Evangelischer Kirchbautag
2025
Evangelischer Kirchbautag
Berlin 11.–13. September 2025
Der Evangelische Kirchbautag ist ein Arbeitsausschuss der evangelischen Kirchen in Deutschland. Er versteht sich als ein freier Zusammenschluss von Architekten, Theologen, bildenden Künstlern und anderen Persönlichkeiten, die sich für den evangelischen Kirchenbau engagieren. Inhaltlich geht es ebenso um die Bewahrung historisch wertvoller Kirchenbauten wie auch um die Weiterentwicklung des Kirchenbaus. Aus dem 19. Jahrhundert stammen das Dresdner Regulativ und das Eisenacher Regulativ als Vorschriftenkataloge.
Die erste Tagung kam 1946 auf Initiative von Gerhard Kunze zustande, auch Otto Bartning war beteiligt. Von 1947 bis 1949 fanden jährliche Tagungen statt; am Ende der vierten Tagung wurde der Kirchbautag offiziell gegründet und Oskar Söhngen zum ersten Vorsitzenden gewählt. Anfangs fanden jedes oder jeder zweite Jahr Tagungen statt, seit 1963 etwa im Dreijahresrhythmus. Die Vorträge werden in Büchern dokumentiert.
Organisatorisch war der Kirchbautag an die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (bzw. ab 2003 der Union Evangelischer Kirchen) angebunden. Seit 2007 wird er von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) betreut; Sitz war von 2007 bis 2021 das Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg. Seit 2022 ist das Kulturbüro der EKD für den Kirchbautag zuständig.
Bestimmungen, Regeln, Manifeste und Resümees zum evangelischen Kirchenbau
Schon lange vor der Etablierung des Evangelischen Kirchbautages, insbesondere in der Epoche des Historismus, haben sich Verantwortliche über den Kirchenbau Gedanken gemacht und Überlegungen angestellt, wie Kirchen in ihrer Funktion angemessen gestaltet und als Häuser Gottes ihrer Bestimmung gemäß ästhetische Wahrzeichen sein können. Dazu zählen auch rein praktische Erwägungen und landesherrliche Erlasse wie etwa der »Normalkirchenerlass« (1827) des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), wofür vorab bereits Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) und in der Nachfolge dann Friedrich August Stüler (1800–1865), Johann August Soller (1805–1853) und Carl Ferdinand Busse (1802–1868) umfangreiche Musterbücher lieferten.
Immer wieder waren es Fragen der Positionierung im Abgleich mit der Geschichte, in der Verständigung über die eigene evangelische Identität in Abgrenzung zu spezifisch katholischen Traditionen und die Suche nach einem Raum, der das aktuelle Verständnis von Kirche und Gemeinde spiegelt. Wurden in der Vergangenheit in dem Versuch, eine Einheit herzustellen, zunächst Bestimmungen, Regulative und Programme veröffentlicht, entwickelten sich mit der sich allmählich verändernden gesellschaftlichen Relevanz Ratschläge daraus. Parallel fand eine Rückbesinnung statt, die Grundsätzliches in den Mittelpunkt stellte und darin eine gemeinsame Ausrichtung anstrebte.
Seit der Etablierung des Evangelischen Kirchbautages nach dem Zweiten Weltkrieg werden immer wieder aufkommende, drängende Themen der Zeit aktiv auf den Kirchbautagen diskutiert. Wohlwissend, dass es keine gemeingültigen Antworten gibt, sondern immer wieder individuelle Lösungen gefragt sind, reagieren die aktuellen Kirchbautage auf ihre jeweiligen Fragestellungen im Anschluss mit Impulsen und Denkanstößen, um die Wahrnehmung dafür zu schärfen, dass alles seine Aufmerksamkeit braucht – auch scheinbar selbstverständliches wie die Kirche im Dorf und in der Stadt.
Hier können Sie bisherige Bestimmungen, Regeln, Manifeste und Resümees aus über 150 Jahren evangelischer Kirchenbau nachlesen.
Dresden 1856
1. Die alte Sitte, dass die Kirchen sich von Westen gegen Osten strecken und das Altarende gegen Osten haben, darf bei Anlegung neuer Kirchen nicht übersehen werden, damit die alte Sitte nicht gestört werde, wonach der Geistliche und die Gemeinde sich beim Altargebete gegen Osten wenden, und wonach die Gemeinde Gottes Wort und Segen, wenn der Geistliche ihr Solches, vom Altar aus zu ihr gewendet gibt, von Osten her empfängt.
2. Der Haupteingang in die Kirche ist durch den Thurm zu nehmen, dessen korrekteste Gestalt die nadelförmige ist und der an das Westende der Kirche gehört.
3. Der Raum, auf welchem der Altar liegt (der Chor der Kirche), muss über dem Schiffe, dem Raume für die Gemeinde, um etwas erhöht seyn, damit der Geistliche in seinen Verrichtungen am Altare vom Schiffe aus gesehen und gehört werden kann, und muss so geräumig seyn, dass er für Communionen, Confirmationen, Copulationen den nöthigen Raum ohne störende Beengung darbietet.
4. Der Altar selbst muss wieder um ein Weniges höher als der Chor liegen, so dass der Geistliche um etwas höher steht als die vor den Altar tretenden Copulanten, Communikanten u.s.w. Doch darf die Einrichtung nicht so seyn, dass der Geistliche erst Stufen herabsteigen muss, um z. B. den Communikanten das Abendmahl zu reichen.
5. Nicht der Chor, aber der Altar, und zwar der Raum vor demselben, in welchem der Geistliche steht, muss Schranken haben, an welche die Communikanten u.s.w. treten. Diese Schranken, welche nicht schwerfällig aussehen dürfen, müssen nach der Aussenseite zu mit der nöthigen Vorrichtung versehen seyn, dass die zu demselben tretenden Communikanten u.s.w. knieen können.
6. Auf den Altar gehören Decke, Pult, Lichter, Bibel, Agende und die Abendmahlsgefässe. Man hat dafür zu sorgen, dass jede Kirche die letzteren vollständig (Oblatendose, Patene, Kelch und Weinkanne) und in würdiger Form habe.
7. Die östliche Seite des Altars ist mit einem Kreuz oder einem Krucifix oder einem Altargemälde zu zieren. Aber zum Gegenstande des letzteren eignet sich nicht jeder Moment der heiligen Geschichte; es sollte stets nur eine der grossen Hauptthatsachen des Heils darstellen.
8. Der Altar muss frei liegen, so dass man um denselben herumgehen kann.
9. Die Kirche bedarf einer Sakristei, nicht als Einbau, sondern als Anbau neben dem Chor, geräumig, hell, trocken, heizbar, von angemessener Anlage und Ausstattung.
10. Beichtstühle sind zur Seite des Altars im Chor anzulegen. Für die Gemeinde bestimmtes Gestühle sollte im Chor nicht angebracht seyn.
11. Emporen, wo sie unvermeidlich sind, müssen so angebracht werden, dass sie den freien Überblick der Kirche nicht stören; auf keinen Fall dürfen sie sich in den Chor hineinziehen.
12. Völlig falsch ist es und geradezu widersinnig, die Kanzel über dem Altar anzubringen; sie gehört an eine Seite der Kirche, und zwar der Regel nach an diejenige Stelle, wo Chor und Schiff zusammenstossen.
13. Die Sitze der Gemeinde im Schiffe sind möglichst so anzubringen, dass die dort Sitzenden den Blick nach dem Altar und der Kanzel gerichtet und frei haben. Wenn die Kanzel richtig angebracht ist, wird dies wenigstens in allen nicht allzu grossen Kirchen zu erreichen seyn.
14. Die Sitze der Gemeinde sind so einzurichten, dass die Fußschemel zugleich als Knieschemel gebraucht werden können.
15. Der Zugang vom Schiffe nach dem Chore muss offen und geräumig, nicht durch Sitze versperrt seyn.
16. Die Orgel, auf welcher der Vorsänger mit dem Chore seinen Platz haben muss, hat ihren natürlichen Ort dem Altare gegenüber am Westende der Kirche.
17. In jeder Kirche muss ein Taufapparat und nicht etwa bloss ein portativer, sondern ein Taufstein seyn. Seine Stelle findet derselbe am richtigsten am westlichen Haupteingange der Kirche in einer Vorhalle. Steht dies nicht zu erreichen, so ist die richtigste Stelle für denselben da, wo man aus dem Schiffe in den Chor tritt, vor dem Altar, aber dem Schiffe näher als dem Altare.
18. Glocken sind ein nothwendiges Requisit unserer Kirchen.
19. Aller Verwendung der Kirchen und ihrer Glocken zu anderem als gottesdienstlichem Gebrauche sollte man wehren, soweit nicht die Noth anders gebietet.
20. Die Forderung architektonischer Würde des Kirchengebäudes wird einerseits nur durch einen oblongen oder in’s lateinische Kreuz gestellten Grundriss, nicht aber durch die Formen der Rotunde und des Vielecks, andererseits nur in unvermischter Durchführung eines und desselben historischen Baustyls an der einzelnen Kirche, sey es Neu- oder Umbau oder blosse Erneuerung des Alten, befriedigt. Bei Kirchen grösserer Stadtgemeinden ist die christliche Symbolik, besonders der Dreizahl in Anwendung zu bringen, überall aber darauf hinzuwirken, dass nicht nur die Ornamentik des Bauwerkes, sondern auch die kirchlichen Geräthe, Gefässe u. dergl. dem Charakter des gewählten Kirchenbaustyls entsprechen.
Barmen 1860
§ 1 Der evangelische Kirchenbau hat sich nach den Anforderungen des bekenntnismäßigen Gottesdienstes und mit Rücksicht auf die geschichtlich entwickelte christliche Bauweise zu gestalten.
§ 2 Zu den Anforderungen des bekenntnismäßigen Gottesdienstes an den evangelischen Kirchenbau gehört das Vorhandensein und die zweckmäßige Anordnung der zur Verwaltung der Gnadenmittel unentbehrlichen Bestandtheile, sowie die angemessene, namentlich für Ohr und Auge förderlichste Ausdehnung und Eintheilung des von der Gemeinde einzunehmenden Raumes.
§ 3 Die zur Verwaltung der Gnadenmittel unentbehrlichen Bestandtheile des Kirchengebäudes sind in erster Linie: Altar, Taufstein, Kanzel; in zweiter Linie: Chor, Orgel, Sakristei.
§ 4 Dem Altar ist eine erhöhte, freie Stellung zu geben; erhöht, damit er von allen Seiten sichtbar sei; frei, damit der Communiondienst unbehindert von Statten gehe. Auch dürften sich Schranken, wenigstens zur rechten und linken Seite, für die Distribution der Elemente empfehlen. Ein Crucifix ist nach lutherischer Ordnung herkömmlich, nach reformierter Anschauung zulässig und wünschenswerth, um den Altartisch als solchen zu bezeichnen. Wo über dem Altar ein Gemälde aufgestellt wird, sollte dasselbe keinen andern Gegenstand als eines der Hauptmomente der Passion Christi oder die Einsetzung des h. Abendmahls darstellen.
§ 5 Der Taufstein, nicht durch einen, zumal tragbaren hölzernen Tisch zu ersetzen, hat seine Stelle entweder in einer besonderen Kapelle an oder in der Kirche, oder bei dem Haupt-Eingang in die Kirche, dem Altarraum entgegengesetzt, oder vor dem Altarraum zwischen Altar und Gemeinde, und im letzteren Falle näher den Gemeindestühlen als dem Altar, keinesfalls aber auf der den Altarraum tragenden Erhöhung. Die Stellung des Taufsteines an dem der Kanzel gegenüberliegenden Pfeiler des Chorbogens, welche neuerlich da und dort beliebt wird, ist an sich nicht zu verwerfen, aber dem Auge weniger zusagend.
§ 6 Die Kanzel, aus Stein oder hartem Holze beschafft und, wenigstens in größeren Kirchen, mit einem Schalldeckel versehen, gehört in einem großen, mehrschiffigen Gebäude an einen Pfeiler des Hauptschiffes, der dem Altarraume näher steht, in einem kleinen, einfachen Gebäude an einen der Chorbogenpfeiler. Sie ist weder unmittelbar vor – noch hinter dem Altar aufzustellen: vor dem Altar nicht, weil sie diesen für die Mehrzahl der Gemeindeglieder verdeckt; hinter dem Altar nicht, weil sie denselben in unanständiger Weise überragt und entweder den Chorraum überflüßig erscheinen läßt oder den Prediger in zu große Entfernung von seinen Zuhörern bringt.
§ 7 Das Chor (Chornische) als besonderer Altarraum ist ein durch die Bedeutung des Altarsakraments zumal bei richtiger Orientierung der Kirche (§ 17) geheiligter Bautheil und ist auch insofern der Aufstellung des Altars im Schiff und inmitten der Gemeindestühle entschieden vorzuziehen, beschränkt sich indessen für das Bedürfnis des evangelischen Gottesdienstes auf eine nur mäßige Ausdehnung. Ein Chor auch dann zu bauen, wenn man nicht beabsichtigt, den Altar in ihm aufzustellen, ist widersinnig. Eine Kirche ohne Chor ist wie eine Kirche ohne Altar, nichts weiter als ein blosser Betsaal, und verdient den historischen Namen einer Kirche nicht.
§ 8 Die Orgel, als das den Gemeindegesang tragende und den Gottesdienst überhaupt unterstützende Instrument, findet seine würdigste Stelle hinter den Gemeindestühlen auf einer dem Altarraum gegenüber errichteten Empore. Unter Umständen mag es gerathen sein, die Orgel im Schiff der Kirche nahe dem Altarraum und unfern der Kanzel aufzustellen. Ein Mißbrauch ist es, die Orgel in das Chor zu versetzen. Es kann nicht dringend genug empfohlen werden, diesem Unfug zu wehren, und das durch eine Orgel entstellte Chor durch deren Verlegung an die ihr gebührende Stelle seiner Bestimmung zurückzugeben. Die Orgel soll ferner das dem Kirchenraum entsprechende Maass von Kraft und Mannigfaltigkeit der Register besitzen. Dem ungehörigen Streben einzelner Organisten und Orgelbauer nach Anschaffung solcher Orgelwerke ist entgegenzutreten, deren Umfang über das Bedürfniss der vorhandenen oder beabsichtigten Kirche hinausgeht und den Aufwand des neuen Kirchenbaues unnöthiger Weise vermehrt.
