Reformations-ABC

Wissen

»Trink, was klar ist, iss, was gar ist, sag, was wahr ist.«

Die Reformation steht nicht nur für eine mit der Geburtsstunde einer neuen Zeit verbundene, reichhaltige Zitatensammlung aus dem Mund des Reformators Martin Luther, seiner Freunde und Widersacher, sondern darüber hinaus für eine umfassende Revolution des Denkens und einen selbstbewussten Erfindergeist. Wie heute das Internet die Welt zusammenrücken lässt und in Jetztzeit Informationen in die entlegensten Winkel der Welt bringt, kommen Luther die vielfältigen Möglichkeiten des Buchdrucks zu pass, um seiner Idee ein breites Publikum zu ermöglichen.

Martin Luther steht auf der einen Seite für ein Füllhorn neuer deutscher Wörter, die im Zuge seiner Übersetzung der Bibel, im Kontext seiner Suche nach dem richtigen Begriff im Alltag und bei seiner immerwährenden Lust, dem »Volk auf’s Maul zu schauen« entstanden oder erstmals verschriftlicht wurden. – Lückenbüßer und Lästermaul, Gewissensbisse oder Geheimnis zählen dazu. Auch bis heute gängige Redensarten wie »die Zähne zusammenbeißen« oder »ein Herz und eine Seele« sein stammen von Martin Luther.

Auf der anderen Seite steht seine Zeit für eine Vielzahl von Namen und Begriffen, die wir kennen und verstehen müssen, um der Reformation auf die Spur zu kommen. Was verstehen wir unter Ablass? Wer war Johannes Calvin? Was bedeutet das Fegefeuer und was verstand der Reformator unter dem Priestertum aller Gläubigen?

Das Reformations-ABC gibt erste Antworten.

A

Die Feier des Abendmahls ist in allen christlichen Kirchen jeder Konfession fest in Gottesdienst und Gemeindefeier verankert. Das Teilen von Brot und Wein (oder Traubensaft) ist weltweit ein wichtiger Ausdruck des Christentums. Unterschiedliche Ansichten zum Wer, Was und Wie des Abendmahls gibt es, seit es Kirche gibt. Während der Reformation lösten diese Unterschiede in Bezug auf Theologie und Feier des Abendmahls besonders erbitterte Debatten aus. Es ging um die Gegenwart Christi im Mahl (> Ubiquität), um die Beteiligung der ganzen Gemeinde am Kelch, um Wandlung und Erinnerung. Einigkeit wurde weder zwischen Protestanten und Katholiken, noch innerhalb der reformatorischen Bewegung selbst erreicht. So kam es zu mehreren Spaltungen. Die innerprotestantischen Streitigkeiten konnten nach mehreren Jahrhunderten insofern überwunden werden, als eine gemeinsame Abendmahlsfeier der verschiedenen protestantischen Traditionen untereinander wieder möglich ist. Eine ökumenische Mahlfeier mit der katholischen Kirche steht indes noch aus.

Der Ablasshandel der mittelalterlichen Kirche war dem engagierten Theologieprofessor Martin Luther ein Dorn im Auge und veranlasste ihn dazu am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So kam es zum berühmten Thesenanschlag Luthers am Portal der Wittenberger Schlosskirche. Der Ablasshandel gegen den Luther seine Thesen richtete war ein Geschäft mit den geplagten Gewissen der Gläubigen, die die Angst vor dem Fegefeuer umtrieb. Gegen Geld konnten sie einen sogenannten Ablassbrief erwerben, der sie oder einen bereits verstorbenen Verwandten vor den Qualen des Fegefeuers bewahren sollte. Die Kirche verkaufte hier einen Bonus, der von Christus selbst, von Heiligen und Märtyrern erworben worden war und der nach römischer Auffassung der Kirche zur Verteilung zur Verfügung stand. So finanzierte die Kurie sich und ihre Projekte. Zur Zeit Luthers wurde besonders intensiv für Ablassbriefe geworben und ein Sonderablass speziell zum Bau des Petersdomes ausgelobt, für den der Dominikanermönch und Ablassprediger Johann Tetzel durch die Lande zog.

Die sogenannte Adelsschrift zählt zu den drei > reformatorischen Hauptschriften Martin Luthers aus dem Jahr 1520 und erschien unter dem Titel »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung«. Da sie in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, hatte sie eine weit größere Breitenwirkung als die theologischen und in lateinischer Sprache verfassten Lehrschriften Luthers. In der Adelsschrift entfaltet Luther die Reformbedürftigkeit der Kirche und spricht im Rahmen der Lehre vom > Priestertum aller Gläubigen die Verantwortung nicht den > Klerikern, sondern den Laien zu. Obwohl er sich primär an die > Obrigkeit richtete, sprach der Inhalt auch die einfachen Leute an. Kein Mittler, kein Priester, kein Heiliger war mehr notwendig, die Gläubigen konnten ihr Gebet direkt an Gott richten und stehen auch mit ihrem Tun verantwortlich selbst vor Gott. Kirchenkritik und die Forderung nach Reformen wurden so zum Anliegen der breiten reformatorischen Bewegung.

Martin Luthers Schwermut ist legendär. Schon als junger Augustinermönch plagten ihn Zweifel an der eigenen Erwählung und die Angst vor dem richtenden Christus: Was, wenn alles Fasten, Beichten und Beten am Ende doch keinen Bestand vor Gott haben sollte und der Zorn Gottes über das Ungenügen des Menschen die einzige Perspektive wäre? »Diese Furcht und dieser Schrecken sind von sich selbst dazu ausreichend, um die Strafe des Fegefeuers spüren zu lassen, weil sie der Angst der Verzweiflung ganz nahe kommen.« (WA 1,234,5f.), schreibt Martin Luther mit Blick auf seine Nöte. Für ihn sind es Anschläge des Teufels. Und zugleich Gelegenheiten, den Teufel zu überwinden. Denn, so Luther, erst vor dem Hintergrund dieser Dunkelheit beginne die eigentliche Suche nach dem erlösenden Wort Gottes. Und so ist es dann auch und gerade die Erfahrung dieser Abgründigkeit, die Luther schließlich zur befreienden Erkenntnis brachte, dass in Christus – ohne alles religiöse Tun – die Versöhnung zwischen Gott und Mensch bereits geschehen sei, dass also die Gerechtigkeit Gottes nicht darin bestehe, den Sünder zu strafen, sondern ihm trotz allem die Gerechtigkeit Christi als fremde Gerechtigkeit anzurechnen. Es sollte der Grundstein der Reformation, Luthers sogenannte »reformatorische Entdeckung«, werden und eines der entscheidenden Argumente gegen die Ablasspraxis, die in nichts anderem als der Angst vor dem zürnenden Gott wurzelt.

Die Geschichte der Anglikanischen Kirche beginnt mit einem Skandal. König Heinrich VIII. (1491–1547) will zugunsten einer erneuten Eheschließung die Auflösung seiner ersten Ehe durchsetzen. Der Papst weigert sich jedoch die Ehe zu beenden. Heinrich seinerseits macht daraufhin kurzen Prozess und trennt sich von Rom und vom Papst, indem er sich 1534 selbst zum Haupt der englischen Nationalkirche ernennt. Der eigentlich treue Katholik Heinrich machte so den Weg frei für Reformen, auch wenn er sicher keine Reformation herbeiführen wollte. Gegen Martin Luther hatte er sogar eine Schrift veröffentlicht und war dafür vom Papst mit dem Titel des defensor fidei, eines Verteidigers des Glaubens, ausgezeichnet worden. Der Startschuss der anglikanischen Kirche fiel durch Heinrich VIII., jedoch etablierte sie sich erst nach dessen Tod. Während der Herrschaft seines minderjährigen Sohnes Edward VI. wurden Änderungen in Liturgie und Theologie durchgesetzt. Nach Rückschlägen unter der fünfjährigen Regentschaft der katholischen Königin Mary Tudor setzte sich die Reformation Englands unter Elisabeth I. endgültig durch. Dogmatische und liturgische Änderungen wurden beschlossen und im Herrschaftsbereich Elisabeths entwickelte sich fortan der Protestantismus in jener speziellen Form (> via media), die heute die Anglikanische Gemeinschaft kennzeichnet.

Die Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis, war nicht in erster Linie als Abgrenzung zum alten Glauben gedacht. Der Hauptverfasser Philipp > Melanchthon wollte eher Material für eine Debatte mit den Altgläubigen liefern. Reformen waren das Ziel. Die protestantische Position wurde fundiert dargelegt, aber Melanchthon zeigte auch die Kontinuität zum alten Glauben und Möglichkeiten eines Entgegenkommens in bestimmten Fragen auf. Doch zu einer Diskussion kam es nicht. Nachdem die Confessio Augustana auf dem > Reichstag von Augsburg 1530 vor Kaiser > Karl V. verlesen worden war, lieferten die Altgläubigen eine Widerlegung. Eine Verteidigung des Bekenntnisses von protestantischer Seite folgte. So wurde die Confessio Augustana zum grundlegenden Glaubensbekenntnis der Protestanten, das bis heute Geltung besitzt. Inhaltlich behandelt das Bekenntnis die Schriftgemäßheit der reformatorischen Lehren und deren Übereinstimmung mit den traditionellen kirchlichen Bekenntnissen, sowie Abgrenzungen von mittelalterlichen Missständen in der Kirche und von anderen Lehren der Reformationszeit (zum Beispiel die der > Täufer).

