifen, dem der Atem nicht ausgeht. So ist das Werk Juliane Ebners in seiner spielerischen Wesensart eins, in dem man die Künstlerin auf den Pfaden der Zeit begleiten kann, wenn man – wie sie – darauf vertraut, dass dem Alltag seine Geschichten nie ausgehen.
Ihr Lebensweg hat Sie über verschiedene künstlerische Pfade in der Gegenwart zur bildenden Kunst kommen lassen. Sehen Sie das im Rückblick als zwangsläufige Bewegung auf diesen Punkt hin an? Oder war für Sie die Entscheidung für den eigenen künstlerischen Ausdruck auch immer die Qual der Wahl der Werkzeuge?
Als ich sehr jung war, stellte sich mir nicht die Frage, was ich beruflich gerne tun würde. Wir lebten in einer Diktatur, meine Kaderakte war schon mit 15 für ein staatliches Studium verdorben und eine freie Berufswahl hatte ich nicht. Die Berufsmöglichkeiten, welche mir offen standen, waren sehr überschaubar, und es ging mehr darum, im eingegrenzten Angebot zu wählen. Ich war glücklich, dass ich Kirchenmusik studieren konnte. Das erschien mir erstrebenswerter als Gleisbauer, Kindergärtnerin oder Wirtschaftsdiakon zu werden – die Möglichkeiten, die mir außerdem offen standen. Ich habe es geliebt, Kirchenmusik zu machen und zu studieren, war begeistert dabei und habe sehr viel gelernt. Die Musik war ein Schutzraum, in dem ich aufwachsen konnte. Aber schon damals habe ich am Ende des Tages und immer, wenn ich konnte, gemalt und gezeichnet. Als eines Tages die Möglichkeit bestand, freie Entscheidungen zu treffen, studierte ich Kunst. Das Entwickeln von Bildern und Geschichten beschäftigt mich schon immer.
Ihr bildnerisches Werk ist in seiner Vielfarbigkeit stark von der Zeichnung geprägt – vom einfach geführten Strich, dem die Hand ihre Geschichten mitgibt. Woher nehmen Sie diese Geschichten?
Die Geschichten sind alle schon da. Ich habe das Gefühl, ich schreibe nur mit. Unsere Realität und unsere Geschichte ist so unglaublich, ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Ganz schnell erscheint es sehr, sehr surrealistisch, wenn man die Wirklichkeit beschreibt, scheint mir. Das finde ich faszinierend.
Ihre Arbeiten vermitteln eine scheinbar durchsichtige, traumwandlerische Leichtigkeit und sind dabei doch nicht einfach zu entschlüsseln. Schwebende Scheinbarkeit, verwoben mit konkret Dinglichem. Ist diese Scheinbarkeit ein Schlüssel zur Vertrautheit mit den Dingen? Ein Wahrnehmungsprinzip?
Das Leben ist komplex und seine Anordnungen leicht zu erschüttern. Die Bedeutungen von dem, was wir erleben, sind vielschichtig, oft erst im Nachhinein lesbar – und selbst diese Sicht verschiebt sich immer wieder. Die Behauptung der Existenz von festen Verhältnissen und bleibenden Lesarten hält nicht stand, dafür braucht man nicht lange hinzuschauen. Das interessiert mich und das möchte ich in meine Bilder holen. Ich glaube, damit die Welt zu beschreiben, und nur darum geht es mir. Ja, es schwebt alles etwas über- und hintereinander. Tut es das nicht? Ganz ehrlich: wie zuverlässig eindimensional fassbar ist das Leben? Mir kam es schon immer so vor, als wenn ich die Welt am treffendsten beschreibe, wenn ich erzähle, dass sie schwer entschlüsselbar, wenig eindeutig und nicht in stringenten Bahnen verlaufend ist. Die Vielschichtigkeit der Sachlagen und die Interpretationsräume der Fakten zu zeigen, erscheint mir als realistischste Annäherung an die Wirklichkeit.
Wie viel Landschaft brauchen Sie für Ihr Tun? Und wenn, welche?
Eine effiziente Stadtlandschaft mit schnellem Internet, gut sortierten Copyshops, Künstlerbedarfsläden, Bibliotheken und Baumärkten zusammen mit einer reichen Auswahl an Cafés und Kneipen und Restaurants und Kinos und Theatern und Konzerträumen brauche ich unbedingt zum arbeiten! Die Landschaft, die tatsächlich eine Rolle spielt in meinen Arbeiten, muss ich während des Prozesses der Bildfindung nicht um mich haben, ich trage sie in mir. Das ist die norddeutsche Küstenlandschaft der ostdeutschen Ostsee, die Landschaft Rügens. Viel schwerer, grauer Himmel, der unmerklich übergeht in das tiefe Grau des Wassers, und dazwischen tanzende Punkte von Leuchtbojen der Fahrrinnen. Verwehte, einsame Strände mit riesigen, einzelnen Steinen im Regen, der Himmel und Erde verbindet. Diese Bilder habe ich in mir und ich sehe sie überall. Im Feierabendverkehr und den Hauswänden, in U-Bahn-Tunneln und in Häuserschluchten.