Außer dem für die Orgel selbst bestimmten Platz ist auch für den Singchor, welcher den Gemeindegesang leitet und nebendem auch figuraliter zu dem Gottesdienst mitwirkt, auf der Orgelempore genügender Raum auszumitteln.
§ 9 Eine Sakristei, zur Aufbewahrung der kirchlichen Bücher und Utensilien, zum Aufenthalte des Geistlichen vor, zwischen und nach den gottesdienstlichen Akten und zur Vornahme einzelner solcher Akte, ist
für diese verschiedenen Zwecke geräumig, heizbar und in kirchenwürdiger Bauform herzurichten.
Es erscheint anständiger, sie als Anbau denn als Einbau der Kirche und zwar zunächst bei Chor und Kanzel anzubringen.
§ 10 Die Einrichtung eines Thurmes ist für den Hauptzweck des Kirchengebäudes nicht erforderlich, obschon, wo die Mittel zureichen, um seiner symbolischen Bedeutung willen erwünscht; in den meisten Fällen genügt ein Glockenaufsatz (Dachreiter), um die Gemeinde zur Andacht zu berufen. Nur bei ausgedehnteren Parochialbezirken wird der Thurmbau zum gottesdienstlichen Bedürfniss, um die Glocken höher zu hängen und dadurch in erweitertem Umkreis hörbar zu machen. Auch wirkt auf die Bemessung der Thurmhöhe der Umstand ein, ob die Kirche auf einem erhabenen Orte, ob im Thal oder in einer Gebirgsmulde u.s.w. zu stehen kommt.
Die Stellung des Thurms (oder der Thürme) kann auf jeder Seite des Kirchengebäudes, auch neben ihm ganz abgesondert, stattfinden. Bei einer orientierten Kirche steht er am Angemessensten vorn an der Westseite über dem Haupteingang zur Kirche und kann in diesem Fall auch zur Ausführung einer Vorhalle und zur Einrichtung der Orgel mitbenutzt werden. Wenn es hingegen aus besonderen örtlichen Gründen, z. B. wegen der Thurmuhr, nöthig erachtet wird, dem Thurm seine Stellung auf der Ostseite der Kirche anzuweisen, so umschliesst er ganz oder theilweise das Chor.
§ 11 Weitere Emporen als die der Orgel und dem Singchor dienstbare (§ 8) sind zu vermeiden. Wo sie aber wegen der starken Gemeindebevölkerung und der beschränkten Mittel halber nicht vermieden werden können, sind sie nur an den Langseiten, nie im Chor, ferner mit ansteigenden Sitzreihen und überhaupt so anzulegen, dass Kanzel und Altar von allen Plätzen sichtbar sind, und keine für die Kanzel beengende Nähe der Empore entsteht.
§ 12 Die Sitzbänke sind, mit Freilassung eines würdigen Raumes vor dem Chor und eines bequemen mittleren Ganges nach dem Chor, im Schiff der Kirche, in angemessener Weite und so anzulegen, dass in der zwischen Kanzel und Altar etwa gelegenen Gegend die Sitze umgeschlagen und dass allenthalben die Fusschemel auch zum Knien benutzt werden können. Im Chor ist anderes Gestühle als für die Prediger und Gemeindevorsteher nicht aufzustellen.
§ 13 Ob ein besonderer Beicht- und ein Lehrstuhl (Lesepult) einzurichten ist, hängt von der bestehenden oder sich bildenden Uebung ab. Jener gehört passender in das Chor, als in die Sakristei oder das Schiff; dieser entweder bleibend vor den Altar, wo er aber den Blick der Gemeinde nach dem Altare hin nicht hindern darf, oder zu einer Seite des Chors, um für den Zweck der Katechese und ähnlicher Neben-Gottesdienste, welche des Altars nicht bedürfen, vor denselben hingerückt zu werden.
§ 14 Eine Vorhalle der Kirche, innerhalb oder ausserhalb des Portals, ist namentlich auf der westlichen (Wetter=) Seite in Gegenden, welche dem Sturm und Schneefall unterworfen sind, insonderheit für die Kirchenbesucher aus den Filialien zu empfehlen.
§ 15 Die Würde, Schönheit und Bedeutsamkeit des Kirchenbaues verwirklicht sich in den geschichtlich entwickelten christlichen Baustylen, welche, von der Basilika anhebend, einer mannigfaltigen tiefsinnigen Symbolik des christlichen Glaubens zum Ausdrucke dienen.
§ 16 Die Wahl aus diesen Baustylen für den einzelnen Fall sollte nicht sowohl dem individuellen Kunstgeschmack der Bauenden, als dem vorwiegenden Charakter der jeweiligen Bauweise der Landesgegenden folgen. Auch sollten vorhandene brauchbare Reste älterer Kirchengebäude sorgfältig bewahrt und maassgebend benützt werden.
Es ist angemessen, dass auch die einzelnen Bestandtheile des Bauwesens in seiner inneren Einrichtung, Altar, Taufstein, Kanzel, Gestühl, Orgelhaus, Gefässe und Geräthe, dem Baustyl der Kirche entsprechen.
§ 17 Die Orientierung, d. h. die Streckung der Kirche mit ihrem Haupteingang vom Westen her nach dem Chor im Osten, so dass die betende Gemeinde mit ihrem Antlitz nach dem Aufgange des Lichtes gerichtet steht, ist ein sinnvolles altes Herkommen und für den germanischen (gothischen) Styl gesetzliche Norm. Es kann jedoch diese Norm in einer mit den örtlichen Verhältnissen vereinbaren oder durch sie gebotenen Weite zwischen Nordost und Südost zur Anwendung kommen.
§ 18 Gleichwie die Basilikenform des vorchristlichen Rom für die christliche Versammlungs- und Andachtsstätte prädestinirt erscheint: so ist das längliche Rechteck gerade für den evangelischen Gottesdienst besonders dienlich und erhöht seine religiöse Bedeutung noch dadurch, dass nächst der Tribüne (Apsis, Chor, Altarnische) zwei Querarme sich an ihm ausladen und so dem Ganzen die Kreuzesform verleihen (§ 20). Die Gestalt der Rotunde hat schon den Mangel der Akustik wider sich.
§ 19 Eine Abweichung von der normalen Anlage des Kirchengebäudes ist nur durch lokale Hindernisse gerechtfertigt. Ebendeshalb ist auch schon die Wahl des Platzes mit dem Absehen darauf zu treffen, dass durch die schwierigen lokalen Bedingungen keine sachlichen Erfordernisse beeinträchtigt werden.
§ 20 Die durch die christliche Symbolik geheiligten Formen, wie des Kreuzes (§ 18), des Dreiecks, des Quadrats u.s.w., sowie die sogenannten heiligen Zahlen, Drei, Vier, Sieben, Zwölf, empfehlen sich zur Berücksichtigung im Ganzen und Einzelnen des Kirchengebäudes und sind bei massiger, sinniger Anwendung auch dem christlichen Volke leicht zum erbaulichen Verständnis zu bringen.
§ 21 Die Würde des Kirchenbaues verbietet den blossen Schein der Festigkeit und Dauer; sie fordert massives Material und zieht z. B. ein freies durchsichtiges Dachgebälke, dergleichen sich in den englischen Kirchen findet, einer verschalten und vergypsten hölzernen Decke und Wölbung vor. Jedenfalls sollte der Altarraum (Chor und Nische) massiv eingewölbt werden.
§ 22 Besonders verdient das Beispiel unserer deutschen Voreltern und unserer mitlebenden Brüder jenseits des Kanals auch darin Nachahmung, dass sie, wenn die Mittel zum vollständigen Ausbau einer Kirche noch nicht ausreichen, das Bauwesen für spätere Vollendung anlegen und lieber vorerst nur Kirche ohne Thurm oder nur ein oder zwei Schiffe ausführen, als ein Fertigmachen des Ganzen in kleineren Dimensionen beschleunigen.
§ 23 Die Bauherren (Patrone, kirchliche Orts- und Stiftungsbehörden) sollten, wie es in erfreulicher Weise da und dort bereits geschieht, immer allgemeiner ihre Pflicht der Fürsorge für edlen Kirchenbau wahrnehmen und mit richtiger Einsicht in dessen Erfordernisse bethätigen.
§ 24 Die landeskirchlichen Behörden mögen ihr Aufsichtsrecht auch in dieser Richtung anregend, belehrend und nötigenfalls verbietend ausüben. In den Händen des Kirchenregiments ruht die Leitung des kirchlichen Bauwesens sachgemäss mit mehr Sicherheit des Erfolges, als bei Staatsbehörden und deren Technikern.
§ 25 Vereine für christliche Kunst sollten in größerer Zahl gebildet und von den Kirchengemeinden und Kirchengenossen gefördert werden, um namentlich für beabsichtigte Kirchenbauten den orts- und landeskirchlichen Behörden, sowie Patronen und Stiftungen mit Rath an die Hand zu gehen und, sei es, die geeigneten Künstler zu empfehlen, sei es, die schon vorliegenden Pläne zu begutachten, einer nicht selten kostspieligen Styllosigkeit oder Stylmengerei entgegenzuwirken und sowohl die Verbreitung einfach edler Raum- und Formenverhältnisse des Kirchenbaues, als auch ein richtiges Maass des ökonomischen Aufwandes für denselben zu vermitteln.
Eisenach 1861
1. Jede Kirche sollte nach alter Sitte orientirt, d. h. so angelegt werden, dass ihr Altarraum gegen den Sonnenaufgang liegt.
2. Die dem evangelischen Gottesdienst angemessenste Grundform der Kirche ist ein längliches Viereck. Die äussere Höhe, mit Einschluss des Hauptgesimses, hat bei einschiffigen Kirchen annähernd 3/4 der Breite zu betragen, während es um so mehr den auf das akustische Bedürfnis zu nehmenden Rücksichten entspricht, je weniger die Länge das Maass seiner Breite überschreitet.
Eine Ausladung im Osten für den Altarraum (Apsis, Tribüne, Chor) und in dem östlichen Theile der Langseiten für einen nördlichen und südlichen Querarm gibt dem Gebäude die bedeutsame Anlage der Kreuzgestalt. Von Centralbauten ohne Kreuzarmansätze ist das Achteck akustisch zulässig, die Rotunde als nicht akustisch zu verwerfen.
3. Die Würde des christlichen Kirchenbaues fordert Anschluss an einen der geschichtlich entwickelten christlichen Baustyle und empfiehlt in der Grundform des länglichen Vierecks neben der altchristlichen Basilika und der sogenannten romanischen (vor-gothischen) Bauart vorzugsweise den sogenannten germanischen (gothischen) Styl.
Die Wahl des Bausystems für den einzelnen Fall sollte aber nicht sowohl dem individuellen Kunstgeschmack der Bauenden als dem vorwiegenden Charakter der jeweiligen Bauweise der Landesgegend folgen. Auch sollten vorhandene brauchbare Reste älterer Kirchengebäude sorgfältig erhalten und maassgebend benutzt werden. Ebenso müssen die einzelnen Bestandtheile des Bauwesens in seiner inneren Einrichtung, von dem Altar und seinen Gefässen bis herab zum Gestühl und Geräthe, namentlich auch die Orgel, dem Stil der Kirche entsprechen.
4. Der Kirchenbau verlangt dauerhaftes Material und solide Herstellung ohne täuschenden Bewurf oder Anstrich. Wenn für den Innenbau die Holzconstruktion gewählt wird, welche der Akustik besonders in der Überdachung günstig ist, so darf sie nicht den Schein eines Steinbaues annehmen. Der Altarraum ist jedenfalls massiv einzuwölben.
5. Der Haupteingang der Kirche steht am angemessensten in der Mitte der westlichen Schmalseite, so dass von ihm bis nach dem Altar sich die Längenaxe der Kirche erstreckt.
6. Ein Thurm sollte nirgends fehlen, wo die Mittel irgend ausreichen, und wo es daran dermalen fehlt, sollte Fürsorge getroffen werden, dass er später zur Ausführung komme. Zu wünschen ist, dass derselbe in einer organischen Verbindung mit der Kirche stehe, und zwar der Regel nach über dem westlichen Haupteingange zu ihr.
Zwei Thürme stehen schicklich entweder zu den Seiten des Chors oder schliessen sie die Westfront der Kirche ein.
7. Der Altarraum (Chor) ist um mehrere Stufen über den Boden des Kirchenschiffes zu erhöhen. Er ist gross genug, wenn er allseitig um den Altar den für die gottesdienstlichen Handlungen erforderlichen Raum gewährt.
Anderes Gestühl, als etwa für die Geistlichen und den Gemeindevorstand, und, wo der Gebrauch es mit sich bringt, der Beichtstuhl, gehört nicht dorthin. Auch dürfen keine Schranken den Altarraum von dem Kirchenschiffe trennen.
8. Der Altar mag je nach liturgischem und akustischem Bedürfniss mehr nach vorne oder rückwärts, zwischen Chorbogen und Hinterwand, darf aber nie unmittelbar (ohne Zwischendurchgang) vor der Hinterwand des Chors aufgestellt werden. Eine Stufe höher als der Chorboden muss er Schranken, auch eine Vorrichtung zum Knieen für die Confirmanden, Communikanten, Copulanden u.s.w. haben.
Den Altar hat als solchen, soweit nicht confessionelle Gründe entgegenstehen, ein Crucifix zu bezeichnen, und wenn über dem Altartische sich ein architektonischer Aufsatz erhebt, so hat das etwa damit verbundene Bildwerk, Relief oder Gemälde, stets nur eine der Hauptthatsachen des Heils darzustellen.