1555 ist es offiziell: Die Protestanten dürfen gleichberechtigt neben den Gläubigen katholischer Konfession ihre Religion im > Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ausüben. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Die damit gewonnene Religionsfreiheit, die am Reichstag zu Augsburg offiziell als Augsburger Religionsfrieden festgelegt wird, gilt nicht für alle. Zwar werden auf diese Weise die gewaltsamen Auseinandersetzungen über die unterschiedlichen Konfessionen auf dem Reichsgebiet für einige Jahrzehnte beendet, aber damit ist keine individuelle Religionsfreiheit verbunden. Vielmehr entscheidet allein der jeweilige Landesherr über die Zugehörigkeit aller Bewohner seines Landes zu einer bestimmten Konfession. Wer anderer Meinung ist, hat nur das Recht, das Land zu verlassen. Ebenso wenig gilt die Religionsfreiheit für die Ausübung einer anderen als der katholischen oder der lutherischen Konfession. Bewegungen, die die > Confessio Augustana nicht anerkannt hatten, wie Täufertum und der Protestantismus reformierter Prägung, blieben vom Religionsfrieden ausgeschlossen. In den Geschichtsbüchern endet mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 das Zeitalter der Reformation.

B

> Freiheit des Christenmenschen! > Priestertum aller Gläubigen! Die Realität der Bauern und niederen Stände in den Städten sah vor 500 Jahren anders aus. Die mittelalterliche Leibeigenschaft war gang und gäbe und die Abgaben trafen die Bauernschaft teils hart und unverhältnismäßig. Da wundert es nicht, dass an vielen Orten die Ideen der reformatorischen Bewegung die schon länger geübte Kritik an den Zuständen beeinflussten. Dies geschah auf recht unterschiedliche Weise. Teils berührten sich Bauernbewegung und Reformation kaum, andernorts wurden Prediger zu Anführern der Bauern und verbanden Theologie und Sozialkritik. Auch in ihren Praktiken unterschieden sich die Aufstände, die vor allem im Südwesten sowie im Südosten des Reichs, in Schweizer Gebieten und Teilen Österreichs stattfanden. Die einen legten Programme vor und schlossen Kompromisse mit der > Obrigkeit, andere plünderten und zerstörten Klöster, Kirchen und Herrschaftssitze. Als die Gewalt eskalierte, griffen die militärisch überlegenen Herrscher ein und schlugen die Aufstände in kurzer Zeit nieder. So kam die Bewegung nach wenigen Monaten im Sommer 1525 an ihr Ende. Luther unterstützte auf literarischem Wege das harte Eingreifen der Obrigkeit und mahnte die Bauern zur Unterordnung.

Die Erfindung des Buchdruckes durch > Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts hat in hohem Maße der Verbreitung reformatorischer Ideen genutzt. Erstmals konnten Schriften vielfach und schnell gedruckt werden, da die beweglichen Metallbuchstaben das aufwändige Herstellen von ganzen Druckplatten überflüssig machten. So wurde nicht nur die von Luther übersetze Bibel (> Lutherbibel) gedruckt und breit verfügbar, sondern auch zahlreiche weitere Schriften der verschiedenen Reformatoren. Zudem wurden unzählige > Flugblätter unters Volk gebracht, die die neuen theologischen Ideen kurz und knapp und mit oft derben Karikaturen versehen verbreiteten. Vergleichbar ist die Erfindung des Buchdruckes vielleicht mit der des Internets. Das Gemeinsame der beiden Erfindungen ist der plötzliche und enorme Schnelligkeitszuwachs in Bezug auf die Verbreitung von Informationen.

Johannes Bugenhagen (1485–1558) wirkte zur Zeit Luthers in Wittenberg als Stadtpfarrer und Theologieprofessor. Von einem humanistischen Denkbild geprägt, wurde er zu einem führenden lutherischen Theologen. Herausragende Bedeutung auch über deutsche Gebiete hinaus erlangte er vor allem durch seine Kirchenordnungen für Städte und Gebiete in Norddeutschland und Skandinavien, mit denen dort die lutherische Reformation eingeführt wurde.

Bücherverbrennungen waren und sind zu jeder Zeit ein Zeichen des Protests, der Ablehnung von Inhalt und Autor und der Versuch, das gedachte Wort mit dem geschriebenen zusammen zu vernichten. In jedem Fall ist eine Bücherverbrennung ein politischer Akt. Luther und seine Gegner nutzten dieses Mittel des Protests gleichermaßen. So ließen Luthers Widersacher im Prozess mit Rom dessen Schriften verbrennen – zum Zeichen dafür, dass Luthers Worte und Gedanken, ja seine Person an sich ketzerisch sei. Luther seinerseits beantwortete den römischen Befehl zum Widerruf und seine Exkommunikation mit der Verbrennung dieser päpstlichen Mitteilung.

C

Johannes Calvin, der 1509 in Frankreich geborene Jurist und Philologe wurde nach einigen vorausgehenden Stationen (unter anderem Paris und > Straßburg zum Reformator der Stadt > Genf und zum theologischen Lehrer der Reformierten. In vielen Punkten war Calvin sich mit Luther durchaus einig, setzte aber eigene theologische Akzente. So zum Beispiel in Bezug auf das > Abendmahl, wo er gegen Luther und die Altgläubigen eine leiblichen Präsenz Jesu Christi in Brot und Wein ablehnte und stattdessen von einer geistlichen Präsenz sprach. Sein größtes Werk ist die > Institutio, eine Glaubenslehre, in der Calvin seine Theologie systematisch entfaltet. Auch in Bezug auf die Kirchenordnung setzte Calvin neue Akzente und so wurden für Gemeinden reformierter Prägung Presbyterien (Ältestenräte) und eine Ämteraufteilung mit Pfarrern, Lehrern, Presbytern und Diakonen üblich. Kritisch muss Calvins Umgang mit dem spanischen Theologen und Arzt Michael Servet gesehen werden. Dieser hatte Kritik an der Lehre der Dreieinigkeit geäußert und wurde von Calvin aufs Schärfste verfolgt und schließlich in Genf auf dem Scheiterhaufen umgebracht. Calvin wirkte jedoch nicht nur in > Genf, sondern durch seine Briefwechsel und vor allem durch die Gründung der Akademie in Genf 1559 in ganz Europa. Zahlreiche Theologen trugen die Ideen von dort aus in ihre Heimatländer, wie zum Beispiel John Knox, der Reformator Schottlands. Zahlreiche Glaubensbekenntnisse reformierter Prägung wurden von Calvin mitverfasst oder waren von seinen Ideen geprägt und schließlich wurden die Reformierten beim > Westfälischen Frieden von 1648 der katholischen und der lutherischen Konfession gleichgestellt. Calvin starb 1564 nach langer Krankheit in Genf von wo aus er seinen Beitrag zur Veränderung des Gesichts Europas beigetragen hatte.

Wenn man an Martin Luther denkt, so hat man gleich ein paar Bilder im Kopf. Da ist das Bild eines Mannes mittleren Alters mit Gelehrtenhut, dem man das gute Leben an seiner Leibesfülle durchaus ansehen kann. Oder man denkt an den jungen Mönch mit Tonsur, noch deutlich asketischer. Oder schließlich an Luther als Junker Jörg mit Bart. Es sind die Bilder Lucas Cranachs, die vielen durch den Kopf gehen. Cranach, ein aus Franken stammender Künstler, wird Hofmaler Friedrichs des > Weisen von Sachsen in Wittenberg und dort zum Illustrator der Reformation. Neben Luther porträtierte er unter anderem auch Luthers Kollegen > Melanchthon und Luthers Frau > Katharina von Bora. Jedoch schuf er nicht nur Porträts, sondern zum Beispiel auch Altarbilder oder Illustrationen von > Flugblättern und Schriften Luthers. Bis heute ist unser Lutherbild geprägt von Cranach. Auch das Logo der Reformationsdekade ist von einem Cranachporträt des Reformators inspiriert.

D

ls Devotio moderna bezeichnet man eine Frömmigkeitsbewegung des Spätmittelalters. Innerhalb dieser Bewegung engagierten sich Laien, Männer wie Frauen, die als Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben vor allem in Städten gemeinschaftlich lebten und arbeiteten. Sie durchbrachen die starre mittelalterliche Trennung zwischen Laien und Klerus. Zudem war diese Bewegung mit ihrer schlichten Frömmigkeit, sowie ihrem Einsatz für Laienbildung ein wichtiger Wegbereiter für die Anliegen der Reformation.

E

Die Reformation fand nicht nur in Wittenberg und Augsburg statt. Reformatorische Ideen wurden nicht nur in Heidelberg und Leipzig debattiert und nicht nur in Worms und Speyer verworfen. Die Reformation war ein europäisches Phänomen. In Genf wirkte Johannes > Calvin, in > Zürich Ulrich > Zwingli. In England trennte sich Heinrich VIII. vom Papst in Rom (> Anglikanismus), in Schottland verbreitete John Knox reformierte Ideen. Vor Luther hatte schon Jan > Hus in Böhmen reformatorische Ansichten vertreten und dafür in Konstanz auf dem > Konzil mit dem Leben bezahlt. Von Skandinavien bis Südfrankreich, von Ungarn bis auf die britischen Inseln, überall in Europa setzte man sich kritisch mit seinem Glauben und den althergebrachten Formen und Traditionen auseinander, forderte Beteiligung und Verstehbarkeit ein und benutzte neue liturgische Ordnungen und Bibelübersetzungen in den Landessprachen. Die Reformation hat nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa geprägt.