Gibt es ein Motiv, das Sie immer wieder malen können – oder müssen?
Mir kommt es so vor, als würde ich immer nur sehr einfache Motive haben, die sich ständig wiederholen: Menschen, Tiere, Bäume, Häuser, Autos, Panzer, trocknende Wäsche, Stühle und Kaffeekannen. Dann wieder: Kinder, Katzen, Hunde, Männer mit Gewehren, Hubschrauber und Kraniche und Schildkröten und Dampfer. Daran wird sich wohl auch nichts ändern. Was man eben so sieht. Der Stoff, aus dem unsere Tage sind, und unsere Nächte, unsere Nachrichten und unsere Ängste und Träume.
Gibt es eine Tradition, aus der Sie schöpfen – eine Tradition, der Sie sich verwandt fühlen?
Das ist eine wirklich gute Frage, leider bin ich, fürchte ich, nicht wirklich gut darin, sie zu beantworten. Denn ich bin nicht so die Kunsthistorikerin. Bestimmt gibt es aber eine künstlerische Reihe, in die man meine Sachen einordnen könnte. Zum Beispiel hat meine Technik etwas mit Lithografie zu tun, habe ich begriffen, und auch der Gedanke der Vielheit und des Originals, der mich beschäftigt, hat natürlich eine lange Geschichte. Was ich aber denke, ist, dass es das Wesen des Menschen ist, die Welt zu beschreiben, im Versuch sie zu verstehen. Und das ist es vor allem, was ich mache. So sehe ich mich in der Tradition von Adam und Eva.
Das Gespräch führte Klaus-Martin Bresgott
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Juliane Ebner, geboren 1970 in Stralsund nach dem Studium der Kirchenmusik in Dresden war sie Organistin in Potsdam, Stralsund und Neumünster, studierte im Anschluss Theologie an der Christian-Albrecht-Universität Kiel. Darauf folgte 1999 bis 2005 ein Studium der Freien Kunst an der Muthesius-Kunsthochschule Kiel. Die Mutter dreier Kinder lebt mit ihrer Familie in Berlin und auf der Insel Rügen.
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Ausstellungen (Auswahl) – 2016 »Schall und Rauch«, Kunstverein Usedom – 2016 »Stoffwechsel«, Kunstverein Bayreuth und Bunker 1, Schauraum für Zeitgenössische Kunst, Kiel – 2016 »Kleine Dinger«, Filmpräsentation, Projektraum LS43, Berlin – 2015 »Rostocker Kunstpreis 2015«, Kunsthalle Rostock – 2015 »In der Mitte ein Loch«, Filmpräsentation, Arsenal – Institut für Film und Videokunst, Berlin – 2015 »Mature and Angry”, Center of Contemporary Art-Plovdiv, Bulgarien – 2014 »Parallelverschiebung«, Kunstsammlung des Deutschen Bundestages in Brüssel – 2014 »Knallerbsenbusch«, Filmpräsentation, Galerie Parterre Berlin – 2014 »Parallelverschiebung«, Solopräsentation durch die Kunstsammlung des Deutschen Bundestages im Mauermahnmal in Berlin – 2013 »Vertikale«, Deutsches Filmmuseum Frankfurt – 2013 »Berliner Liste«, Koje Quinque-Wessels, Kraftwerk Berlin – 2013 »Luftdruck«, IMPACT8, Dundee, Schottland – 2012 »Friedrich. Ein Psychodrama«, (Regie Andreas Lehmann), 3sat – 2012 »Erwartungshorizont«, Sorgdragermuseum Hollum, Niederlande – 2012 »Zentralverriegelung«, Solo, Bräunig-Contemporary, Hamburg – 2011 »Höhere Dichte«",Galerie Splitter Art, Wien – 2011 »Alltag, Figur und Raum – Kunst aus dem Nordosten«, Kunstsammlung Neubrandenburg – 2011 »Ebner", Kulturstiftung Rügen – 2011 »Hauptsache", Kunstort Alte Wassermühle Wreechen – 2010 »Art Karlsruhe«, Walter Bischoff Galerie – 2010 »Länger schön«, Kunstforum Kassel – 2010 »Später mehr«, San Josè State University, Art Department, USA
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Internet: juliane-ebner.de