9. Der Taufstein kann in der innerhalb der Umfassungswände der Kirche befindlichen Vorhalle des Hauptportals oder in einer daranstossenden Kapelle, sodann auch in einer eigens dazu hergerichteten Kapelle neben dem Chor stehen. Da, wo die Taufen vor versammelter Gemeinde vollzogen werden, ist seine geeignetste Stellung vor dem Auftritt in den Altarraum. Er darf nicht ersetzt werden durch einen tragbaren Tisch.
10. Die Kanzel darf weder vor noch hinter oder über dem Altar, noch überhaupt im Chore stehen. Ihre richtige Stellung ist da, wo Chor und Schiff zusammenstossen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach aussen (dem Schiffe zu); in mehrschiffigen grossen Kirchen an einem der östlicheren Pfeiler des Mittelschiffs. Die Höhe der Kanzel hängt wesentlich von derjenigen der Emporen (13) ab, und ist überhaupt möglichst gering anzunehmen, um den Prediger auf und unter den Emporen sichtbar zu machen.
11. Die Orgel, bei welcher auch der Vorsänger mit dem Sängerchor seinen Platz haben muss, findet ihren natürlichen Ort dem Altar gegenüber am Westende der Kirche auf einer Empore über dem Haupteingang, dessen perspektivischer Blick auf Schiff und Chor jedoch nicht durch das Emporengebälke beeinträchtigt werden darf.
12. Wo Beicht- oder Lehrstuhl (Lesepult) sich findet, da gehört jener in den Chor (7), dieser entweder vor den Altar auf eine der Stufen, die aus dem Schiffe zum Chor emporführen, doch so, dass der Blick der Gemeinde nach dem Altar nicht verhindert werde, oder an einen Pfeiler des Chorbogens, um für den Zweck der Katechese, Bibelstunde u. dgl. vor den Altar hingerückt zu werden.
13. Emporen, ausser der westlichen (11), müssen, wo sie unvermeidlich sind, an den beiden Langseiten der Kirche so angebracht werden, dass sie den freien Überblick der Kirche nicht stören. Auf keinen Fall dürfen sie sich in den Chor hineinziehen. Die Breite dieser Emporen, deren Bänke aufsteigend hintereinander anzulegen sind, darf, soweit nicht die Ausladung von Kreuzarmen eine grössere Breite zulässt, 1/3 der ganzen Breite der Kirche, ihre Erhebung über den Fussboden der Kirche 1/3 der Höhe derselben im Lichten nicht überschreiten. Von mehreren Emporen über einander sollte ohnehin nicht die Rede seyn. Bei der Anlage eines Neubaues, worin Emporen vorgesehen werden müssen, ist es sachgemäss, statt langer Fenster, welche durch die Empore unterbrochen würden, über der Empore höhere Fenster, die zur Erhellung der Kirche dienen, unter der Empore niedrigere Fenster zur Erhellung des nächsten von der Empore beschatteten Raumes anzubringen.
14. Die Sitze der Gemeinde (Kirchenstühle) sind möglichst so zu beschaffen, dass von ihnen aus Altar und Kanzel zugleich während des ganzen Gottesdienstes gesehen werden können.
Vor den Stufen des Chors ist angemessener Raum frei zu lassen. Auch ist je nach dem gottesdienstlichen Bedürfnis ein breiter Gang mitten durch das Gestühl des Schiffes nach dem Haupteingange zu, oder, wo kein solches Bedürfniss vorliegt, sind 2 Gänge von angemessener Breite an den Pfeilern des Mittelschiffes oder an den Trägern der Emporen hin anzulegen. Die Basen der Pfeiler sollen nicht durch Gestühl eingefasst werden.
15. Die Kirche bedarf einer Sakristei, nicht als Einbau, sondern als Anbau, neben dem Chor, geräumig, hell, trocken, heizbar, von kirchenwürdiger Anlage und Ausstattung.
16. Vorstehende Grundsätze für den evangelischen Kirchenbau sind von den kirchlichen Behörden auf jeder Stufe geltend zu machen, den Bauherren rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen und der kirchenregimentlichen Prüfung, beziehungsweise Berichtigung, welcher sämtliche Baurisse unterstellt werden müssen, zugrunde zu legen.
Gutachten des preussischen Ministeriums der geistlichen Angelegenkeiten
Abtheilung für das Bauwesen im Königl. Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentl. Arbeiten
vom 17. 12.1861 zum Regulativ.
Die wesentlichsten Punkte dieses Gutachtens, in dem offenbar Stüler seine, auf reifere Erfahrungen im Kirchenbau gestützte, abweichende Ansicht nachträglich zur Geltung gebracht hat, lauten, wie folgt:
Zu § 2 Die Grundform der Kirche ist von ihrer Grösse und von der Gestalt des Bauplatzes abhängig. Im allgemeinen erscheint für kleine Kirchen die oblonge Form als die zweckmässigste und am wenigsten kostspielige. Für größere Kirchen, namentlich solche mit ausgedehnten Emporen, ist die Kreuzgestalt, mit gleichen Armen (griechisches Kreuz) oder mit angebautem Längsschiff (lateinisches Kreuz) und der Centralbau zu empfehlen.
Zu § 5 Die Anordnung der Eingänge ist häufig von den Wegen, die zur Kirche führen, abhängig. Eingänge an verschiedenen, besonders an einander gegenüberliegenden Seiten, sind wegen des unvermeidlichen Zuges und Raumaufwandes nicht günstig. Die Anordnungen von Vorhallen, mindestens von Windfängen, sind meistens unerlässlich.
Zu § 6 Die empfohlene Stellung des Thurmes vor dem westlichen Giebel entspricht nicht immer der Örtlichkeit und ist deshalb in keiner Zeit unbedingt festgehalten worden. Auch missbilligte Se. Majestät der hochselige König Friedrich Wilhelm IV. eine solche Stellung häufig deshalb, weil dadurch die architektonische Ausbildung des Hauptgiebels der Kirche verloren geht, auch, zumal bei Landkirchen, eine freiere, landschaftlichere Gruppierung der Gebäude-Massen der streng architektonischen nicht selten vorzuziehen ist. Jedenfalls sollte die Stellung des Thurmes zurseite des westlichen oder östlichen Giebels um so weniger ausgeschlossen bleiben, als in beiden Fällen die verschiedenen Räumlichkeiten desselben mit der Gesamtanlage in zweckmässige Verbindung gebracht werden können.
Zu § 10 Wenn es im allgemeinen gewiss richtig ist, dass die Kanzel ihre Stelle nicht im Chore selbst, sondern zunächst demselben im Schiff erhalten muss, so wird doch diese Regel bei kleinen Kirchen nicht immer festzuhalten sein. Der meist beschränkte Altarbogen erlaubt hier nicht immer das Vorrücken der Kanzel in denselben, und wiederum bieten, zumal bei Anlage von Seitenemporen, die kurzen Seitenwände des ersteren keinen Raum für die Kanzel mit ihrer Treppe, so dass es in solchen Fällen kaum vermeidlich ist, die Aufstellung der Kanzel an der östlichen Chorwand zu gestatten, eine Anordnung, welche neben dem Vorzuge der Symmetrie noch den einer guten akustischen Wirkung für sich hat. Jedoch muss dafür gesorgt werden, dass die Kanzel nicht zu hoch über dem Altar sich erhebe und noch einen freien Umgang um denselben gestatte. Nach Bunsen würde diese Stellung dem altchristlichen Gebrauch entsprechen, nach welchem der Bischof von seinem Sitz hinter dem Altar aus zur Gemeinde sprach.
Zu § 13 Die Emporen sind nicht als willkürliche Einbaue zu behandeln, sondern möglichst organisch mit der Struktur der Kirche zu verbinden. Unter denselben sind Fenster nur bei einer das Maass von 8 Fuss überschreitenden Tiefe derselben und bei verhältnismäßig großer Breite und geringer Höhe der Kirche selbst, wobei die gegenüber liegenden oberen Fenster den Raum unter den Emporen nicht hinreichend beleuchten, nothwendig. Die Erhebung der hinteren Sitzreihen über die vorderen muss 7–8 Zoll betragen.
Leipzig, Berlin 1876
a) Eine K. muss womöglich frei stehen und auf allen Seiten hinlänglich weit von anderen Gebäuden entfernt sein.
b) Wenn irgend thunlich, wähle man einen etwas erhöhten Standpunkt für die K., nie aber setze man sie tiefer als die den Zugang dazu bildende Straße.
c) Die K. sei ein längliches Viereck, als Nachbild der Arche Noah’s, sowie auch der Christ gleich sein soll einem viereckigen Stein: auch an die Stiftshütte und den Tempel Salomonis erinnert das längliche Viereck, sowie an das neue Jerusalem. Auch dachten sich die Alten die Welt viereckig und die K. soll ein Abbild der Welt sein.
d) Man kann dem K.ngrundriss auch die Form eines Kreuzes geben, welches entsteht aus der Durcheinandersteckung zweier länglicher Vierecke; dieses aber ist Symbol für die Durchdringung des alten Testaments durch das neue und ausserdem noch das Bild des Kreuzes Christi;
das Achteck ist aus Abschliessung der Zwickel des griechischen Kreuzes entstanden.
e) Der Altar stehe im Osten, vondannen das Licht kommt; ist die K. in Form des lateinischen Kreuzes gebaut, so kommt der Stamm des Kreuzes nach Westen zu liegen, das Haupt nach Osten.
f) Dem Altar gegenüber, also im Westen, liege der Haupteingang.
g) Der Altarplatz liege etwas höher als der Raum für die Gemeinde (daher der Name hohes Chor) und
sei von diesem durch Schranken getrennt.
h) Der Altar sei ein länglich-viereckiger Tisch.
i) Der Chorschluss hinter dem Altar sei halbkreisförmig oder halbpolygonförmig.
k) Die Kanzel stehe so, dass man die Predigt überall in der K. hören könne.
l) Die Orgel bringe man in der Regel im Westen an.
m) Über der Altarplatzschranke erhebe sich der Triumphbogen.
n) An der Westseite sollen bei grösseren K.n 3 Türen sein, dieselben seien aber nicht zu weit,
denn der Weg zum Himmel ist enge und schmal; vor der Thür müssen mehrere Stufen hinaufführen.
o) Aus der inneren Vorhalle in das Schiff führe eine Stufe hinab (Demüthigung vor Gott).
p) Die Mittelthür sei zweitheilig (2 Testamente); an dem stehenden Schaft sei Christus dargestellt,
der von sich selbst sagte: »Ich bin die Thür«.
q) Eine äußere Vorhalle, oder auch an ihrer Stelle ein Vorhof, sollte nie fehlen.
r) Dass eine K. in Bezug auf Konstruktion u. Form sich über die Profanbauten erheben und monumental durchgeführt sein muss, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung.
Berlin 1891
1. Die Kirche soll im allgemeinen das Gepräge eines Versammlungshauses der feiernden Gemeinde, nicht dasjenige eines Gotteshauses im katholischen Sinne an sich tragen.
2. Der Einheit der Gemeinde und dem Grundsatze des allgemeinen Priesterthums soll durch die Einheitlichkeit des Raums Ausdruck gegeben werden. Eine Theilung des letzteren in mehrere Schiffe sowie eine Scheidung zwischen Schiff und Chor darf nicht stattfinden.
3. Die Feier des Abendmahls soll sich nicht in einem abgesonderten Räume, sondern inmitten der Gemeinde vollziehen. Der mit einem Umgang zu versehende Altar muss daher, wenigstens symbolisch, eine entsprechende Stellung erhalten. Alle Sehlinien sollen auf denselben hinleiten.
4. Die Kanzel, als derjenige Ort, an welchem Christus als geistige Speise der Gemeinde dargeboten wird, ist mindestens als dem Altar gleichwerthig zu behandeln.
Sie soll ihre Stelle hinter dem letzteren erhalten und mit der im Angesicht der Gemeinde anzuordnenden Orgel- und Sängerbühne organisch verbunden werden.
Eisenach 1898
1. Die Kirche gehört auf einen offenen Platz und soll sich nicht an andere Gebäude anlehnen. Die Würde des für den Gemeindegottesdienst bestimmten Bauwerks erfordert eine ausgezeichnete und freie Stellung mit reichlichem Licht und bequemen Zugängen von mehreren Seiten.
Soweit Lage und Beschaffenheit des Bauplatzes nicht auf eine andere Richtung weisen, empfiehlt sich die Berücksichtigung der alten Sitte, nach welcher der Altarraum (Chor) der Kirche gegen Sonnenaufgang liegt.
2. Für den Grundriss wird nicht allein der erforderliche Umfang maassgebend sein können, sondern auch die Gestalt des Bauplatzes eine gewisse Rücksicht verlangen. Bei Anlage des Gebäudes, auch nach seiner Höhe, Breite und Länge, ist vorzüglich Bedacht zu nehmen einerseits auf Gewinnung eines einheitlichen, ansehnlichen Raumes, in welchem die zum Gottesdienste versammelte Gemeinde thunlichst ungehinderten Blick auf Kanzel und Altar haben kann und den dort das Amt verwaltenden Geistlichen gut versteht, andererseits auf Herstellung eines im Innern auszuzeichnenden und auch von Aussen erkennbaren Altarraumes. Für kleinere Kirchen erscheint das längliche Viereck als die zweckmässigste und am Wenigsten kostspielige Grundform.
Für grössere Kirchen, namentlich solche mit ausgedehnten Emporen ist auch die Kreuzgestalt mit gleichen oder ungleichen Armen zu empfehlen. Damit sollen der polygone Centralbau, sowie die zweischiffige, unsymmetrische Anlage nicht ausgeschlossen werden.