F

Die Vorstellung vom Fegefeuer, Läuterungsfeuer oder auch Purgatorium prägte die Vorstellungswelt der mittelalterlichen Gläubigen. Ein Ort an dem man für seine Sünden bestraft wird, bevor endgültig die Entscheidung »Himmel oder Hölle« ansteht. Altarbilder und kirchliche Wandmalereien bebilderten den Schrecken dieser Vorstellungswelt in all ihren abscheulichen Formen und Farben. Auch der Mönch Martin Luther ist dieser Vorstellungswelt verhaftet. Angst vor dem richtenden und strafenden Gott quälen ihn, bis er in der Schrift die Worte vom barmherzigen und rechtfertigenden Gott herauszulesen beginnt. Die mittelalterliche Kirche schlägt Kapital aus der Angst der Gläubigen und bietet ein bisschen Seelenfrieden zum Verkauf an. Ein > Ablass soll die Gläubigen vor dem Fegefeuer bewahren und sogar bereits Verstorbene von den Qualen der Läuterung erlösen.

Wäre Luther heute schriftstellerisch tätig, er hätte sicher ein Blog und eine Facebook-Fanseite. Seine Thesen würden sicherlich viele »Gefällt mir«-Klicks bekommen und seine Tweets hätten wohl viele Follower. Denn dass Martin Luther ein Medienmensch war, zeigt sich auch an den Mitteln, die ihm zu seiner Zeit zur Verfügung standen. Bei der Verbreitung seiner Ideen half ihm die neue Erfindung des > Buchdruckes, wodurch eine schnelle Reproduktion von Schriften möglich wurde. Doch Martin Luther betätigte sich nicht nur als Autor langer Traktate. Seine Thesen nagelte er gleich einem Statusupdate an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. Kurzgefasste Flugschriften verbreiteten seine Theologie. Denen, die selbst nicht lesen konnten, wurden sie oft vorgelesen. Weit derber ging es bei den kurzen Flugblättern zu. Einzelne Blätter, oft illustriert, brachten Luthers Meinungen zu Papst und Kirche, polemische Äußerungen sowie reformatorische Theorien unters Volk. Neben Luther bedienten sich zahlreiche Männer und auch Frauen, Mitreformatoren und Laien, Befürworter und Gegner des neuen »Druckmittels«, um ihre Ideen zu verbreiten.

»Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.« So lautet die zentrale Aussage der Schrift Luthers, die 1520 als eine der > reformatorischen Hauptschriften erschien. Und in diesem Satz ist alles »Von der Freiheit eines Christenmenschen« (so der offizielle Titel) gesagt. Luther betont die Freiheit, der zufolge kein Mensch mit frommen Werken gut vor Gott da stehen kann und die freie Rechtfertigung aus Gnade ohne menschliche Voraussetzungen. Gleichzeitig geht es ihm aber nicht um Gleichgültigkeit, sondern um Werke aus Nächstenliebe, die Folge der christlichen Freiheit sind. Gesetz und Gebot gelten für Luther weiterhin, aber im Glauben sind die Menschen zur Liebe und zum Dienst am Nächsten befreit. Nicht aus Sorge um das eigene Seelenheil, sondern als Folge der Freiheit vor Gott.

G

Die Gegenreformation oder auch katholische Reform ist ein Prozess, der etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzt. Beide Begriffe bezeichnen katholisches Eintreten gegen den Fortgang der Reformation. Dabei konnten die einzelnen gegenreformatorischen Phänomene durchaus unterschiedlich sein. Besonders wichtig für die katholische Reform ist der 1539/40 von Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden. Vor allem in Bildung und Politik übten die Mitglieder des in Spanien gegründeten Ordens schnell großen Einfluss aus und wirkten den Fortgang von Reformation und Gegenreformation in den deutschen Landen maßgeblich ein. Ein weiteres Datum im Namen katholischer Reformen ist das > Trienter Konzil, das in mehreren Etappen von 1542–1563 tagte. Auf diesem Konzil wurden zahlreiche katholische Lehren in Abgrenzung zu den Reformatoren diskutiert und fixiert.

Die Genfer hatten es nicht immer leicht mit ihrem Reformator. Und dieser, Johannes > Calvin (1509–1564), auch nicht mit den Genfern. Was den einen zu streng war, war dem anderen zu lasch. Öffentliche Tanzveranstaltungen waren dem asketischen Reformator ein Dorn im Auge, die Kirchenordnung den Bürgern zufolge überarbeitungsbedürftig. Rat und Reformator stritten sich zudem um Zuständigkeiten. Wer sollte in Kirchenfragen das letzte Wort haben? Was in Genf schließlich entstand, war eine Kirchenordnung getrennt von der städtischen Hierarchie, die vielen anderen Gemeinden zum Vorbild wurde. Eine Gemeinde mit Ältestenrat und einer Ämterordnung mit Pastoren, Doktoren, Ältesten und Diakonen, die gemeinsam die Angelegenheiten der Gemeinde verwalteten, wurde nach den Ideen Calvins aufgebaut. In der neu gegründeten Genfer Akademie erhielten Gelehrte aus ganz Europa eine Hochschulbildung und nahmen von dort die Theologie Calvins und die kirchlichen Eigenheiten Genfs mit in ihre Heimatländer. Mit seiner Wirkkraft wurde Genf zum Zentrum calvinistisch geprägter Theologie und Anlaufstelle für Theologen und Glaubensflüchtlinge mit reformiertem Hintergrund. Auch wenn das Verhältnis zwischen Genfer Bürgern und Reformator bisweilen schwierig war (Bürger der Stadt wurde Calvin erst 1559), sind Wirkkraft Genfs und die Theologie Johannes Calvins aufs engste miteinander verknüpft.

»Und da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.«
So antwortete Martin Luther 1521 auf dem Wormser Reichstag auf die Frage Kaiser Karls V., ob er seine bis dato vorgetragenen Lehren widerrufen wolle. Seither steht die Reformation wie kaum eine andere religiöse Bewegung für die Freiheit des Gewissens und gilt geradezu als Vorreiter moderner Gewissensfreiheit. Doch wer diese abstrakt als autonome Freiheit des Einzelnen gegenüber gesellschaftlichen oder religiösen Autoritäten durch Berufung auf das Gewissen verstehen würde, vergäße, dass es sich für Luther durchaus um eine »gebundene« Freiheit handelt: nämlich eine Freiheit, die in den »Worten Gottes«, dem Evangelium von der gerecht machenden Gnade Gottes, »gefangen« ist. Anders wäre für Luther auch gar nicht von einem freien Gewissen zu sprechen. Denn nach Luther ist das menschliche Gewissen unfrei, weil es als »Mitwisser« (»Gewissen« = griechisch »syn-eidesis«; lateinisch »con-scientia« = Mit-wissen) des handelnden Menschen vom Widerspruch des menschlichen Handelns gegenüber dem Willen Gottes weiß und sich als solches »ängstet« und »zittert«. Erst die frohe Botschaft des Evangeliums, dass der Widerspruch zwischen Gottes und des Menschen Handeln von Gott her durch das Versöhnungswerk Christi überwunden ist, befreit Herz und Gewissen, das sich nunmehr als beruhigtes Gewissen getrost und unbedingt gegen die religiösen und gesellschaftlichen Autoritäten seiner Zeit stellen kann.

Die Bedeutung Johannes Gutenbergs (1400–1468) für die Verbreitung der reformatorischen Ideen kann kaum hoch genug geschätzt werden. Der Mainzer hatte Mitte des 15. Jahrhunderts den > Buchdruck mit beweglichen Buchstaben erfunden. In Zeiten von »Copy and Paste« klingt das nicht annähernd so spektakulär, wie es zur Zeit der Erfindung gewesen ist. Heute sind wir es gewohnt Bücher und Texte jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung zu haben. Bibliotheken sind nicht nur randvoll gefüllt, sondern auch gut zugänglich. Buchläden, online wie offline, locken mit einem unüberschaubaren Angebot. Ein E-Book auf das mobile Lesegerät herunterladen geht zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das geschriebene Wort ist für uns Alltagsgegenstand. Zur Zeit Gutenbergs war dies anders. Bücher wurden mühsam in den Schreibstuben der Klöster kopiert oder Druckplatten für je eine Seite zeitaufwändig hergestellt. Bücher waren ein Luxusgut, das man hauptsächlich in Klöstern und Universitäten fand. Mit Gutenbergs Erfindung begann die Karriere des Buches als Massenware. Die Herstellung von Büchern wurde billiger und schneller und diese damit für ein weit größeres Publikum als bis dahin zugänglich. Die neuen Möglichkeiten nutzten auch Martin Luther, seine Kollegen und seine Gegner um ihre Ideen,Theologien, Thesen und Antithesen unters Volk zu bringen.

H

Der Heidelberger Katechismus ist ein Glaubensbekenntnis reformierter Prägung, das vom pfälzischen Kurfürst Friedrich III. in Auftrag gegeben und schließlich 1563 als offizielles Glaubensbekenntnis der Pfalz eingeführt wurde. Theologisch wurzelt der Heidelberger Katechismus unter anderem in den Ideen Johannes > Calvins und Philipp > Melanchthons. Der Katechismus ist in 129 Fragen und Antworten gegliedert, die sich mit den Grundlagen des Glaubens wie zum Beispiel dem Apostolischen Glaubensbekenntnis in verständlicher und lernbarer Weise auseinandersetzen. Bis heute wird der Katechismus in vielen vor allem reformiert geprägten Gemeinden als Bekenntnistext genutzt.