3. Die Würde des evangelischen Kirchengebäudes verlangt ernste und edle Einfachheit in Gestalt und Farbe, welche am Sichersten durch Anschluss an die älteren, geschichtlich entwickelten und vorzugsweise im Dienst der Kirche verwendeten Baustile erreicht wird. Neben-dem ist bei Wahl des Bausystems auf den vorwiegenden Charakter der Bauweise der Landesgegend und auf die örtliche Umgebung der Kirche zu achten. Die einzelnen Bestandteile des Baues und seine innere Einrichtung von Altar und Kanzel, bis zum Gestühl und Geräth,sowie die Orgel müssen dem Stil der Kirche entsprechen.
Brauchbare Reste älterer Kirchengebäude sollten sorgfältig erhalten und maassgebend benützt werden.
4. Der Kirchenbau erfordert dauerhaftes Material unter Ausschluss des Fachwerks und solide Herstellung ohne täuschenden Bewurf oder Anstrich. Wenn für den Innenbau die Holzkonstruktion gewählt wird, welche der Akustik besonders in der Überdachung günstig ist, so darf sie nicht den Schein eines Steinbaues annehmen. Der Altarraum ist jedenfalls massiv einzuwölben.
5. Der Haupteingang zur Kirche steht am Angemessensten in der Mitte der dem Altarraum gegenüberliegenden Schmalseite, so dass von ihm bis zum Altar sich die Längenachse der Kirche erstreckt. Mehr als ein Eingang ist bei jeder Kirche erwünscht. In den Altarraum darf von aussen unmittelbar kein Eingang führen. Zur Sicherung gegen Panik, Feuersgefahr und Luftzug sind Windfänge an den Thüren, Aufschlagen der Thüren nach Aussen erforderlich und überhaupt die baupolizeilichen Vorschriften sorgfältig zu beachten.
6. Ein Thurm sollte nirgends fehlen, wenn die Mittel irgend ausreichen. Wo es daran zur Zeit mangelt, ist Fürsorge zu treffen, dass er später zur Ausführung kommen kann, und dass das für jede Kirche erforderliche Geläute vorläufig im Giebel oder einem Dachthürmchen angemessene Unterbringung findet. Zu wünschen ist, dass der Thurm, bzw. die Thürme in organischer Verbindung mit dem Kirchengebäude stehen.
7. Der Altarraum oder Chor ist über den Boden des Kirchenschiffes um einige Stufen zu erhöhen, deren Zahl nach der Größe der Kirche zu bemessen ist. Auf die Anlage des Altarraumes, bei dem es weniger auf Tiefe als auf Breite besonders nach dem Schiff der Kirche hin ankommt, ist die größte Sorgfalt zu verwenden. Er muss für die gottesdienstlichen Handlungen, welche vor dem Altar vollzogen werden, insbesondere für Abendmahlsfeiern, Confirmationen und Trauungen genügenden Raum gewähren. Vom Kirchenschiff darf er nicht durch Schranken getrennt sein.
Weder Emporen noch festes Gestühl sollten im Altarraum angebracht werden. Die künstlerische Ausschmückung des Innern der Kirche findet hier ihre bevorzugte Stelle.
8. Der Altar muss massiv gebaut sein und frei stehen, so dass der Umgang der Kommunikanten um denselben möglich ist. Mindestens um eine breite Stufe ist er über den Boden des Altarraumes zu erhöhen. Auf den Altar gehört, soweit nicht konfessionelle Gründe entgegenstehen, ein Crucifix. Wenn über dem Altartische sich ein architektonischer Aufsatz erhebt, so hat das etwa damit verbundene Bildwerk, Relief oder Gemälde, stets nur eine der Hauptthatsachen des Heils darzustellen.
9. In Kirchen, welche besondere Taufkapellen im Vorräume oder neben dem Chor besitzen, kann der Taufstein dort belassen werden. Es darf dann ein kleiner Altar nicht fehlen. Bei Neubauten empfiehlt es sich, den Taufstein im Innern der Kirche vor den Stufen zum Altarraum, am Besten seitwärts gegenüber der Kanzel, aufzustellen. Ist der Altarraum gross, so kann der Taufstein auch dort in der Nähe der zum Schiff führenden Stufen seitwärts oder in der Mitte stehen. Durch einen tragbaren Tisch sollte er ohne Noth nicht ersetzt werden.
10. Für die Kanzel ist die richtige Stelle da, von wo der Prediger in allen Theilen der Kirche am Besten von der Gemeinde gehört und gesehen werden kann. Sie sollte aber weder vor noch hinter oder über dem Altar stehen, in größeren Kirchen überhaupt nicht im Chor. Meist steht sie am Zweckmässigsten da, wo Chor und Schiff zusammenstossen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach dem Schiff zu; in mehrschiffigen grossen Kirchen an einem dem Chor nicht zu fern liegenden Pfeiler des Mittelschiffes. Die Höhe der Kanzel richtet sich nach der Größe der Kirche und der Höhe der Emporen.
11. Die Empore für die Orgel und den Sängerchor hinter den Altar bzw. die Kanzel zu verlegen, ist aus liturgischen, ästhetischen und praktischen Gründen zu verwerfen. Meist empfiehlt sich für die Orgel die Schmalseite gegenüber dem Altarraum. Vor übermässiger Ausdehnung der Orgelempore, des Orgelprospektes, wie der Orgel selbst ist zu warnen, sofern nicht in grossen städtischen Kirchen eine breitere und tiefere Empore zur Darstellung von Tonwerken geistlicher Musik Bedürfnis wird.
12. Wo ein Lesepult sich findet, gehört es, entweder vor den Altar auf eine der Stufen, die aus dem Schiff zum Chor emporführen oder an einen Pfeiler des Chorbogens, um für den Zweck der Katechese, Bibelstunde oder dergleichen vor den Altar hingerückt zu werden. Beichtstühle sind, falls sie ausnahmsweise als Ersatz für die nicht ausreichende Sakristei vorkommen, im Chor anzulegen.
13. Die abgesehen von der Orgelempore erforderlichen Emporen sollten an den beiden Langseiten und den Kreuzarmen möglichst organisch mit der Struktur der Kirche verbunden und so angelegt werden, dass sie den freien Ueberblick nicht stören. Auch dürfen sie sich nicht in den Altarraum hineinziehen oder bis dicht an die Kanzel heranreichen. Die Tiefe der Emporen, deren Bänke aufsteigend hintereinander zu setzen sind, sollte massig gehalten werden, soweit nicht die Anlage von Kreuzarmen grössere Tiefe gestattet. Mehrere Emporen übereinander sind zu vermeiden. Bei Neubauten empfiehlt es sich, statt langer Fenster, welche durch die Emporen unterbrochen würden, über den Emporen höhere Fenster, die zur Erhellung der Kirche dienen, unter den Emporen niedrigere Fenster zur Erhellung des von den Emporen beschatteten Raumes anzubringen.
Die zu den Emporen führenden Treppen müssen ausser dem Ausgang nach aussen, auch einen Eingang in das Innere der Kirche haben. Ein Zusammentreffen mit den aus dem Schiff der Kirche führenden Ausgängen ist zu verhüten.
14. Bei Anordnung des Gestühls im Schiff der Kirche ist die Verbindung von Auge und Ohr der Gemeinde mit Kanzel und Altar und der leichte Verkehr nach den Ausgängen zu sichern. Womöglich ist überall, auch in solchen Kirchen, welche seitliche Erweiterungen haben, ein breiter Hauptgang in der Richtung der Längsachse vorzusehen, und vor den Stufen des Altarraumes ein angemessener Raum von festem Gestühl frei zu halten. Bänke mit mehr als acht Sitzplätzen bedürfen von beiden Seiten eines Eingangs.
Im Uebrigen ist die Anordnung des Gestühls von der Gestalt des Schiffs und der Stellung der Kanzel abhängig.
15. Notwendiger Nebenraum ist in jeder Kirche die Sakristei, nicht als Einbau, sondern als Anbau neben dem Altarraum, geräumig, hell, trocken, heizbar, von kirchenwürdiger Anlage und Ausstattung.
Ausser ihrem Hauptzweck, dem Geistlichen zur Sammlung und Vorbereitung für den Gottesdienst, sowie zur Bereithaltung der Geräte und Bücher für denselben zu dienen, kann sie auch als Beichtstuhl und in Filialkirchen als Sprechzimmer für die Seelsorger gebraucht und eingerichtet werden.
Bei grösseren Kirchen, wo mehrere Räume neben dem Altarraum Platz finden, kann, falls nicht eine Taufkapelle hergestellt wird, ein grösserer Raum für Bibelstunden, Kindergottesdienst und Confirmandenunterricht an die Kirche angeschlossen werden, welcher nach Bedürfnis auch für die Versammlung der Hochzeitsgäste und für Sitzungen der Kirchengemeindeorgane verwendet werden kann.
Nebenräume für Übungen des Sängerchors und für Aufbewahrung von Gerätschaften werden passender mit der Anlage des Thurmes und der Orgelempore in Verbindung gebracht.
Weitere Nebenräume, insbesondere die bauliche Verbindung der Kirche mit Pfarrhaus, Küsterwohnung und Gemeindehaus sind auszuschliessen.
16. Bei Neubauten ist überall auf Heizbarkeit der Kirche, sei es durch Öfen, sei es bei grossen Kirchen durch Centralheizungs-Anlagen Bedacht zu nehmen. Die hierfür erforderlichen Einrichtungen dürfen die kirchliche Würde des Bauwerks nicht beeinträchtigen. Bei der zunehmenden Bedeutung der Abendgottesdienste in städtischen und ländlichen Gemeinden ist die angemessene Beleuchtung der Kirche überall zu ermöglichen.
17. Die künstlerische Ausstattung des Inneren der Kirche durch sinnbildliche Zier und farbigen Schmuck der Wände und Fenster ist mehr, als dies bei evangelischen Kirchen früher zu geschehen pflegte, zu fördern. Nur sind hierbei zur Wahrung der evangelischen Kirchen geziemenden Würde und Einfachheit, Überladung, Tand und Unächtes fern zu halten. Figürliche Darstellungen sind ausser an Altar und Kanzel vorwiegend auf die Fenster zu beschränken, deren farbige Ausstattung nur die Helligkeit des Kirchenraumes nicht beeinträchtigen darf. Historische Darstellungen sollten aus der biblischen Geschichte entnommen werden, solche aus der Geschichte der Kirche nur in Vorhallen und Nebenräumen Platz finden.
Bei der religiösen Symbolik des Zieraths sind Nachahmungen der nur für katholische Kirchen geeigneten Formen zu vermeiden. Vor der hier drohenden Gefahr der Geschmacksverirrung sind Bauherrn und Baumeister zu warnen.
Eisenach 1908
1. Der Bauplatz der Kirche soll, wenn irgend möglich, eine freie Lage mit bequemen Zugängen von mehreren Seiten haben. Ist ein solcher Bauplatz nicht zu beschaffen, so ist jedenfalls dafür zu sorgen, daß die Würde der Kirche gewahrt und das Bauwerk durch die Nachbargebäude möglichst wenig beeinträchtigt wird. Namentlich ist darauf zu sehen, daß der Gottesdienst durch die Nachbarschaft nicht Belästigungen durch aussergewöhnlich geräuschvolle Gewerbebetriebe ausgesetzt ist. Soweit Lage und Beschaffenheit des Bauplatzes nicht auf eine andere Richtung weisen, empfiehlt sich die Berücksichtigung der alten Sitte, nach welcher der Altarraum der Kirche (Chor) gegen Sonnenaufgang liegt.
2. Bei der Anlage des Gebäudes ist vorzüglich auf Herstellung eines würdigen Raumes Bedacht zu nehmen, in welchem die zum Gottesdienste versammelte Gemeinde möglichst von jedem Platz aus Kanzel und Altar sehen und den dort das Amt verwaltenden Geistlichen gut verstehen kann.
Auf die Gestaltung des Grundrisses wird neben der Größe der Kirche sowie der Gestalt und Lage des Bauplatzes die beabsichtigte Anordnung des Gestühls von besonderem Einfluss sein.
3. Die Würde des evangelischen Kirchengebäudes verlangt ernste und edle Einfachheit in Gestalt und Farbe; auf den vorwiegenden Charakter der Bauweise der Landesgegend und auf die örtliche Umgebung der Kirche ist besonders mit zu achten.
Die einzelnen Bestandteile des Neubaues und seine innere Einrichtung sollen ein einheitliches Ganzes bilden.
Bei Erweiterungsbauten sind brauchbare Reste älterer Kirchengebäude und Einrichtungen sorgsam zu schonen und nach Möglichkeit massgebend zu benutzen. Ebenso sind ältere Einrichtungsgegenstände ohne Rücksicht auf die Übereinstimmung des Stils gewissenhaft zu erhalten.
4. Der Kirchenbau erfordert dauerhaftes Material und gediegene Herstellung.
Gegen die Anwendung der Holzkonstruktionen, die der Akustik günstig zu sein pflegen, ist besonders für die Bildung von Decken und Emporen nichts einzuwenden.
5. Inwieweit die für die Verkehrssicherheit in öffentlichen Gebäuden erlassenen allgemeinen polizeilichen Bestimmungen auf die Kirchengebäude anzuwenden sind, ist in jedem einzelnen Falle sorgfältig zu erwägen.
6. Wo die Mittel irgend vorhanden sind, sollte ein Turm nicht fehlen. Bei kleineren Kirchen genügt ein Dachturm. Zu wünschen ist, daß der Turm oder die Türme in organischer Verbindung mit dem Kirchengebäude stehen. Bei Zentralbauten wird sich der Turm oft durch entsprechende Bildung des Daches ersetzen lassen.
7. Wird ein besonderer Altarraum angelegt, so soll er wo irgend möglich für Abendmahlsfeiern, Konfirmationen und Trauungen genügenden Platz gewähren. Es kommt dabei weniger auf Tiefe als auf Breite, namentlich nach dem Schiff der Kirche hin, an. Der Altarraum ist über dem Boden des Kirchenschiffes mindestens um eine Stufe zu erhöhen und darf vom Kirchenschiff nicht durch Schranken getrennt werden. Emporen sollen im Altarraum im allgemeinen nicht angebracht werden; wohl aber ist unter Umständen offenes oder geschlossenes Gestühl (für Älteste, Pfarrerfamilie usw.) aus praktischen und künstlerischen Gründen zulässig. Soweit die Grundform des Gebäudes nicht entgegensteht, ist, besonders bei größeren Kirchen, der Altarraum auch von aussen erkennbar zu gestalten. In den Altarraum darf von aussen unmittelbar kein Eingang führen.