Früher war alles besser! Diesem Motto konnten die Humanisten einiges abgewinnen. Kunst und Kultur, Rhetorik, Literatur, dies alles schien den Römern und Griechen besser gelungen zu sein als den Kollegen zwischen Antike und humanistischer Gegenwart, sprich des Mittelalters. Und so machten sich humanistische Gelehrte, zunächst in Italien, dann in ganz Europa an alte Schriften und Ideale. Treu dem Motto »Ad fontes!« (> Quellen, zurück zu den) lernten sie Griechisch und Hebräisch und studierten die antiken Texte erstmals oder wieder in ihren Originalsprachen. Aus den Quellen versprachen sich die Humanisten Verbesserungen und Reform für die Gegenwart. Einige Humanisten schlossen sich später der reformatorischen Bewegung an. Der neue Umgang mit antiken Sprachen, Texten und Traditionen, die Kommunikation der Gelehrten untereinander und die Absicht zur Erneuerung wirkten begünstigend auf die Reformation.

Der um 1372 geborene Jan Hus initiierte in Böhmen eine Reformbewegung lange bevor Martin Luther zum Reformator wurde. Seine Kritik richtete sich entschieden gegen Papsttum und > Klerus. Kennzeichnend für sein Wirken war die Forderung nach dem Laienkelch. Dies meint die Beteiligung der ganzen Gemeinde nicht nur am Brot, sondern auch am Kelch während des > Abendmahls. Für seine nach Auffassung der Amtskirche ketzerischen Ideen wurde Jan Hus 1415 während des > Konzils von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt, obwohl der Kaiser ihm zuvor Reiseschutz zugesagt hatte. Jan Hus und die durch seine Ideen geprägte Bewegung der Hussiten bildeten einen der vielen Wegbereiter der reformatorischen Bewegung.

I

Die Institutio Christianae religionis (dt. Titel Unterricht in der christlichen Religion) ist das theologische Hauptwerk des Genfer Reformators Johannes > Calvin. Die Institutio ist zwischen 1536 und 1559 in insgesamt vier Auflagen und in verschiedenen lateinischen und französischen Ausgaben entstanden und erschienen. Dabei entwickelte sie sich von einem kurzen Katechismus zu einem literarischen Schwergewicht in vier Büchern mit insgesamt 80 Kapiteln. Kleinschrittig und mit großer Kenntnis der biblischen Schriften, der Kirchenväter, sowie der Ideen anderer Reformatoren und theologischer Widersacher entfaltet Calvin seine Theologie. Getragen ist diese dabei immer von seiner grundlegenden theologischen Einsicht, dass Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis des Menschen zusammen bedacht werden müssen.

J

Jesus Christus (> solus Christus) ist Zentrum reformatorischer Theologie. Lange Zeit war Luther geprägt und getrieben von einer Vorstellung Gottes als eines harten und fordernden Richters, dessen Ansprüche er als Mensch bei allem Bemühen nie erfüllen konnte. Während seiner intensiven Beschäftigung mit dem Römerbrief entdeckt Luther schließlich, dass mit der Gerechtigkeit Gottes nicht dessen Richtertätigkeit gemeint ist, sondern die gnädige Anrechnung der Gerechtigkeit Jesu Christi für jeden Menschen. Die gläubige Annahme dieser fremden Gerechtigkeit Christi wird zum Zentrum seiner Rechtfertigungslehre.

K

Ein Katechismus ist ein Lehrbuch im Kompaktformat für Unterricht oder Selbststudium, zum Erlesen und Erlernen von Glaubensinhalten. Luthers Betonung des Glaubens (sola fide) zielte auf einen verstehenden Glauben. Die Gläubigen sollten verstehen, was sie beten, was sie in der Kirche zu hören bekommen, was Bekenntnistexte und Sakramente eigentlich bedeuten. Statt blind zu vertrauen oder in staunender Anschauung zu verharren, sollte ein breit angelegtes Bildungsprogramm die Gläubigen zur Mündigkeit erziehen (Unterricht). Mittel waren unter anderem die Katechismen. Luthers Kleiner Katechismus von 1529 zielte auf den Hausunterricht, den der Hausvater im Beisein von Kindern und Gesinde praktizierte sowie auf das Selbststudium der einfachen Laien. Er war weit verbreitet und hat bis heute große Bedeutung (der Text des Kleinen Katechismus im Evangelischen Gesangbuch abgedruckt). Der Große Katechismus, ebenfalls von 1529, war dagegen zur Vertiefung für das bereits geschulte Publikum, in erster Linie für Pastoren gedacht. In den Katechismen werden Fragen zu den sogenannten Hauptstücken des Glaubens behandelt. Das sind die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und die Sakramente. Neben den Katechismen Luthers entstanden einige weitere, wie zum Beispiel der Heidelberger Katechismus.

Katharina von Bora war Tochter aus adeligem Hause und wurde, wie für adelige Töchter durchaus üblich, schon in jungen Jahren in ein Kloster geschickt. So wurde sie erst Novizin, dann Nonne. Während der reformatorischen Wirren jedoch entschied sie sich mit einigen anderen Schwestern zur Flucht aus dem Kloster, ohne zu wissen wie ihr Leben aussehen würde. Sie floh 1523 nach Wittenberg und heiratete 1525 den Reformator Martin Luther. An der Seite Martin Luthers hatte Katharina, auch Käthe genannt, eine wichtige Rolle. Sie war Mutter von sechs Kindern (von denen zwei das Erwachsenenalter nicht erreichten), zugleich auch Hausmutter für die vielen Gäste, die im Hause von Martin und Katharina unterkamen. Sie managte den großen Haushalt und stand so unterstützend an der Seite Martin Luthers. Inwiefern sie theologische Debatten mit führte oder anregte ist unklar. Sicher jedoch las sie die Schriften ihres Mannes (im Kloster hatte sie Latein gelernt) und man kann sich gut vorstellen, dass die gebildete Katharina Fragen und Kritik an Martin richtete. Entscheidend prägte sie auch das Ideal des protestantischen Pfarrhauses und die Rolle der Frau innerhalb dieses »Betriebes« mit. Ihre Bedeutung wird bildhaft im Paarportrait, das der Maler Lucas > Cranach der Ältere von den Eheleuten anfertigte. Das Bild der Pfarrfrau Katharina wirkt bis heute nach, auch wenn es über- und weitergedacht werden muss. Schließlich ist Käthe heutzutage öfter mal ein Mann oder die Rolle ist gar nicht besetzt, da Partnerin bzw. Partner selbst berufstätig sind.

Die Formula Concordiae oder Konkordienformel bildet einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Lehrfixierung der lutherischen Position nach den innerlutherischen Streitigkeiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Schrift gliedert sich in die Formulierung der eigenen lutherischen Lehre einerseits und die Abgrenzung bzw. Verwerfung anderer theologischer Positionen andererseits. Nach langen Debatten einigten sich die verschiedenen Theologen 1577 auf diesen bekenntnisartigen Text, der 1580 zusammen mit der > Confessio Augustana und älteren Bekenntnissen, die seit Jahrhunderten zur Tradition der kirchlichen Liturgie gehören, veröffentlich wurde.

L

Aus Martin Luther (1483–1546) sollte mal etwas werden. So hatte es sein Vater beschlossen. Dieser war ein Self-made-Man, der es vom Bauernsohn zum Unternehmer gebracht hatte. Für seinen Sohn Martin hatte er eine Karriere vorgesehen. Jurist, das wär doch was. Ein Gewitter macht den Plänen des anspruchsvollen Vaters der Legende nach einen Strich durch die Rechnung. Martin verspricht in Todesangst der heiligen Anna Mönch zu werden, wenn sie ihn nur errette. Martin übersteht das Gewitter und löst sein Versprechen ein, indem er 1505 mit Anfang 20 ins Kloster eintritt. Er wird ein gewissenhafter Mönch, wird zum Priester geweiht und schließlich zum Theologiestudium bestimmt. Intensive theologische und biblische Studien sowie seine persönliche Erfahrung, vor Gott auch als Mönch nicht bestehen zu können, formen in Martin Luther seine Theologie. 1517 wendet sich der Wittenberger Professor an ein größeres Publikum als das eines Hörsaals und macht sein Missfallen mit der Ablasspraxis öffentlich. Die Reformationsgeschichte nimmt ihren Lauf.
Dass der Sohn auf ganz anderen als den geplanten Wegen zu einer der wichtigsten historischen Personen werden würde, an die man 500 Jahre später noch mit Gedenkfeiern, Themenjahren, Festen, Vorträgen und Büchern erinnern würde, hätte der enttäuschte Vater sicher nicht geglaubt.

Im September 1530 erhält Martin Luther Besuch von Kurprinz Johann Friedrich I. von Sachsen auf der Veste Coburg, wo sich Luther anlässlich des Augsburger Reichstages (gezwungenermaßen als Zaungast) aufhält: Luther ist seit dem Wormser Reichstag 1521 vogelfrei und kann sich deshalb nicht selbst in Augsburg sehen lassen. Im Gepäck des Prinzen: Ein goldener Siegelring mit einem besonderen Zeichen: Einem Kreuz auf einem Herz inmitten einer Rosenblüte, gefasst von einem Ring. Es ist die späterhin sogenannte (und heute als Zeichen der lutherischen Kirchen verwendete) »Lutherrose«, die Luther von dort an seinen Briefen und Schriften als Zeichen seiner Autorschaft aufprägen sollte. – Und als Zeichen seiner Theologie: Denn wie das Siegelmotiv auch, stellt Luthers Theologie das Versöhnungswerk des Gekreuzigten (Kreuz), das es mit dem Herzen zu ergreifen gilt (Herz), als Grund der Glaubensfreude (Rose) und der Hoffnung auf immerwährend himmlische Seligkeit (goldener Ring) ins Zentrum. Das Motiv muss Luther darüber hinaus auch an seine frühen Tage als Erfurter Augustinermönch erinnert haben, wo es ihm im dortigen »Papageien- und Löwen-Fenster« vor Augen stand – damals noch unter anderen Vorzeichen: Die Rose als Erinnerungszeichen der Reinheit Mariens, die Papageien als Zeichen der gläubigen Wiedergabe der apostolischen Worte und der Löwe – gemäß dem 5. Kapitel der Offenbarung – als Zeichen Christi, des siegreichen Weltenkönigs.

In der Zeit, die Martin Luther als Junker Jörg auf der Wartburg verbrachte (1521/22), übersetze er das Neue Testament ins Deutsche und begann seine Übersetzung des Alten Testaments. Zunächst einzeln und in Teilen gedruckt, erschien 1534 die erste Gesamtausgabe der Lutherbibel. Durch Luthers Übersetzung gewann die deutsche Sprache erheblich an Einheit. Zahlreiche Dialekte aller Gegenden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bekamen eben keine eigene Übersetzung, sondern verwendeten alle gleichsam die Bibel im sogenannten Lutherdeutsch. Somit war die Übersetzung der Bibel nicht nur ein reformatorischer, sondern gleichsam auch ein literarischer und sprachlicher Meilenstein. Das »Lutherdeutsch« ist in geflügelte Worte und Ausdrucksweisen ebenso zu vernehmen wie in Bachs »Weihnachtsoratorium«. Zudem war die Lutherbibel Anstoß für zahlreiche weitere Übersetzungen der Bibel in die verschiedenen Sprachen Europas. Gottes Wort wurde Laien zugänglich. Natürlich ging dies nur Hand in Hand mit dem reformatorischen Einsatz für Bildung. Ob Zuhause durch > Katechismen, in Schulen für Jungen und auch Mädchen oder an den Universitäten, der Reformation lag viel an der allgemeinen Bildung. Nur verstehender Glaube ist wahrer Glaube. Nur wer lesen kann, dem nützt Luthers Übersetzung etwas.

M

Philipp Schwarzerdt (Melanchthon ist die griechische Übersetzung seines Nachnamens, damals sehr in Mode) lebte von 1497–1560 und war einer der wichtigsten Mitdenker und Mitstreiter Martin Luthers. Als Griechischdozent kam er an die Universität in Wittenberg und mit seinem Hintergrund als Professor und Gelehrter war Bildung für sein reformatorisches Wirken das prägende Moment. Jeder sollte befähigt werden wirklich zu verstehen, was die Bibel sagt und was in der Kirche geschieht. So setzte er sich für Schuldbildung und die Qualität der Hochschulbildung vor allem auch der angehenden Pastoren ein (bis heute lernen evangelische Theologiestudierende Griechisch, Latein und Hebräisch. Ein Stoffplan, der auf Melanchthon zurückgeht). Auch die schon im Amt befindlichen Pastoren besuchte er und legte Qualitätsstandards fest (> Visitation). Doch stieß Melanchthon nicht nur die Bildungsreformen der Reformationszeit an, sondern wirkte auch selbst als Reformator unter anderem als Autor zentraler reformatorischer Schriften. So verfasste er zum Beispiel die Loci Communes, ein umfassendes theologisches Lehrbuch sowie die > Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis, das 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg dem Kaiser vorgelegt wurde, die protestantischen Ansichten zusammenfasste und sich in den verschiedenen Ausgaben unterschiedlich stark von den katholischen, täuferischen und reformierten Positionen abhob. Nach seinem Tod wirkte seine Lesart lutherischer Theologie noch lange nach.

Die westfälische Stadt Münster kam 1534/35 durch das berüchtigte Täuferreich (> Täufer) zu zweifelhafter Berühmtheit. Die Täufer in Münster versammelten sich unter der apokalyptischen Einsicht, das himmlische Jerusalem würde in nicht allzu ferner Zukunft in Münster verwirklicht werden. Diese Kunde zog zahlreiche Gläubige an und trieb viele Münsteraner Bürger davon. Die Zustände wurden unter Jan van Leiden, dem »König« des Täuferreiches, und Jan Matthys immer zügelloser. Die Täufer stürmten die Kirchen, zerstörten Kunstwerke und lebten in zügelloser Polygamie (Vielehe). 1535 konnten die Truppen des Erzbischofs Münster erobern und die Täufer zur Verantwortung ziehen. Noch heute kann man am Turm der Münsteraner Lambertikirche eiserne Käfige sehen, in denen die verurteilten Anführer des Täuferreichs nach ihrer Hinrichtung zur Schau gestellt wurden.

N

Das Edikt von Nantes wurde im Jahr 1598 vom französischen König Heinrich IV. verabschiedet. Es beendete die Religionskriege in Frankreich, die mehr als dreißig Jahre lang zwischen Katholiken und französischen Protestanten, den sogenannten > Hugenotten getobt hatten. Das Edikt garantierte auch den Protestanten eingeschränkte Rechte, religiöser und bürgerlicher Art, schrieb aber gleichzeitig den Katholizismus als Staatskonfession fest. Aufgehoben wurde das Edikt 1685, was viele französische Protestanten ins Exil zwang, da die Toleranz gegenüber ihnen und ihrer Religionsausübung keinen weiteren Bestand hatte. Aufnahme fanden viele Hugenotten zum Beispiel in Berlin und Brandenburg, wohin Kurfürst Friedrich Wilhelm sie im Edikt von Potsdam (1685) ausdrücklich eingeladen hatte.

O

Die Obrigkeit war Adressat von Schriften, wie zum Beispiel der > Adelsschrift Luthers von 1520 (> Reformatorische Hauptschriften), sie war Gegner oder Unterstützer der Reformation, es gab die weltliche und die geistliche Obrigkeit. Insgesamt ist > die Obrigkeit also gar kein so singuläres Phänomen, wie es zunächst den Anschein hat. Schließlich wurde die Obrigkeit von menschlichen Individuen mit je eigenen Interessen und Überzeugungen vertreten. Luther interpretierte die weltliche Obrigkeit als von Gott eingesetzt und sprach ihr Verantwortung zu Missstände zu erkennen, zu benennen und zur Besserung beizutragen. Die Reformation, die in den verschiedenen Fürstentümern »von Oben« also durch Beschluss oder Bekenntnis der Obrigkeit eingeführt wurde, ist Ausdruck dieses lutherischen Obrigkeitsverständnisses. Die Religionsfreiheit, die der > Augsburger Religionsfriede 1555 festlegte, betraf ebenfalls ausschließlich die Obrigkeit. Nach dem Motto cuius regio, eius religio (wessen Land, dessen Religion) entschied das Bekenntnis der Herrschenden auch über die Konfessionszugehörigkeit der Landeskinder. Vielen blieb so nur ein Umzug oder der Konfessionswechsel. Auch in anderen Ländern wurde die Reformation von der Obrigkeit eingeführt. So zum Beispiel auch in England wo Heinrich VIII. durch seine Trennung vom Papst und von Rom einen von oben geführten Prozess der Reformen ermöglichte (> Anglikanismus/anglikanische Kirche). Die Lehre vom der Obrigkeit zu schuldenden Gehorsam war über Jahrhunderte ein innerprotestantischer Streitpunkt und beeinflusste das Verhältnis von Kirche und Staat, Gewissensgehorsam und Bürgerpflicht, Religion und Politik bis in die Neuzeit.

P

Die Lehre des Priestertums aller Gläubigen war ein wichtiger Markstein der Reformation. In der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« aus dem Jahr 1520 (> Reformatorische Hauptschriften) formulierte Luther ausführlich den Gedanken von der Unmittelbarkeit in der Beziehung der Gläubigen zu Gott. In der Folge dieser Unmittelbarkeit braucht es keinen Mittler mehr zwischen Mensch und Gott in Gestalt eines Klerikers, sondern jeder (und auch jede) Getaufte steht in Gnade und Verantwortung direkt vor Gott. Das Priestertum aller Gläubigen beinhaltet die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung sowie die grundsätzliche Fähigkeit zur Verkündigung des Wortes. Vor allem, aber nicht nur, den führenden Ständen wurden Verantwortung und eine Stimme zugesprochen, die sie nutzen und so gegen Missstände eintreten sollten.

Mit einem Protest, einer Protestatio, kamen die Vertreter der reformatorischen Bewegung zu ihrem Namen: »Protestanten«. Auf dem > Reichstag von Speyer 1529 fanden sich die Unterstützer der Reformation bedrängt von Kaiser und katholischen Territorien, die eine Rückkehr zum traditionellen Glauben und ein erneutes Verbot der reformatorischen Bewegung durchsetzen wollten. Demonstrativ reagierten die evangelischen Fürsten und Städte mit einem schriftlichen Protestakt, der nach außen den Zusammenhalt der Evangelischen deutlich machte.

Q

Zurück zu den Quellen oder in lateinischer Sprache „ad fontes!“ war ein humanistisches Leitmotiv (> Humanismus, > Renaissance). Statt mit den lateinischen Übersetzungen des Mittelalters, wollten die Humanisten Schriften in den Originalversionen vor allem in griechischer oder im Falle der Schriften der jüdischen Bibel in hebräischer Sprache lesen und mit ihnen arbeiten. Viele Werke antiker Schriftsteller und Philosophen wurden erst jetzt für das westliche Abendland entdeckt, biblische Schriften neu editiert. So auch durch den Humanisten Erasmus von > Rotterdam, der 1516 das Neue Testament in einer griechischen Edition veröffentlichte (weitere bearbeitete Auflagen folgten). Die sorgfältige und kritische Bewertung von Quellen machten sich später auch die Reformatoren zu eigen. So benutzte Martin Luther für seine Bibelübersetzung (> Lutherbibel) ebenfalls griechische und hebräische Vorlagen, statt die lateinische und im Mittelalter gängige Übersetzung zur Grundlage zu machen. Bis heute klingt dieses Motto in der Theologie nach, wenn Theologiestudierende die sogenannten alten Sprachen lernen oder moderne Bibelübersetzungen und Editionen zu immer neuen oder zumindest anderen Ergebnissen kommen. Wichtig zu wissen in Bezug auf die Übersetzungen ist, dass es weder die eine lateinische, noch die eine griechische oder hebräische Quelle gibt. Im Gegenteil gibt es unzählige Quellen, zum Beispiel in Form von einzelnen Fragmenten, Papyri und Codices von unterschiedlicher Qualität und aus verschiedenen Zeiten und Orten. Diese werden sorgsam ausgewertet und beurteilt und in immer neuen kritischen Editionen herausgegeben. Das eine Wort Gottes ist niemals einfach ein feststehender Text, sondern erfordert menschliches Nachdenken, Diskussion und Verstand. Jede Edition trifft andere Entscheidungen, jede Übersetzung ist immer auch Interpretation.