8. Sofern die Größe des Altarraumes es zulässt, ist der Fuss des Altars mindestens um eine breite Stufe über den Boden des Altarraumes zu erhöhen. Auf den Altar gehört, soweit nicht konfessionelle Gründe entgegenstehen, ein Kruzifix. Wenn sich über dem Altartische ein architektonischer Aufsatz erhebt, so empfiehlt es sich, in dem etwa damit verbundenen Bildwerk oder Gemälde eine der Haupttatsachen des Heils darzustellen.
9. Falls nicht ein besonderer Raum als Taufkapelle eingerichtet wird, ist dem Taufstein ein seiner gleichmässigen Bedeutung neben Kanzel und Altar entsprechender Platz im Innern der Kirche vor den Stufen zu dem Altarraum oder auch an einer Seite desselben zu geben.
10. Bei der Wahl des Standorts der Kanzel ist hauptsächlich darauf Bedacht zu nehmen, dass der auf der Kanzel stehende Prediger möglichst in allen Teilen der Kirche von der Gemeinde gesehen und verstanden werden kann. Wenn irgend möglich, ist der Platz der Kanzel so zu wählen, dass nicht ein Teil der Gemeinde hinter dem Rücken des Predigers zu sitzen kommt. Zu vermeiden ist, dass Emporen dicht
an die Kanzel heranrücken.
11. Die Empore für die Orgel und den Sängerchor hinter den Altar und die Kanzel zu legen, kann, obwohl sich Bedenken dagegen erheben lassen, nicht als unzulässig bezeichnet werden. Bei Herstellung der Emporen ist darauf zu achten, dass für den Sängerchor der erforderliche Raum vorhanden ist.
12. Wo ein Lesepult vorhanden ist gehört es entweder vor den Altar auf eine der Stufen, die aus dem Schiff zum Altarraum emporführen, oder an einen Pfeiler des Chorbogens. Für die Zwecke der Katechese, Bibelstunde oder dergl. ist es vor den Altar zu rücken.
13. Die Anlage von Emporen in massiger Tiefe wird vielfach geboten sein.
Liegen die Emporentreppen in besonderen Treppenhäusern, so müssen diese ausser dem Ausgange nach aussen auch eine in das Kirchenschiff führende Tür besitzen.
14. Bei Anordnung des Gestühls im Schiffe der Kirche und auf den Emporen ist der leichte Verkehr nach den Ausgängen zu sichern. Vor den Stufen des Altarraumes ist ein angemessener Raum von festem Gestühl freizulassen. Bänke mit mehr als 8 Sitzplätzen bedürfen von beiden Seiten eines Zuganges.
15. Als notwendiger Nebenraum ist in jeder Kirche die Sakristei anzusehen, die angemessen gross, hell, trocken, heizbar, von würdiger Anlage und Ausstattung hergestellt und, wo ein solcher vorhanden ist, neben dem Altarraum angeordnet und mit einem Ausgang in das Freie versehen werden muss.
Ausser ihrem Hauptzweck, dem Geistlichen zur Sammlung und Vorbereitung für den Gottesdienst, sowie zur Bereithaltung der Geräte und Bücher für ihn zu dienen, kann sie namentlich in Filialkirchen auch als Sprechzimmer für den Seelsorger gebraucht und eingerichtet werden.
Bei grösseren Kirchen ist der Anschluss eines Raumes für Bibelstunden, Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht an die Kirche erwünscht, der nach Bedürfnis auch für die Versammlung der Hochzeitsgäste und für Sitzungen der Kirchengemeindeorgane verwendet werden kann.
Die angemessene bauliche Verbindung der Kirche mit Pfarrhaus, Küsterwohnung und Gemeindehaus ist nach Lage der örtlichen Verhältnisse nicht zu beanstanden.
16. Bei Neubauten ist überall auf Heizbarkeit der Kirche Bedacht zu nehmen. Die hierfür erforderlichen Einrichtungen dürfen die kirchliche Würde des Bauwerks nicht beeinträchtigen.
Bei der zunehmenden Bedeutung der Abendgottesdienste ist überall für eine angemessene Beleuchtung der Kirche Sorge zu tragen.
Bei der Anlage von Sammelheizungen ist für eine angemessene Entlüftung des Kirchenraumes zu sorgen. Im übrigen sind stets Luftscheiben in genügender Zahl und sogenannte Sommertüren vorzusehen.
17. Bei der Ausgestaltung des Kircheninnern ist Überladung fernzuhalten. Dagegen soll auf angemessenen Schmuck in Form und Farbe, besonders bei den Einrichtungsgegenständen, sowie auf sinnbildliche Zier nicht verzichtet werden. Nachahmungen der nur für katholische Kirchen geeigneten Formen sind bei der religiösen Symbolik des Zierates zu vermeiden. Mit figürlichen Darstellungen ist da, wo geeignete Kräfte zu ihrer Ausführung nicht vorhanden und die Mittel beschränkt sind, vorsichtig zurückzuhalten. Es empfiehlt sich, bei Ausstattung mit kirchlichem Schmuck, Geräten und Bekleidungsgegenständen anstatt fabrikmässig hergestellter Ware sich individuell schaffender Künstler zu bedienen.
Durch Glasmalerei darf die erforderliche Helligkeit nicht beeinträchtigt werden. Bei kleineren Kirchen werden die Glasgemälde im allgemeinen auf den Altarraum zu beschränken sein. Vor überflüssigen und minderwertigen Glasmalereien ist zu warnen. Geschichtliche Darstellungen sollen vorwiegend der biblischen Geschichte, möglichst nach einem einheitlichen Plane geordnet, entnommen werden. Wo grössere Mittel aufgewendet werden können, sollten sie statt für Prunk und Luxus für hervorragende Kunstwerke der Freskomalerei und Plastik verwendet werden.
Magdeburg 1928
1. Der evangelische Kultraum ist nicht schlechthin »Predigtkirche«, sondern Stätte einer Selbstkundgebung Gottes und des Verkehrs mit ihm und daher als Ganzes sakraler Raum und einheitlich als solcher zu gestalten.
2. Der Zielstrebigkeit des Glaubens und des Gottesdienstes der Gemeinde entspricht es, dass auch der Raum dennoch zugleich eine gewisse Zielstrebigkeit hat.
3. Durch Heraushebung eines bevorzugten Teiles des einheitlichen Raumes als Gnadenmittelstätte wird der Gemeinde am besten veranschaulicht, dass dem menschlichen Ich das göttliche Du gegenübertritt. Doch muss auf seine innige Verbindung mit dem Gemeinderaum besonderer Wert gelegt werden.
4. In Gemeinden lutherischer Observanz wird darin dem Altar, dem symbolischen Repräsentanten des in Christi Todesopfer gegebenen objektiven Heiles, als der Grundlage auch des gesamten kultischen Handelns, die Hauptstelle zukommen.
5. Eine Überordnung der Kanzel, wie sie im Kanzelaltar geschieht, ist für jene nicht angemessen, da die Predigt nur eine, wenn auch besonders wichtige Darbietungsform von Gotteswort ist. Am besten wird ihr eine mehr amboartige Gestaltung und Aufstellung nach altchristlichem Vorbild unmittelbar vor der Gemeinde gegeben, sei es in der Mittelachse, sei es etwas seitlich davon, etwa korrespondierend mit einem Lesepulte.
6. Der Taufstein als Stätte eines Sakramentes hat Anspruch auf einen Platz im Altarraum; ein geeignetes Gegenstück zur Kanzel ist er nicht.
7. Auf die Möglichkeit, den Kirchenraum nach Bedürfnis zu erweitern oder zu verengern, ist stets Bedacht zu nehmen.
8. Emporen sind als Mittel zu zeitweiser Raumerweiterung zu behandeln.
Kunst-Dienst, Dresden 1931
1. Die Voraussetzung
Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit sind die Voraussetzung aller religiösen Gestaltung. Nicht allein zeitgemässe Kunstanschauungen, nicht nur zeitbedingte Wirtschaftsnot sondern vor allem die stets gültige evangelische Grundhaltung muss die Ablehnung aller Verschwendung in den Mitteln, allen Selbstbetruges im Hinblick auf die ernste, religiöse Situation und aller Selbstherrlichkeit der Gestalter und der Gemeinden zur selbstverständlichen Folge haben.
2. Der evangelische Kultbau
Auf Grund solcher Einstellung müssen die in letzter Zeit wieder häufig werdenden Monumentalbauten als abwegig betrachtet werden. Eine kommende Zeit wird diese sogenannten »Millionenobjekte«, nicht höher einschätzen als die Kirchenbauten der Gründerzeit, von der wir doch alle glauben, dass sie innerlich überwunden sei. Dieser Aufwand an Mitteln, dieser Kirchenkomfort an gepolsterten Sitzen, temperiertem Taufwasser, Lichteffekten und dynamischen Baumassen lässt sich vor dem unbestechlichen religiösen Gewissen nicht mit künstlerischen, hygienischen oder ähnlichen Gesichtspunkten rechtfertigen.
Das Gotteshaus muss heute sowohl in seiner äusseren Erscheinung als auch in seiner räumlichen Wirkung von grösster Schlichtheit überzeugen. Es bedeutet eine Verkennung der religiösen Aufgabe, den Kirchbau in einen Wettstreit mit den profanen Monumentalbauten der Großstädte treten zu lassen.
Die Kultbaufrage ist mehr als jede andere Bauaufgabe in unserer Zeit eine Frage des Raumes. Alle Erneuerungsversuche werden vom Innern, vom Raum ausgehen. Es erscheint notwendig, zahlreichen Architekten, die heute oft ohne inneren Zwang vor die Aufgabe des Kultbaues gestellt werden, diese Tatsache mit aller Deutlichkeit zum Bewusstsein zu bringen. Nur die Verkennung dieser Tatsache bringt es mit sich, dass heute wieder so zahlreiche »Hochburgen« entstehen. Aus solchen Beweggründen wird heute den Kirchtürmen noch immer eine ungebührlich grosse Bedeutung beigemessen. Der Kirchturm hat in kleineren Ortschaften und auf dem Lande seine volle Berechtigung. In den Städten hat das Glockengeläut eine geringere Bedeutung; der Kirchturm wird infolgedessen leicht zu einem dekorativen Motiv. Jedenfalls kann doch daran erinnert werden, daß der Turm das Gotteshaus nicht ausmacht und daß ein Kultbau auch ohne den Turm seine Zweckbestimmung voll und ganz zum Ausdruck bringen kann. Selbst die Geschichte des Kirchenbaues kennt in dieser Richtung eindrucksvolle Beispiele. Im übrigen sollte jede Gemeinde ernstlich prüfen, ob sie in der Lage ist, in der heutigen Zeit die Kosten eines hohen Turmes, der meist einen nicht geringen Anteil der ganzen Bausumme beansprucht, zu verantworten. Es gibt in unserer Zeit nicht allzuviele Kirchenbauten, die mit den zeitgemässen Mitteln der Bautechnik errichtet worden sind und die als Beispiel eines neuen Bauwillens angesehen werden können. In den meisten Fällen kommt ein unheilvoller Kompromiss von oberflächlichem Modernismus, und historischen Erinnerungen zustande. Auf diese Weise werden Material und Konstruktion leicht zu lediglich dekorativer Wirkung mißbraucht. So kann man noch immer Wölbekonstruktionen begegnen, die zwar in Beton ausgeführt worden sind, die aber immer noch die statisch nicht zu begründende Form des Spitzbogens aufweisen. Noch immer täuschen Klinkerverblendungen und Rabitzgewölbe materialgerechte Baukonstruktionen vor.
3. Kanzel und Altar
Um die Stellung von Kanzel und Altar im Kultbau wird seit den Tagen der Reformation lebhaft gestritten. Man darf wohl sagen, daß zur Zeit das Übergewicht der Kanzel keineswegs zu rechtfertigen ist. Deshalb sollte auf die wenig glückliche Form des Schmalkaldischen Kanzelaltars, d.h. auf die Anordnung der Kanzel über dem Altar, von vornherein verzichtet werden. Ebenso wird die hochkirchliche Auffassung, den Altar auf einen Stufenberg zu entrücken, dem gläubigen Realismus unserer Zeit nicht gerecht. Während die Anordnung des Kanzelaltares die Predigt überschätzt, betont die hochkirchliche Anordnung einseitig die Liturgie. So wie der Gottesdienst Predigt und Feier als gleichwertig ansehen muß, so wird auch der architektonische Ausdruck dieses Prinzips ein Gleichgewicht von Kanzel und Altar sein müssen. Es ist durchaus denkbar, daß dieses Gleichgewicht den Verzicht einer streng auf Achse gestellten Anordnung des protestantischen Kultraumes und Kulthauses zur Folge hat. Doch eine solche Asymmetrie würde nicht nur der Form des Gottesdienstes, sondern auch der protestantischen Situation durchaus entsprechen. Man sollte nicht vergessen, daß – wie auch manche andere Überlieferung im Kirchenbau – die Bemühungen um die Symmetrieachse im Kultraum einer vielleicht nicht mehr zu rechtfertigenden Raum-Vorstellung des Katholizismus entsprechen. Weder der Kanzel noch dem Altar, noch irgend einem anderen Ort im protestantischen Gotteshaus kommt ein Heiligkeitscharakter zu. Der Altar ist »der Tisch des Herrn«, die Kanzel der Ort der Verkündigung. Ebenso wie der Geistliche und die Gemeinde, stehen Kanzel und Altar im gleichen Dienst. Solche Deutung läßt es nicht zu, Kanzel und Altar der Gemeinde mit Hilfe von Form- und Lichtzauber gleichsam als Götzenbild gegenüberzustellen.
4. Taufstein und Tauftisch
Man muß heute zwischen dem Taufstein und dem Tauftisch deutlich unterscheiden. Der Taufstein steht unverrückbar im Raum und bildet so einen wichtigen religiösen und baulichen Teil des Ganzen. Form und Material müssen diesem Umstand Rechnung tragen. Hingegen erfordert die Beweglichkeit des Tauftisches keinen festbezeichneten Standort. Nach Bedarf kann er an die erforderliche Stelle gebracht werden. Material und Gestaltung müssen dieser leichten Beweglichkeit angepasst sein. Nur allzuoft werden diese beiden Funktionen des Taufsteines und des Tauftisches vom Gestalter verkannt.
5. Licht
Der protestantische Kirchenraum sei hell und klar. In dieser Beziehung spielen die natürliche und die künstliche Beleuchtung des Kultraumes eine bedeutende Rolle. Oft werden in ihrer Klarheit überzeugende Kirchenräume neuzeitlicher Architekten durch die gotisierenden Glasmalereien gegenwartsfremder Maler um ihre ganze Wirkung gebracht. Während die mittelalterliche Glastechnik zur Bewältigung grösserer Fensterflächen sich der Bleiverglasung bedienen musste und aus diesen technischen Gegebenheiten eine hochstehende Kunst entwickelte, bedeutet heutigentags die Beibehaltung dieser Methoden eine nicht ungefährliche Romantik. Die Glasindustrie hat gerade in der letzten Zeit eine grundlegende Veränderung ermöglicht, so daß wir heute in der Lage sind, große Fensterflächen fast sprossenlos zu verglasen. Selbst farbige Glasscheiben werden neuerdings in sehr großen Ausmassen hergestellt. Da wo es notwendig ist, kann die künstlerische Bearbeitung des Glases in der zeitgemässen Form des Aetzens und Schleifens vorgenommen werden. Diese neuen Verglasungs- und Bearbeitungsmethoden schließen schon von vornherein das mystische Halbdunkel aus, in das noch heute viele Architekten ihre Kirchenräume hüllen. Bei der Anlage der künstlichen Beleuchtung sollte kein anderer Gesichtspunkt massgebend sein als der, den Raum ausreichend zu erhellen. Da es doch notwendig ist, im Gesangbuch zu lesen, so ist dies eine Forderung, der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Rechnung getragen werden muss. Man vermeide alle Beleuchtungskörper nach Art der Kronleuchter; aber auch die jetzt häufigen Versuche, mit Hilfe raffinierter Effekte magische Wirkungen zu erzielen, überlasse man getrost den Kinotheatern und Tanzlokalen.
6. Orgel
Bekanntlich bestehen die sogenannten Orgelprospekte nur zum geringsten Teil aus tönenden Pfeifen und stellen somit stumme Attrappen dar, auf die man aus dekorativen Gründen nicht verzichten zu können glaubt. Diese aus der Barockzeit bis auf unsere Tage übernommenen Prospekte verbergen den eigentlichen, lebendigen Organismus der Orgel. Man hat nun vereinzelt den glücklichen Versuch gemacht, solche Orgeln ohne Prospekt sichtbar in freier Anordnung des ganzen Pfeifenwaldes aufzubauen, wobei sich sehr interessante Lösungen ergeben haben. Diese neue Art der Orgelaufstellung verdient schon deshalb grösste Beachtung, da der Verzicht auf einen Orgelprospekt ein nicht geringes Ersparnis bedeutet.
7. Bildende Kunst
Der neue Bauwille hat im Stadium der Selbstbesinnung und der Selbstbestimmung auf die Mitarbeit der Malerei und Plastik fast vollständig verzichtet. Auch die kirchliche Baukunst der letzten Jahre hat sich vorwiegend damit befassen müssen, den Kultbau und den Kultraum klar und sachlich von Grund auf neu zu entwickeln, ohne diese ersten tastenden Versuche durch Dekoration und Ornament gefährden zu wollen. Nun sind bereits übereilte Bestrebungen im Gange, auf organisatorischem Wege bildende Kunst und Baukunst zu verknüpfen und auf diese Weise einer langsamen Entwicklung vorzugreifen.
Hierzu muss gesagt werden, dass der vorläufige Verzicht auf Malerei und Plastik im Kultraum unserer Zeit nicht nur die genannten künstlerischen, sondern vor allem religiösen Beweggründe für sich hat. Weder die früher so viel beschäftigten Maler religiöser Motive, noch die expressionistischen Christusdarsteller werden berufen sein, in der sich langsam wieder ergebenden Zusammenarbeit von bildender Kunst und Baukunst eine verspätete Rolle zu spielen. Nur einer neuen Generation von Gestaltern, die sich zu einer einfachen, wahrhaftigen und selbstlosen Handwerklichkeit und Gesinnung durchzuringen strebt, wird es möglich werden, den inneren Kontakt zum Bauwillen der Gegenwart und zum religiösen Zukunftswillen zu finden. Nur unter diesen Voraussetzungen wird sich eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben können. Diese neue Begegnung des Architekten mit dem Maler setzt die grösste Verantwortung voraus. Umsomehr muss vor sogenannten »religiösen Malern«, vor der noch immer andauernden Inflation der Christusdarstellungen, vor der romantischen Farbenglut der Glasmalerei und vor dem oft verantwortungslosen Umfang dekorativer Wandgestaltung gewarnt werden. Man sollte es durchaus als ein positives religiöses Bekenntnis werten, wenn ein Maler heute davor zurückscheut, Christus darzustellen!
Rummelsberg 1951
A. Einleitung
Der Evangelische Kirchbautag, in dem Theologen und Baufachleute gemeinsam um die Lösung der Fragen bemüht sind, die sich aus der heutigen Bauaufgabe der Kirche ergeben, hat es für notwendig gehalten, gewisse Grundsätze für den Kirchbau der Gegenwart zu erarbeiten, um allen denjenigen, die mit dieser Aufgabe befaßt sind, eine Hilfe an die Hand zu geben. Er hat sich damit an eine Aufgabe gewagt, vor deren Inangriffnahme die Erfahrungen mit dem Eisenacher Regulativ von 1861 wie auch mit dem Wiesbadener Programm von 1891 und ähnlichen Versuchen warnen könnten. Nicht nur, daß etwa die Forderung des 3. Satzes des Eisenacher Regulativs, nach der sich der Kirchbau an einen der geschichtlich entwickelten christlichen Baustile anzuschließen habe, die Verirrung der neugotischen Kirchbauten zur Folge gehabt hat, erhebt sich auch die grundsätzliche Frage, ob solche Regulative auf evangelischem Boden überhaupt möglich sind und was man gegebenenfalls von ihnen erwarten darf.
Die gottesdienstliche Besinnung unserer Tage hat lang verschüttete Erkenntnisse über die Aufgabe und die Gestalt evangelischen Gottesdienstes wieder ans Licht gebracht. Dazu gehört auch die Einsicht, daß sich das Kirchengebäude und insbesondere der Kirchenraum vom Gottesdienst her bestimmen lassen müssen, der sich in ihnen vollzieht und dem sie gleichnishaft Gestalt geben sollen. Wenn aber über das Wesen des Gottesdienstes heute neue Klarheit und eine weitgehende Gemeinsamkeit der Anschauungen besteht, ist damit im Prinzip auch die Festlegung von Grundsätzen für den Kirchbau möglich geworden: von der Grundlage des Gottesdienstes aus lassen sich die gemeinsamen Auffassungen über den Kirchbau entwickeln, die den gottesdienstlichen Forderungen und Notwendigkeiten gerecht werden. Die nachstehenden Grundsätze dürfen freilich nur so verstanden werden, daß sie gewisse Grenzlinien festlegen wollen, innerhalb deren ein weiter Raum für die selbständige und verantwortliche Gestaltung des einzelnen Kirchbaues verbleibt. Sie sind als Hilfe gedacht, nicht als Gesetz.
Die evangelische Kirche ist heute vor eine Bauaufgabe gestellt, wie sie so umfassend und vielgestaltig in ihrer 400-jährigen Geschichte bisher noch nicht an sie herangetreten ist. Von der Lösung dieser Aufgabe wird das Gesicht der evangelischen Kirche wahrscheinlich auf Jahrhunderte hinaus bestimmt werden.
Durch den letzten Krieg ist eine sehr große Anzahl von Kirchen zerstört worden.
Die Umschichtung der Bevölkerung nach dem Zusammenbruch, die u.a. zu einem Anwachsen der Dörfer bis zu 200 Prozent und zu der Einweisung großer evangelischer Gruppen in bisher katholische Gebiete geführt hat, erfordert die Bereitstellung zahlreicher neuer oder zusätzlicher gottesdienstlicher Räume.
Schon bisher war zumal in vielen Städten Norddeutschlands die Zahl der Kirchen unzureichend. Die Versorgung der Gemeinden mit Gottesdienststätten hatte nicht mit dem raschen Anwachsen der Bevölkerung Schritt gehalten.
Die neuen Erkenntnisse über das Wesen und die Gliederung einer evangelischen Gemeinde zielen auf die Auflösung der Massengemeinden und die Bildung von lebendigen Gemeindekernen in Anlehnung an eine nicht allzu große Kirche hin.
Die Gegenwart zwingt daher nicht nur zu einer immer erneuten Besinnung auf die Größe der Bauaufgabe, sondern zugleich auch zu einer sorgfältigen Überprüfung dessen, was wir als das Wesen des Kirchbaues anzusehen haben.
B. Allgemeines zum gottesdienstlichen Bau und Raum
Evangelischer Gottesdienst kann grundsätzlich überall gehalten werden, in jedem Raum und auch im Freien. Aber schon aus praktischen Gründen ist für eine an einen Ort gebundene Gemeinde ein Kirchengebäude notwendig. Dieses Gebäude muß so ausgestattet sein, daß in ihm das Wort Gottes verkündigt und die Sakramente gereicht werden können. Der gottesdienstliche Bau und Raum soll sich um seines Zweckes willen klar unterscheiden von Bauten und Räumen, die profanen Aufgaben dienen. Aber zugleich wächst er über jede rationale Zweckbestimmung hinaus, da er mit seiner Gestalt gleichnishaft Zeugnis von dem geben soll, was sich in und unter der gottesdienstlich versammelten Gemeinde begibt: nämlich die Begegnung mit dem gnadenhaft in Wort und Sakrament gegenwärtigen heiligen Gott.
Vom Wesen einer evangelischen Kirche her verbietet es sich darum, daß sie in Form und Anlage primär von städtebaulichen Gesichtspunkten aus gebaut wird. In Dorf- und Stadtgebilden, deren Einwohner sich dem christlichen Glauben verpflichtet wissen, werden die städtebauliche und die kirchlich wesensgemäße Aufgabe zusammenfallen. Gleichwohl sollte das Kirchengebäude nicht mit Hochhäusern, Industrie- und Verwaltungsbauten wetteifern wollen. Dabei wird die konzentrierte Anlage ihrer mancherlei Bauten als Kirche, Gemeindehaus, Pfarrhaus, Jugend- oder Altersheim u. dgl. hilfreich sein. Es gilt, die Zahl und Größe der Kirchen mit der Menge der in einem Bezirk zusammengefaßten Gemeindeglieder in Einklang zu bringen. Auch wo zunächst nur einzelne Teile eines Bauvorhabens durchgeführt werden können, soll stets das Ganze geplant werden, damit sich für die Zukunft echte Mittelpunkte geistlichen Lebens entwickeln können.
Die Verwendung eines Gemeindesaales als Kirchenraum kann nur als vorübergehende Notmaßnahme gebilligt werden.
C. Die wesentlichen Bestandteile des gottesdienstlichen Raumes nach lutherischem Verständnis
Zur Wortverkündigung ist eine Kanzel erforderlich, die sich klar aus dem Raum herausheben muß. Sie soll in Gestalt und Material mit der gesamten Inneneinrichtung der Kirche in Einklang stehen. Auf gute Hörsamkeit und Sichtbarkeit ist besonders zu achten.[1] Außer der Kanzel kann für die Lesung der Epistel und des Evangeliums ein Lesepult Verwendung finden, das seitlich vor dem Altar aufzustellen ist.
Das Sakrament des Altars ist für den lutherischen Gottesdienst ebenso konstitutiv wie die Predigt. Darum lehnt die lutherische Kirche einen beweglichen Altar ab. Form, Masse und Werkstoff des Altars müssen seiner Bedeutung gerecht werden. Er steht in der Mittelachse des gottesdienstlichen Raumes im Angesicht der Gemeinde und sollte um mindestens zwei Stufen erhöht sein.
Der Altar besteht aus dem Unterbau (stipes) und der Platte (mensa). Wird er aus Stein ausgeführt, so ist für den Unterbau Naturstein oder Backstein (roh oder geputzt), für die aus einem Stück bestehende Platte Naturstein zu verwenden. Der Altar kann auch in massiver Holzkonstruktion erstellt werden. Geschieht das, so soll die Mensa nicht von einem schrankähnlichen Unterbau, sondern von tischlermäßig verfertigten, gut ausgebildeten Füßen, Wangen oder ähnlichem getragen sein. Die Verwendung von Kunststoff, wie z. B. Betonplatten, Eternit, Faserplatten oder Sperrholz, ist abzulehnen. In der Gestaltung des Altars muß mit besonderer Sorgfalt verfahren werden. Er muß, so einfach er sein mag, ein Stück gediegener handwerklicher Arbeit sein. Das gilt auch für alles, was zu seiner Ausstattung verwendet werden soll (Altarkreuz, Abendmahlsgeräte, Bibelpult, Paramente, Leuchter).[2] Da sich das liturgische Handeln am Altar nicht auf den Liturgen zu beschränken braucht, sondern auch der Kantor mit einem liturgischen Chor beteiligt werden kann, sollte auf jeder Seite des Altars Platz für einige Sänger vorgesehen werden.