R

Als Reformatorische Hauptschriften werden die drei großen Programmschriften Luthers aus dem Jahr 1520 bezeichnet. Dies sind die sogenannte > Adelsschrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung«, die > Freiheitsschrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«, sowie die Schrift > »De captivitate Babylonica ecclesiae« (»Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche«). In diesen drei Schriften entfaltet Martin Luther wesentliche Punkte seiner reformatorischen Theologie und markiert die ihm zufolge reformbedürftigen Aspekte des mittelalterlichen Kirchenwesens.

Die Reichstage waren politische Versammlungen der Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Kaiser und Stände traten hier zusammen, berieten, schlossen Kompromisse und verabschiedeten Ergebnisse. Zu den drei Ständen zählten die Kurfürsten (sie wählten den deutschen König, der dann in der Regel vom Papst zum römischen Kaiser gekrönt wurde), sonstige geistliche und weltliche Fürsten, sowie Vertreter der freien Reichsstädte. Während der Reformationszeit kam den Reichstagen erhebliche Bedeutung zu. Hier fanden wichtige Begegnungen statt, wurden Entscheidungen getroffen und Änderungen besiegelt. Auf dem Reichstag von Augsburg 1518 wurde Luther im Rahmen seines Ketzerprozesses verhört und es wurde deutlich, dass er sich nicht so leicht davon würde überzeugen lassen, seine Thesen fallen zu lassen. Auf dem Wormser Reichstag drei Jahre später beharrte Luther mit den viel zitierten, wenn auch historisch umstrittenen Worten »Hier steh ich nun. Ich kann nicht anders« auf seiner freien Gewissensentscheidung und der Ansicht, dass er allein durch die Schrift widerlegt werden könne, nicht durch bloße Autorität. Auf dem Reichstag von 1529 in Speyer prägten die evangelischen Stände für sich den Namen > Protestanten indem sie gegen das Reformationsverbot protestierten. 1530 auf dem Augsburger Reichstag legten die Anhänger der Reformation ihr Bekenntnis (> Confessio Augustana) vor. Und 1555, abermals in Augsburg, wurde die Reformation mit dem > Augsburger Religionsfrieden amtlich und die protestantische Konfession neben der altgläubigen im Reich anerkannt.

S

Sola gratia – sola fide – sola scriptura – solus Christus. Allein durch Gnade – allein durch Glaube – allein durch die Schrift – allein durch Christus. Diese vier Formeln bezeichnen die Position der lutherischen Theologie in knapper wie ausdrucksstarker Weise. Jedoch sind diese Formeln in gewisser Weise auch paradox. Schließlich beanspruchen vier Sätze das »sola«. Doch genau diese paradox anmutende Spannung zwischen den sola-Formeln schützt vor Verabsolutierung. Glaube und Gnade können nicht auseinander gedacht werden, die Schrift ihrerseits muss vom Christuszeugnis her gelesen und interpretiert werden. Tradition, Predigten und Bekenntnisse brauchen den Bezugspunkt der Schrift, ohne dass diese jedoch fundamentalistisch und ohne Verstand zur Argumentation benutzt wird. In der Spannung der vier Eckpfeiler reformatorisch-lutherischer Theologie entsteht das Konzept von der Rechtfertigung aus Glauben, der Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes unabhängig von menschlichem Tun und Lassen, von der Schriftautorität gegenüber der beanspruchten Lehrautorität der mittelalterlichen Kirche und von der Zentralstellung Christi bei der Entscheidung strittiger Fragen.

T

Johann Tetzel (um 1460–1519) war ein PR-Profi. Der Dominikanermönch verstand etwas von Werbung, von Kundenmanipulation, wie ein Begehren für etwas zu geweckt werden kann, wovon man bisher gar nicht wusste, dass man es braucht. Er war Verkäufer und er verkaufte gut. Sein Handelsgut waren Ablassbriefe. Soweit nichts Besonderes. Einen > Ablass konnte man im Mittelalter auf vielfältige Weise erwerben. Durch Buße, durch den Besuch, das Anschauen oder Anfassen von Reliquien, durch Gebete und auch durch Geld. Unüblich war dies nicht. Aber der Ablass, den Johann Tetzel feilbot, war ein besonderer. Als Sonderablass zur Unterstützung des Baus des Petersdoms in Rom versprach er Tilgung sämtlicher Fegefeuerstrafen (> Fegefeuer), gleich wie furchtbar und unverzeihlich die vom Sünder begangenen Taten auch sein mochten. Gegen die Art von Tetzels Werbestrategie und auch gegen die Geldgier, die den Verantwortlichen – so lässt der berühmte Satz Tetzels vom klingenden Geld im Kasten und der in den Himmel springenden Seele vermuten – wichtiger schien als das Seelenheil der ihnen anvertrauten Gläubigen, zog Martin Luther ins Feld. In einem Brief an den Bischof und in seinen 95 Thesen (> Thesenanschlag) richtete sich der Wittenberger Professor entschieden gegen diese Ablasspraxis, die sich in seiner Umgebung abspielte.

Die Reformation beginnt mit einem Hammerschlag. Am 31. Oktober 1517 nagelt Martin Luther seine 95 Thesen über die Praxis des > Ablasses an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. So zumindest erinnert das Geschichtsgedächtnis an Martin Luther und den Reformationsbeginn. Ob der berühmte Thesenanschlag wirklich stattgefunden hat, lässt sich mit letzter Sicherheit nicht sagen. Klar ist, dass Martin Luther sich 1517 mit 95 Thesen gegen die Ablasspraxis der Kirche wendet, diese öffentlich macht (neben dem Anschlag der Thesen in jedem Fall auch durch deren Versand an hochrangige Bischöfe) und so die offizielle Beschäftigung mit seiner Sache und den öffentlichen Disput beginnt. Der Thesenanschlag 1517 ist ein Markstein der Geschichte und so gedenken wir 2017 mit dem 500. Reformationsjubiläum neben der geistigen und theologischen Leistung des Mönchs, Theologen und Professors Martin Luther auch den vielen anderen kleinen und großen Steinen, die neben, mit und entgegen Luther in ganz Europa, im Katholizismus, wie in den vielfältigen Formen des Protestantismus ins Rollen gebracht worden sind.

Es gibt Dinge, die gibt es nicht. Zum Beispiel den legendären Tintenfleck hinter dem grünen Kachelofen der Lutherschen Schreibstube auf der Eisenacher Wartburg. Martin Luther – seinerzeit (1521/22) als Junker Jörg im kirchenpolitischen Asyl auf der Wartburg einquartiert – soll ihn in einem Akt geistlicher Selbstverteidigung durch den Wurf eines Tintenfasses hinterlassen haben, als ihn der Leibhaftige in seiner Schreibstube durch »Lärmen und Schaben« bei seiner Übersetzungsarbeit störte. Seit 1650 berichten Quellen von dem Fleck, der heute nicht mehr vorhanden ist. Hat es ihn jemals gegeben? Und wenn es ihn gegeben hat, ist er auf den Reformator zurückzuführen? – »Mit der Tinte« habe er den Teufel vertreiben wollen – soll Luther einmal gesagt und damit eine Steilvorlage für die Geschichte vom Tintenfasswurf gegeben, die sich allerdings auch als Kommentar zu Luthers Übersetzungstätigkeit auf der Wartburg lesen lässt. Richtig ist: Für Luther war der Teufel – wie seinen Zeitgenossen auch – zeitlebens eine Realität und missliebiger Begleiter, dem er geistliche Anfechtungen und andere Widrigkeiten seelischer und physischer Art zuschrieb. Und auch das ist richtig: Luther eignete ein ungestümes Gemüt, umso mehr, wenn ihn Anfechtungen, geistliche Anschläge des Teufels, zumal in der Einsamkeit der Wartburg, plagten. Beides kommt im Bild des Tintenflecks auf das Prägnanteste zusammen und ist so geradezu zu einem abstrakten Porträt Luthers geronnen. 2009 wurde es zum Kunstereignis, als der Wuppertaler Philosophie-Performer Bazon Brock und der Hallenser Künstler Moritz Götze das Ereignis auf der Suche nach dem Verhältnis von historischer Wahrheit und modernem Evidenzbedürfnis mit 150 eigenen Tintenfasswürfen in der Lutherstube nachstellten.