Kanzel und Altar sind im lutherischen Gottesdienst einander gleichwertig zugeordnet. Dabei muß sowohl dem Altar als auch der Kanzel durch angemessene Gestaltung ein solches Gewicht gegeben werden, daß sie als die eigentlichen Brennpunkte des Raumes in Erscheinung treten.[3] Lutherische Gemeinden werden in der Darstellung des gekreuzigten und auferstandenen Christus im Kirchenraum einen Hinweis auf die Gegenwart des Herrn bei seiner Gemeinde sehen wollen und darum schwerlich auf eine solche Darstellung verzichten. Auch Paramente, Bildwerke, Glasfenster und Wandteppiche vermögen bei rechter Gestaltung der Verkündigung zu dienen. Zu den »schönen Gottesdiensten des Herrn« (Psalm 27, 4) gehören auch Kerzen und Blumenschmuck.
Die Bedeutung des Sakraments der Taufe findet in der Gestaltung der Taufstätte ihren Ausdruck. Die Taufe ist für die christliche Gemeinde grundlegend. Von dem Sakrament des Altars ist sie klar unterschieden durch die Einmaligkeit des Vollzugs.
Die Taufe ist im Kirchenraum nicht an einen bestimmten Platz gebunden. Soll die Taufstätte im Kirchenraum selbst liegen, so wird bei der Gestaltung Wert darauf zu legen sein, daß selbst bei einer Taufe mit nur zwei oder drei erwachsenen Begleitern des Täuflings die kleine Taufgemeinde sich nicht im weiten Kirchenschiff verliert. Möglich ist auch ein eigener Taufraum, doch ist auf seine Verbindung mit dem Kirchenraum Wert zu legen.
Die Zuordnung von Taufe und Altar, den Stätten der beiden Sakramente, ergibt keine zwingende Regel und erfordert keine bauliche Gleichwertigkeit.
Um der Entwertung der Taufe entgegenzuwirken, die sich noch vielfach in der Taufpraxis und in der lieblosen Gestaltung des Geräts zeigt, soll das Taufbecken, auch in Notkirchen, einen festen Standort haben. Wichtig ist die sachgemäße und würdige Gestaltung des Taufgeräts. Die Nachahmung alter Steine ist abzulehnen.[4] Als Material können Steine, Holz, Bronze, Eisen u. dgl. verwendet werden. Wenn auch bei dem Vollzug der Taufe mit einer Rückkehr zum Untertauchen (immersio) kaum gerechnet werden kann, so wird doch die Begiessung (infusio) im Gegensatz zu dem bisher weithin üblichen Brauch der bloßen Besprengung (aspersio) heute in steigendem Maße geübt. Sie setzt eine Größe der Schale voraus, die der Tiefe nach ein wirkliches Schöpfen des reichlich vorhandenen Wassers erlaubt und die im Umfang ein Auffangen des vom Kopf des Täuflings abfließenden Wassers ermöglicht.
Unzulänglich ist die nach Bedarf auf den Abendmahlstisch gesetzte Taufschale. Die beiden Sakramente der evangelischen Kirche sollten jedes auch seinen besonderen Ort haben.
Die Orgel hat im lutherischen Gottesdienst eine dem Altardienst korrespondierende Funktion. Vorspiel und Nachspiel, sinnvolle Begleitung des Gemeindegesangs, selbständiger Orgelchoral im Wechsel mit dem Gemeindegesang oder bei Austeilung des Hl. Abendmahls sind ihre wesentlichen Aufgaben. Daneben ist die Verwendung der Orgel für besondere kirchenmusikalische Feierstunden sehr wohl möglich und erwünscht. Immer aber sollte die Orgel und ihr Spiel in lebendiger Beziehung zur Verkündigung des Wortes Gottes stehen.
Ob die Orgel besser auf einer Empore gegenüber dem Altar oder auf einer besonderen Empore an einer Seitenwand, ob sie, vielleicht in kleinen Räumen, auch zu ebener Erde seitlich vom Altar aufgestellt werden kann, muß im einzelnen geprüft werden. Die äußere Gestaltung der Orgel muß ihrer Bedeutung für den Gottesdienst entsprechen. Ein Orgelprospekt ist im allgemeinen geboten. Er soll in seinem Aufbau dem Umfang und der Werkanordnung der Orgel entsprechen und darf nicht unter Zuhilfenahme stummer Pfeifen Register vortäuschen, die nicht vorhanden sind.
Kleinorgeln und Positive sind in jedem Fall einem Harmonium vorzuziehen. Auch der Kirchenchor dient dem Gottesdienst. Er hat seinen Platz im allgemeinen bei der Orgel. Für ihn ist genügend Raum zu schaffen. Es kann nicht Aufgabe des Kirchenraumes sein, einen Chor von Hunderten von Sängern und dazu noch ein großes Orchester aufzunehmen. Die Größe der Orgel und des Platzes bei der Orgel muß in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des gesamten Kirchenraumes stehen.
D. Die besonderen Anliegen der reformierten Kirche
Der Versammlungsraum einer »nach Gottes Wort reformierten« Gemeinde soll der schlichten Ordnung ihres Gottesdienstes entsprechen. Seine Schönheit liegt nicht im Schmuck, sondern im reinen Verhältnis der Maße, des Lichtes und der Farbe.
Der Cruzifixus und andere plastische oder gemalte Darstellungen, die die Wahrheit des Evangeliums sinnenfällig zu bezeugen suchen, sind nach dem zweiten Gebot (in der Zählung des Heidelberger Katechismus) im gottesdienstlichen Raum nicht erlaubt. Auch in der Verwendung religiöser Symbole ist Vorsicht geboten.
Die Kanzel muß von allen Plätzen der Kirche aus gut zu sehen sein. Ihren Platz hat sie am besten, aber nicht unbedingt, vor der Rückwand in der Achse des Raumes. Sie soll nicht höher angebracht werden, als es nötig ist, um den Prediger der ganzen Gemeinde sichtbar zu machen.
Der – in der Regel aus gutem Holz herzustellende – Abendmahlstisch soll in schlichten Formen gehalten werden. Die Gemeinde muß von allen Seiten unbehindert an ihn herantreten können. Darum soll er frei im Raum stehen, am besten vor der Kanzel. Da der Abendmahlstisch im Predigtgottesdienst und bei der Feier des Heiligen Abendmahls auch als Platz des Pfarrers bei den Lesungen und Gebeten gebraucht wird, empfiehlt es sich, ihn auf einer nicht mehr als zwei Stufen über die Plätze der Gemeinde erhöhten Plattform aufzustellen. Bei allen Lesungen und Gebeten steht der Pfarrer hinter dem Abendmahlstisch. Lichter und Kruzifix haben auf dem Abendmahlstisch einer reformierten Gemeinde keinen Platz. Dagegen soll nie eine genügend große Bibel fehlen, die während des Gottesdienstes offen vor der Gemeinde liegt.
Eine Trennung von Abendmahls- und Predigtkirche entspricht nicht dem genuin reformierten Verständnis des Gottesdienstes.
Die reformierte Kirche kennt grundsätzlich nur Taufen inmitten der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde. Feste Taufsteine sind nicht notwendig; die Taufschale kann auf dem Abendmahlstisch stehen. Wo feste Taufsteine vorhanden sind, sollen sie ihren Platz sichtbar vor der Gemeinde haben.
Für den Platz der Orgel läßt sich keine bindende Vorschrift geben. Sie kann oberhalb oder hinter der Kanzel aufgestellt sein. Da Orgel und Sängerchor zusammengehören, der Sängerchor aber seinen Platz tunlichst nicht im Rücken der Gemeinde haben soll, besteht kein Anlaß, die übliche Aufstellung der Orgel im Westchor beizubehalten.
Anmerkungen[1] Die Kanzel soll nicht höher angeordnet werden, als es die Hörsamkeit unbedingt erfordert. Auch wo Emporen vorhanden sind, kann sie verhältnismäßig tief stehen, wenn die Sitzreihen auf den Emporen genügend ansteigen. Die Akustik kann, wenn nötig, durch einen Schalldeckel verbessert werden. Es sollte in jedem Falle geprüft werden, ob die Kanzel nicht im Interesse einer engeren Verbindung des Predigers mit der hörenden Gemeinde amboartig gestaltet werden kann.[2] Der Altar muß mindestens 1 m hoch sein. Der Abstand von Vorderkante Altarplatte bis Vorderkante oberster Stufe muß mindestens 1 m betragen. Unzulässig ist die Benutzung des Altars für andere als gottesdienstliche Zwecke. Der Unterbau darf darum auch nicht zum Verdecken von Heizkörpern verwendet werden.[3] Unbefriedigend ist die Anbringung der Kanzel ohne jede Beziehung zum Altar etwa in der Mitte der Längswand des Kirchenschiffes. Hier klafft der Gottesdienst auseinander in zwei beziehungslos nebeneinanderstehende Teile: Liturgie und Predigt. Liturgisch unbefriedigend sind auch die künstlerisch oft sehr schönen Kanzelaltäre der Barockzeit, bei denen sich die Kanzel über dem Altar befindet. Hier tritt die Polarität von Wortverkündigung und Sakramentsfeier zu stark zurück. Ob in stärkerem Anschluß an die Tradition die Kanzel seitlich vom Altar, etwa in der Verlängerung der Altarstufen, an einer Seitenwand anzubringen ist, ob sie vor einem dann wesentlich erhöhten Altar in der Nähe der ersten Bankreihen stehen soll oder ob sie seitlich an die Altarstufen zu rücken ist, soll nicht festgelegt werden. Wenn der Altar weit genug in den Raum vorgerückt wird, erscheint auch die Benutzung der Rückwand hinter dem Altar für die Kanzel nicht ausgeschlossen.[4] Die alten großen Taufsteine entsprechen nicht mehr dem heutigen Taufvollzug. Keinesfalls aber sollten sie beseitigt werden, wo sie noch vorhanden sind. Ihre Verbindung mit der heute benutzten Taufschale ist möglich etwa durch Anfertigung eines gut geschmiedeten Trägers, der, auf die Öffnung des alten Steines aufgesetzt, die Schale trägt.
1991
1. Einleitung
Der Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages hat im Anschluß an den 20. Evangelischen Kirchbautag 1989 in Wolfenbüttel neue Grundsätze zur Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen (Wolfenbütteler Empfehlungen) herausgegeben. Er knüpft damit an eine Reihe von Kirchbauprogrammen an, deren erstes das Eisenacher Regulativ (1861) und deren letztes die Rummelsberger Grundsätze (1951) waren. Die Rummelsberger Grundsätze für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen waren im Blick auf die Zeit der großen Kirchbautätigkeit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges verfaßt worden. Damals gab es einen außerordentlichen Bedarf an Ersatzbauten für zerstörte Kirchen. Aber auch durch die Umschichtung der Bevölkerung und das Anwachsen der Städte waren viele Kirchenneubauten notwendig geworden.
Heute besteht nur in besonderen Fällen Bedarf nach einem Kirchenneubau. Die Aufgabe liegt vor allem darin, die vorhandenen Kirchenräume in der ihnen angemessenen Form für das sich wandelnde Gottesdienstverständnis der Gemeinden einzurichten. Dabei sind folgende Gesichtspunkte zu prüfen:
– Heutiger Gottesdienst kann sich, obwohl er seine Höhepunkte im Rahmen agendarischer Ordnungen findet, auch in freieren Formen vollziehen: Familiengottesdienste, Dialoggottesdienste, Jugendgottesdienste, die von den Jugendlichen selbst gestaltet werden, Abendmahlsfeiern im großen Kreis oder an Tischen sowie in anderen liturgischen Formen und Festen. Diese erweiterten Möglichkeiten sollten in Gestaltung und Einrichtung des Kirchenraumes berücksichtigt werden.
– Seit den sechziger Jahren wurden vor allem vielfältig nutzbare Gemeindezentren gebaut, um den unterschiedlichen von der Kirche übernommenen Aufgaben räumlich gerecht zu werden. Das entspricht einer Veränderung des kirchlichen Selbstverständnisses im Verhältnis von Kirche und Welt. Die Kirche hält auch weiterhin an ihrer Verantwortung für das Ganze der Gesellschaft – einschließlich der Randgruppen – fest, sucht aber nach neuen Formen.
– Mit der Öffnung zu Welt und Gesellschaft ist aufs engste die Annäherung der Konfessionen verbunden, die unter anderem zur Errichtung von ökumenischen Gemeindezentren (evangelische und katholische unter einem Dach) führen kann.
– Das Verhältnis der heutigen Menschen zur Geschichte kommt auch darin zum Ausdruck, daß Kirchen nicht nur als Orte des Gottesdienstes oder des stillen Gebetes aufgesucht werden. Als Stätten, an denen Bau-, Kunst- und Glaubensgeschichte aufs eindrucksvollste erfahren und als generationsübergreifende Kontinuität erlebt werden, ziehen sie auch kirchenferne Besucher an. Deshalb besteht über den Anspruch der feiernden Gottesdienstgemeinde und der Ortsgemeinde hinaus ein berechtigtes allgemeines Interesse an Erhaltung und Pflege.
– Besondere Fragen und Aufgaben stellen sich in historischen Räumen, in denen die architektonische Gestalt oder wertvolle feste Ausstattung den veränderten gottesdienstlichen Erfordernissen entgegenstehen, oder wo eine klein gewordene Gemeinde den Raum nicht mehr füllt.
– In historischen und neuen Gottesdiensträumen sollten Werke der Gegenwartskunst verstärkt Eingang finden.
2. Der Gottesdienstraum
Der gottesdienstliche Raum ist ein gestalteter Raum, der deutlich zu erkennen gibt, was in ihm geschieht. Er soll so beschaffen sein, daß in ihm durch Lesung, Predigt, Gebet, Musik und bildende Kunst das Wort Gottes verkündigt und gehört werden kann und die Sakramente gefeiert werden können. Durch seine gegenwärtige Gestaltung und Ausstattung soll die Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott zum Ausdruck kommen. Auch die Gestaltungsformen, die frühere Generationen hierfür gefunden haben, sind unverzichtbar: Sie zeigen, daß Kirche eine Weggemeinschaft und die Gegenwart nur eine Station ist. Der Raum soll die Gemeinde möglichst zu verschiedenen Gottesdienstformen anregen. Doch darf er durch unterschiedliche Nutzung keine gestalterischen Einbußen erleiden.