»Wes das Herz voll ist, dem gehet der Mund über.« (Martin Luther, Tischreden)

Wer kennt sie nicht, die geflügelten Worte, die richtiger- oder fälschlicherweise auf den Reformator zurückgeführt werden. Viele von ihnen stammen aus Luthers Tischreden: kurze und längere Stegreifreden über theologische und alltägliche Fragen, in denen die legendäre Volks- und Lebensnähe sowie die Redegewandtheit des Reformators wie an kaum einem anderen Ort zur Geltung kommen. Luther hielt sie zu Tisch im Kreise seiner Familie, vor Freunden, Verwandten und Studenten, darunter auch der lutherische Theologe Konrad Cordatus (1480–1546), der seit 1531 mit Billigung Luthers die ersten Mitschriften besorgte. Andere folgten seinem Beispiel, so dass mit den Jahren ein Textcorpus aus über 7000 Sprüchen sowie längeren und kürzeren Argumentationsgängen entstand, das zum 20. Todestag Luthers durch den Weimarer Theologen Johannes Aurifaber (1519–1575) erstmals herausgegeben wurde. Aurifaber, der sich nach Luthers Tod um die Sammlung und Herausgabe unveröffentlichter Schriften Luthers bemühte, hatte die Reden gesammelt, gebündelt und – wo er es für nötig hielt – ergänzt und kommentiert – bisweilen so sehr, dass ihm die Nachwelt Geltungssucht und nicht zuletzt ein lebhaftes Geschäftsinteresse vorhielt. Dennoch hielt sich Aurifabers Ausgabe bis ins 19. Jahrhundert als eine Art lutherischer »Bestseller«, bis sich der Neutestamentler und Kirchenhistoriker Kurt Aland (1915–1994) um eine historisch genauere Neuausgabe bemühte. Bis heute gibt sie einen Einblick in die Gedanken- und Lebenswelt des Reformators.

Die sogenannten Täufer, Wiedertäufer oder Anabaptisten gehörten zur Reformationszeit zu den erklärten Feinden sowohl der Altgläubigen, als auch der Protestanten, lutherisch wie reformiert. Sie lehrten die Bekenntnistaufe im Erwachsenenalter, was zu Folge hatte, dass sie vielfach eine zweite Taufe vollzogen. Das führte zum Widerspruch von Reformatoren und Theologen aus allen Lagern. Die Bewegung war in der Schweiz, sowie in Süddeutschland entstanden und breitete sich von dort aus auch in nördliche Reichsgebiete sowie die Niederlande aus. Die Bewegung war sehr uneinheitlich und es gab viele kleinere Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Allen gemeinsam war jedoch die Forderung einer (erneuten) Bekenntnistaufe, sowie eine grundsätzliche Tendenz zur Absonderung von den öffentlichen Ordnungen und Organen. Auch eine Radikalisierung war für viele täuferische Gruppen prägend. So schlossen sich zum Beispiel einige den Bauernbewegungen an. Bereits seit 1525 wurden täuferische Gruppen verfolgt, was spätestens nach der Eskalation täuferischer Ideen im sogenannten Täuferreich von > Münster als einzig mögliche Verfahrensweise mit dieser Bewegung anerkannt war. Schließlich verloren die Täufer ihre Bedeutung und viele Gruppen lösten sich auf. Jedoch hatten einzelne Gruppen auch weiterhin Bestand wie die Mennoniten oder die Hutterer, deren Gemeinden sich bis heute zum Beispiel in den USA oder in Kanada finden lassen.

U

Luthers Lehre von der Ubiquität, der Allgegenwart und Präsenz Gottes, steht im Zusammenhang mit der Abendmahlslehre und der christlichen Streitfrage nach der leiblichen Anwesenheit Christi in Brot und Wein beim > Abendmahl. Der Ubiquitätslehre zufolge ist beim Abendmahl der ganze Christus präsent, in menschlicher wie göttlicher Natur, da Christus allgegenwärtig sei. Diese Sichtweise wurde vor allem von den Protestanten reformierter Prägung bestritten. Entgegen Luther vertrat Johannes > Calvin die Meinung, dass die menschliche Natur Christi nach der Himmelfahrt »zur Rechten Gottes« sitze und demzufolge im Abendmahl nicht präsent sei, wohl aber geistlich in der Hinwendung der Gläubigen zu Gott. Wieder anders lehrte Ulrich > Zwingli das Abendmahl als ein symbolisches Erinnerungsmahl. Die Streitfrage, die sich an den Einsetzungsworten Jesu (»Dies ist mein Leib …«) entzündet und eine dauerhafte Spaltung unter den Protestanten zur Folge hatte, wurde 1973 mit der Leuenberger Konkordie beigelegt, sodass die Kirchen der Reformation mittlerweile wieder gemeinsam das Abendmahl feiern können.

Ob die Mägde sich gefreut haben, unter der Woche morgens noch vor ihrer Arbeit zum Katechismusgottesdienst zu gehen? Ob die Pastoren die Kontrollen ihrer Arbeit und Tauglichkeit begrüßt haben? Ob die Jungen und Mädchen gern in die neuen Schulen gingen? JA! Das zeigt der Erfolg der reformatorischen Bewegung, zu deren Hauptthemen Unterricht und Bildung gehörten. Die Gelehrten studierten Luthers Schriften und diskutierten mit ihm und untereinander. Die einfachen Leute erfreuten sich an den oft derben Flugschriften. Die > Katechismen lehrten jeden die Hauptstücke des Glaubens. In den Universitäten verbesserten neue Lehrpläne das Studium und in den Häusern unterrichtete der Hausvater Kinder und Gesinde. So auch der Reformator Luther selbst, der zu Hause in Wittenberg seine Tischreden hielt. Ein großer Tisch mit viel Platz für alle, die im Hause Luther wohnten und arbeiteten, steht noch heute im Lutherhaus. Besucher der Luthergedenkstätten können sich gut vorstellen, wie der Reformator bei Speis und Trank am Kopfende dozierte.

V

Das Vaterunser ist für Luther das weltbeste Gebet. Er beschäftigte sich zeitlebens intensiv damit, in Predigten, Katechismen, Auslegungen und Briefen. Der Reformator nutzte es für seine private Andacht, zum Unterricht über die Hauptstücke des Glaubens, als Gebetsübung und zur Darstellung seiner Theologie. Nichts war ihm mehr zuwider als ein nur daher gesagtes Vaterunser, nichts lieber als ein aufmerksam und nachdenklich gesprochenes, bei dem die Betenden jedes Wort, vom Vater bis zum Amen, auf sich und in sich wirken lassen.

Der Begriff via media, Mittelweg, bezieht sich auf die Form von Kirche, die sich in England nach der Trennung von Rom entwickelt hat (> Anglikanische Kirche). König Heinrich VIII. (1491–1547) hatte sich primär aus privaten und politischen Interessen zum Haupt der englischen Nationalkirche gemacht und war daher weniger an der Reformation interessiert. Jedoch öffnete er durch seinen Schritt der Trennung vom Papst Türen für Reformen und Reformer. Noch zu seinen Lebzeiten wurde eine erste englische Bibelübersetzung angefertigt und autorisiert. Von nun an konnte man auch in England das Wort Gottes in seiner Muttersprache lesen oder vorgelesen bekommen. Während der Regentschaft seines Sohnes Edward VI. und vor allem unter Königin Elisabeth I. wurden in der englischen Kirche zahlreiche von Anhängern der reformatorischen Bewegung inspirierte Änderungen eingeführt. Man blieb jedoch in der Liturgie und im Amtsverständnis in vielem der römischen Tradition treu. Dadurch entstand eine Kirche, der man sowohl die Reformen der reformatorischen Bewegung als auch ihre Kontinuität zum alten Glauben anmerkt. Die Anglikanische Kirche zeichnet sich bis heute dadurch aus, dass sehr vielfältige Formen von Liturgie und Lehre unter ihrem Dach gelebt werden können.

Zum Vogelfreien wurde Luther nachdem er sich bei einer Anhörung auf dem > Reichstag von Worms 1521 erneut geweigert hatte, seine Schriften zu widerrufen. Durch Kaiser > Karl V. wurde die sogenannte Reichsacht über ihn verhängt und in dem diesbezüglichen Dokument, dem Wormser Edikt, die reformatorische Bewegung insgesamt verboten. Vogelfrei zu sein bedeutete rechtlos und ohne jeglichen Schutz durch staatliche Organe zu sein. Da dieser Status Luther zu einem leichten Ziel jeglicher Komplotte gemacht hatte, entschloss sich Luthers Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen kurzerhand den Mönch zu entführen und in Schutzhaft zu nehmen. So gelangte Luther 1521 auf die Wartburg wo er mehrere Monate als Junker Jörg verbrachte.

Die Schrift De captivitate Babylonica ecclesiae, Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche, erschien 1520 als eine der drei > reformatorischen Hauptschriften Martin Luthers. In dieser Schrift holt Luther zu einem literarischen Rundumschlag aus und schreibt gegen die bestehenden sieben Sakramente an. Nur Taufe und Abendmahl überstanden seine biblische und theologische Überprüfung. Firmung, Ehe, Priesterweihe und letzte Ölung schaffte er gleich ganz ab. Der Buße wollte er zumindest eine seelsorgerliche und nützliche Funktion nicht absprechen. Die Schrift richtete sich vor allem an theologisch vorgebildete Leser des Klerus und zwang diese, ihr Alltagsgeschäft zu hinterfragen. Die Forderung der Beteiligung der ganzen Gemeinde auch am Kelch beim > Abendmahl war nur eine der Aussagen dieser Lehrschrift, die unter den theologischen Anliegen der reformatorischen Bewegung zentral werden sollte.

W

Konzentriert und gleichsam unruhig sitzt ein Mann am Schreibtisch in einer Kammer der zugigen Burg. Das Wams sitzt etwas eng. Ungewohnt, wenn man sonst eine weite Mönchskutte trägt. Der Mann am Schreibtisch will sich konzentrieren. Er brütet über Wörterbüchern und Vokabellisten. Alte Texte, deren Sinn nicht immer offen liegt, wollen übersetzt werden. Doch wie übersetzt man in eine Sprache und damit in eine Kultur, die der von Schreiber und Geschriebenem so fern ist? Schöne oder korrekte Worte? Beides gleichzeitig ist dem Übersetzer nicht immer möglich. Und neben der Arbeit treibt ihn noch anderes um. Sorge um die eigene Zukunft und die von Wegbegleitern und Freunden. Sorge um den Fortgang der eigenen Gedanken. Was haben sie ausgelöst? Wie kann man sie so erklären, dass jeder versteht, dass es nicht um Umsturz geht, nicht um Revolution, sondern um Reform und Rückkehr zu dem, was gut und richtig ist? Ungeduldig steht der Mann auf, geht im Zimmer umher und wartet auf Nachrichten von draußen.
So verbringt Martin Luther unter dem Namen Junker Jörg mehrere Monate in Schutzhaft auf der Wartburg, versteckt vor dem Zugriff von Papst und Kaiser, gleichsam aber auch abgeschnitten von den weiteren Entwicklungen, die seine theologischen Gedanken ausgelöst haben. Er nutzt die Zeit zur Übersetzung des altgriechischen Neuen Testaments ins Deutsche. Als er von den Tumulten der thüringischen Bauernaufstände (> Bauernkrieg) hört, verlässt er die Wartburg, um gegen die Aufständischen zu predigen und erneut an den reformatorischen Debatten teilzunehmen.

Wittenberg ist als Wirkstätte des Theologieprofessors Martin Luther Zentrum und Ausgangspunkt der reformatorischen Bewegung im Reichsgebiet. An der hiesigen Universität hielt Luther seine berühmten Vorlesungen. Hier lernten Luther und Philipp > Melanchthon sich kennen und mit der Zeit schätzen. An das Portal der Wittenberger Schlosskirche schlug Luther seine Thesen gegen den > Ablass und brachte so die Reformation ins Rollen (> Thesenanschlag). Als Luther auf der Wartburg festsaß, stürmten radikale Anhänger der reformatorischen Bewegung unter der Führung von Andreas > Karlstadt, einem ehemaligen Professorenkollegen Luthers, während der Wittenberger Unruhen Kirchen um Bilder, Schmuck und Schätze zu entfernen. In Wittenberg hortete Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen seine riesige Reliquiensammlung. Hier lebten Martin und Katharina Luther mit ihrer Familie und prägten gemeinsam das Ideal des protestantischen Pfarrhauses. Durch all dies und noch mehr wurde Wittenberg auf Jahrhunderte hinaus und bis heute zum Symbol der Reformation, zum Zentrum des Gedenkens Luthers und der Reformation und zum Ziel zahlloser Touristen, Pilger und Erinnerer.

Das Wormser Edikt macht aus Martin Luther ganz offiziell einen Ketzer. Die Verurteilung Roms wurde vom Wormser Edikt in Reichsrecht übersetzt. Der kirchlichen Verurteilung folgt so die staatliche Umsetzung. Mit dem Edikt, das 1521 verabschiedet wird, nachdem Martin Luther sich geweigert hatte seine Schriften zu widerrufen, wird Luther für > vogelfrei erklärt. Er genießt fortan weder den Schutz des Kaisers, noch darf ihm jemand helfen. Seine Schriften sollen vernichtet werden, ihr Druck und gar der Besitz sind strafbar. Doch Luther und seine Sache haben Glück und das Wormser Edikt wird nicht überall durchgesetzt. Im Gegenteil. Luthers Landesherr Kurfürst Friedrich der > Weise lässt ihn auf dem Heimweg von Worms entführen und versteckt ihn für einige Monate auf der > Wartburg in Eisenach. Auch im weiteren Verlauf der Reformationsgeschichte steht und fällt die Sache der reformatorischen Bewegung mit der Intensität der Durchsetzung des Wormser Edikts.

X

Papst Leo X. war einer der Päpste zu Lebzeiten Luthers und Repräsentant des von den Reformatoren wegen Lebenswandel und Amtsführung gescholtenen > Renaissancepapsttums. In die Zeit seines Pontifikats (1513–1521) fiel der römische Prozess gegen den (aus altgläubiger Sicht) ketzerischen Theologen Martin Luther. Aufgrund politischer Verwicklungen kam der Ketzerprozess jedoch nur zögerlich in Gang. Ein Verhör in Rom wurde verhindert und stattdessen in Augsburg durchgeführt. Papst Leo X. hatte dafür den Theologen Thomas de Vio Cajetan zum Reichstag geschickt. Zunächst blieb die Weigerung Luthers zu widerrufen aufgrund des politischen Ränkespiels ohne größere Folgen und der Prozess gegen ihn wurde erst 1520 mit der > Bannandrohungsbulle »Exurge Domine« wieder aufgenommen, in der Luthers Theologie als häretisch verurteilt wurde. Endgültig besiegelten die Verbrennung seiner Schriften und die Exkommunikation Luthers in einer päpstlichen Bulle von 1521 seine Verurteilung als Ketzer.

Y

1558 starb nahe dem spanischen Kloster Yuste Kaiser > Karl V. Einige Jahre zuvor hatte er sich dorthin zurückgezogen. Karl V. hatte sich immer als Verteidiger des alten Glaubens gesehen und sich gegen die Ausbreitung der Reformation eingesetzt. Jedoch musste er den Protestanten immer wieder Zugeständnisse machen um sich deren Unterstützung zum Beispiel im Kampf gegen die Türken zu sichern. Auch wenn er einige Erfolge bei der Eindämmung der reformatorischen Bewegung verbuchen konnte, 1530 etwa die > Confessio Augustana nicht anerkannte oder zuvor die Reichsacht über den von Rom als Ketzer verurteilten Luther verhängte, so wurde die Reformation 1555 mit dem > Augsburger Religionsfrieden dennoch amtlich. In seinen letzten Jahren mischte er sich nur noch wenig in die große Politik ein und starb abseits der Weltbühne.

Z

Hauschild, Wolf-Dieter; »Lehrbuch der Kirchen/Dogmengeschichte, Reformation und Neuzeit«, Bd.2, Gütersloh 2005
Kaufmann, Thomas, »Geschichte der Reformation«, Frankfurt a.M. Leipzig 2009
Lindberg, Carter, »The European Reformations«, Malden Oxford u. a. 2010
MacCulloch, Diarmaid, »Die Reformation. 1490–1700«, München 2003
Moeller, Bernd, »Deutschland im Zeitalter der Reformation«, Göttingen 1988
Schorn-Schütte, Luise, »Die Reformation. Vorgeschichte Verlauf Wirkung«, München 2003
Stjerna, Kirsi, »Women and the Reformation«, Malden Oxford 2009

Ulrich Zwingli (1484–1531) wirkte als Reformator in Zürich und prägte mit seiner Theologie den zwinglianisch-reformierten Flügel der reformatorischen Bewegung. Der humanistisch gebildete Zwingli kam 1519 als Pfarrer an das Großmünster in Zürich. Er nahm die Schriften Luthers zur Kenntnis und kam auch selbst zu einer immer überzeugteren Kritik an den bestehenden Verhältnissen in der Kirche. Innerhalb seiner Theologie setzte er spezifische Akzente. So zum Beispiel in seiner Sakramentslehre, der zufolge die Sakramente lediglich äußere Zeichen sind. Die Taufe als äußeres Zeichen des Bekenntnisses, das Abendmahl äußeres Zeichen des gemeinschaftlichen Gedächtnisses. Über diese und andere Akzentsetzungen stritt Zwingli mit Altgläubigen und Reformatoren. Insgesamt verband Zwingli seine theologischen Ideen immer auch praktisch. So predigte er in Straßenkleidung oder brachte seine Kritik durch demonstratives Wurstessen in der Fastenzeit zum Ausdruck. Der Rat der Stadt Zürich stand dabei hinter ihm, auch das kennzeichnend für die Reformation Zwinglis, der anders als Luther die Einheit von Kirche und Stadt vertrat. Zwingli, der schon zuvor als Feldprediger gewirkt hatte, starb 1531 bei der Schlacht von Kappel, in der sich altgläubige und reformatorische Kantone gegenübergestanden haben.

In Zürich geht es um die Wurst! Ein demonstratives Wurstessen zur Fastenzeit markiert hier den Übergang der Stadt zur Reformation. Die Befürworter Ulrich > Zwinglis lassen den theologischen Überlegungen schnell Taten folgen. Fasten? Unnötig! Also her mit der Wurst. Bilder? Weg damit! Raus aus den Köpfen und den Kirchen. Die Messe? Stattdessen lieber ein Wortgottesdienst. Was sich in der Schweizer Stadt Zürich entwickelt, ist ein eigener Typus der reformatorischen Bewegung. Wesentlich geprägt durch den Stadtpfarrer Ulrich > Zwingli und seinen Nachfolger Heinrich > Bullinger. Die reformatorische Theologie Zürcher Prägung wirkte vor allem in der Schweiz und im Südwesten des Reiches. Zwischen Zwingli und Martin Luther hingegen kam es zum Streit, im Wesentlichen über das > Abendmahl, was eine Trennung der Zürcher Reformation von der reformatorischen Bewegung im Gefolge Wittenbergs und Luthers zur Folge hat. Zwingli verstand im Gegensatz zu Luther das Abendmahl als einen Gedächtnis- und Gemeinschaftsakt. Mit dieser Gemeinschaft war nicht nur die Gemeinschaft innerhalb der christlichen Gemeinde gemeint, sondern auch die Gemeinschaft innerhalb der Stadt. Politische und kirchliche Aktivitäten rückten in Zürich nah zusammen.