3. Planung
Veränderungen bestehender Räume oder Bau und Gestaltung neuer Räume setzen sorgfältige Planung voraus. Grundlage ist stets ein klares Programm, das die zuständigen Gemeinde- und Aufsichtsgremien formulieren. Hierbei sind die Festlegungen durch kirchliche und staatliche Ordnungen und Gesetze, z.B. auch in bezug auf Denkmalpflege, zu beachten. Gute Ergebnisse sind nur bei Heranziehen qualifizierter Fachleute für die Gebäude- und Raumgestaltung bzw. Instandsetzung (Architekt), für Konstruktion und Betriebstechnik (Ingenieur), für die künstlerische Ausgestaltung (Bildhauer, Maler, Glasmaler, Orgelbauer) und für die Restaurierung (Restaurator) zu erwarten. Die kirchlichen Bauämter sind bei allen diesen Fragen unerläßliche Begleiter der Gemeinden. Bei größeren Maßnahmen empfiehlt es sich grundsätzlich, Wettbewerbe zu veranstalten oder Gutachterverfahren durchzuführen.
4. Umgang mit vorhandenen Räumen
Überkommene Gebäude und ihre Ausstattung stellen neben beträchtlichen materiellen meist einen hohen emotionalen, geistlichen und kulturellen Wert dar. Für seine Erhaltung und ungeschmälerte Weitergabe trägt die Gemeinde die Verantwortung. Das ist mitunter eine große Herausforderung.
Bauliche Veränderungen sind erst zu vertreten, wenn der Raum nach Größe, Beschaffenheit, Funktion oder Qualität dem kirchlichen Auftrag und den Erfordernissen nicht mehr genügt und wenn gottesdienstliche Belange dadurch beeinträchtigt werden.
Mitunter lassen sich Räume aus historischen, baulichen oder wirtschaftlichen Gründen nur wenig ändern. Gemeinden sollten in solchen Fällen raumgeeignete Nutzungen suchen, die im Respekt vor den überkommenen Zeugnissen die Zusammenhänge neu ordnen.
Angesichts des sich abzeichnenden Rückgangs der Mitgliederzahlen der Kirchengemeinden und damit der Steuereinkünfte ist ein ökonomischer Umgang mit den vorhandenen Bauten erforderlich. Anstatt neue Gebäude zu errichten, sollten vorhandene, besonders zu groß oder nutzungslos gewordene, Gottesdiensträume für die Gemeindearbeit eingerichtet werden, ohne ihren eigenen Wert zu verlieren. Bauliche Änderungen sollten deshalb möglichst reversibel sein. Insbesondere für Innenstadtkirchen bieten sich oft noch viel zu wenig wahrgenommene übergemeindliche Aufgaben. Können Kirchen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht mehr gehalten oder für andere kirchliche Zwecke genutzt werden, sind sie nach sorgfältiger Prüfung einer angemessenen Zweckbestimmung zuzuführen. Ihr allgemeiner kultureller Wert fordert die Mitverantwortung der Öffentlichkeit.
5. Ausstattung
Die Ausstattung einer Kirche steht in einer bestimmten Beziehung zum Kirchenraum, für den sie geschaffen oder erworben wurde. Sie ist Teil der architektonischen Konzeption. Nicht selten wird die gebaute Raumhülle erst durch Emporen, Logen, Gestühl, Altaraufbau, Orgelprospekt, Wand- und Deckenmalerei oder Glasmalerei raumgestaltend geprägt.
Bei der Neuausstattung eines Gottesdienstraumes oder bei der Ergänzung einer vorhandenen Ausstattung sind in jedem Falle künstlerische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Beide haben zugleich mit der Erfüllung funktioneller Anforderungen in ihrer Gestaltung Bezug zum Raum zu nehmen. Ausstattung und Raum sollen zusammen die liturgischen Aufgaben der gottesdienstlichen Feier unterstützen und erweitern. Zumindest für die Neuausstattung und größere Ergänzungen vorhandener Ausstattung ist ein Architekt heranzuziehen, der entwerfend oder beratend tätig ist.
Die Standorte von Altartisch, Kanzel (Ambo), Lesepult und Taufe haben sich an den liturgischen Anforderungen einer gottesdienstlichen Feier zu orientieren. Das Zusammenwirken der Liturgen mit allen im Gottesdienst Beteiligten, bei der Taufe, der Feier des Abendmahls um den Altar und die Verkündigung mit Wort und Musik muß unter Nutzung der räumlichen Gegebenheiten ohne Probleme ermöglicht werden. Die Bestuhlung und etwa notwendige elektroakustische Hilfsmittel müssen abgestimmt auf den Raum angeboten werden. Der Altar sollte möglichst inmitten der Versammlung der Gemeinde stehen und kann transportabel sein. Die Feier des Abendmahls im Kreis um den Tisch soll möglich sein. Der Zugang für alte und behinderte Menschen zum Abendmahlstisch muß gewährleistet sein.
Ein zweiter Altar kann erforderlich werden, wenn ein Wand- bzw. Retabelaltar die Situation der circumstantes bzw. die Leitung der Feier versus populum verhindert.
Zur Ausstattung gehören auch bewegliche Sachen wie vasa sacra, Paramente, Leuchter, Bildwerke, Epitaphien, Totenschilde, Gedenkmale und Glocken. Alle diese Ausstattungsstücke, die oft einen erheblichen Kunstwert haben, dienen der Verkündigung und zeugen von der Lebendigkeit des Glaubens früherer Generationen. Die Durchführung konservatorischer Maßnahmen, zur Erhaltung der Ausstattung ist Aufgabe von Fachleuten. Doch hat die Gemeinde die Voraussetzung für die Erhaltung zu schaffen durch Inventarisierung, Sicherung gegen Diebstahl und Vandalismus und vor allem durch Sorge für ein geeignetes Raumklima.
6. Denkmalschutz und Denkmalpflege
Die Kirche lebt in besonderer Weise aus der Tradition. Deshalb hat sie stets von sich aus das Überkommene gepflegt und genutzt. Sie hat im Laufe von Jahrhunderten reiche denkmalpflegerische Erfahrungen gesammelt. Dazu gehört, daß der Spielraum für Gestaltung und Weiterentwicklung, der nötig ist, um das Überlieferte lebendig zu erhalten, in jedem Einzelfalle ermittelt werden muß: Das jeweils Mögliche ist nur zu bestimmen durch Besinnung auf die Werte des Vorhandenen, die dem Erwünschten gegenüber zu stellen sind. Hierzu ist fachliche Hilfe erforderlich.
Durch den Denkmalschutz drückt der Staat Anspruch und Mitverantwortung an der Erhaltung des Überlieferten aus, sofern es wegen seines geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Wertes Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Kultur hat. Das Zusammenwirken der Kirchengemeinde als Eigentümer, der kirchlichen Bauämter, die die Aufgaben der kirchlichen Denkmalpflege wahrnehmen, und der Denkmalämter der Länder ist durch die Denkmalschutzgesetze der Länder auf der Grundlage von Verträgen zwischen Kirche und Ländern geregelt. Dadurch ist u. a. gesichert, daß bei Entscheidungen über Denkmäler, die unmittelbar gottesdienstlichen Zwecken dienen, die kirchlichen Belange im Vordergrund stehen.
7. Neue Kirchenräume
Die architektonische Qualität von Raum und Ausstattung soll dem Anspruch des Gottesdienstes gerecht werden. Räumliche Bestimmtheit und Variabilität für verschiedene Gottesdienstformen sind sorgfältig zu bedenken. Entwurfs- und Ausführungsplanungen sind von Architekten zu fertigen. Bei größeren Maßnahmen empfiehlt es sich, grundsätzlich Wettbewerbe zu veranstalten oder Gutachterverfahren einzuleiten.
Im Einzelnen ist zu bedenken:
– Der liturgische Bereich sowie der Raum für die Aufführung von Kirchenmusik ist ausreichend groß zu bemessen.
– Auf gute Sicht- und Hörbarkeit ist besonderer Wert zu legen. Es gilt, eine ausgeglichene Balance zwischen Sprach- und Hörakustik zu finden. Beschallungsanlagen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.
– Auf die Belange von Behinderten ist besondere Rücksicht zu nehmen.
– Der Standort für die Taufe hängt von der Taufgottesdienstpraxis in der Gemeinde ab. In der Regel soll die Taufe vor der Gemeinde ihren Platz haben.
– Taufe, Altar, Kanzel, Lesepult und Gestühl sollen in die Gesamtgestaltung durch den Architekten einbezogen werden. Die Einschaltung von Künstlern zum frühestmöglichen Zeitpunkt ist geboten.
– Standort und Größe des Orgelwerkes sind bei der Gestaltung des Raumes zu berücksichtigen. Aus akustischen Gründen sind die einzelnen Orgelwerke mit einem geschlossenen Gehäuse zu umgeben. Die Prospektgestaltung gehört zur Aufgabe des Planenden.
– Der Gottesdienstraum sollte über einen ausreichend bemessenen Vorraum erschlossen werden, der als Kommunikationsbereich, für Informations- und Ausstellungszwecke und zur Erweiterung bei großen Gottesdiensten dienen kann.
– Die Sakristei soll den am Gottesdienst Mitwirkenden die ungestörte Vorbereitung und Sammlung ermöglichen, aber auch zur Aussprache für den Kirchenbesucher zugänglich sein.
– Die Zuordnung weiterer Funktionsräume wie: Küsterraum, Stuhlmagazin, Abstellraum, WC-Räume, ggf. eine Teeküche richten sich nach der Größe der Gesamtaufgabe und nach dem Bedarf der Gemeinde.
– Bei allen Baumaßnahmen sollen umweltfreundliche und dauerhafte Materialien verwendet sowie eine energiesparende Haustechnik eingesetzt werden. Durch ihre Wahl kann Einfluß auf die Beständigkeit, die Pflege und die Wirtschaftlichkeit bei der Benutzung der Räume und für die Bauunterhaltung gewonnen werden.
– Eine Mehrfachnutzung des kirchlichen Raumes sollte auf dieses Ziel hin orientiert sein. Dem Wunsch der Gemeinden nach einem vor allem gottesdienstlich genutzten Raum sollte künftig entsprochen werden.
8. Zeitgenössische Kunst
Werke der zeitgenössischen Kunst sollten einen selbstverständlichen Platz in jedem Kirchenraum haben. Auch die Prinzipalstücke (Altar, Kanzel, Taufe), ebenfalls auch Altarkruzifixe, Wand- oder Glasmalereien, Orgelprospekte, Lesepulte, Leuchter sowie die gesamte Raumausstattung sind künstlerische Gestaltungsaufgaben. Künstlerisch gestaltete Fenster, Wand- und Deckenflächen sind Elemente gottesdienstlicher Feier, der Verkündigung und der Meditation.
Hohe Anforderungen sind an die künstlerische Qualität zu stellen. Von ihrer Wirkung werden Raum und Gottesdienst wesentlich geprägt. Die Entscheidung über die Wahl des Künstlers oder der Künstlerin erfordert große Sorgfalt. Deshalb muß sich der Kirchenvorstand dabei fachkompetent beraten lassen.
1996
Die rund 500 Teilnehmer des 22. Evangelischen Kirchbautages, der vom 19.– 22. September 1996 in Magdeburg und Zerbst stattfand, erklären:
Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands verfallen trotz großer Anstrengungen vieler Menschen und Institutionen in unvorstellbarem Maße bedeutende kirchliche Kulturgüter. Hunderte von historisch wertvollen Kirchbauten, die Identifikationspunkte von Städten und Dörfern, werden in den nächsten Jahren verschwinden, wenn wir nicht alle zu ihrem Erhalt beitragen. Es liegt in der Verantwortung und in den Möglichkeiten jeder Bürgerin und jedes Bürgers dieser Republik – Christen wie Nichtchristen –, daß dies nicht geschieht. Kirchen sind Seele und Gedächtnis des Gemeinwesens.
Wir appellieren an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung, an die Bundesländer, an die Wirtschaft, an alle privaten Besitzer von Vermögenswerten, an Kirchenleitungen und Kirchengemeinden:
Rettet die Kirchengebäude in unserem Lande!
Zur Begründung vier Leitsätze:
1. Kirchengebäude sind in einer offenen Gesellschaft Orte der Öffentlichkeit. Sie prägen das Gesicht der Städte und Dörfer. Sie stehen im Brennpunkt des Lebens, an Orten der Begegnung und des Erinnerns, sind sie Orte des Gebets, der Stille und Besinnung. Sie werden von Christen wie von Nichtchristen gebraucht. Für die Erhaltung sind alle gesellschaftlichen Gruppen verantwortlich.
2. Kirchengebäude brauchen für ihre Zukunft mittel- und langfristige Konzepte der Finanzierung und Nutzung: zum Beispiel neue Finanzierungs- und Nutzungsmodelle mit Anreiz für Stiftungen, Spenden, steuerliche Entlastungen und mit Garantieverpflichtungen von Staat, Kirche und Finanzwirtschaft. Wir fordern ein eigenes staatliches Förderprogramm Kirchenbau. Für den Anspruch auf Fördermittel müssen ehrenamtliche Eigenleistungen als Sockelbeträge gelten. Zur Beratung vor Ort sind die Bauämter und Kunstdienste der Kirchen unerläßlich.
3. Das Kulturerbe Kirche ist eine gemeinsame Aufgabe der politisch, religiös, kulturell und wirtschaftlich Verantwortlichen. Unabhängig von gewachsenen historischen Nutzungs- und Eigentumsrecht sind vom Bund, Ländern, Kommunen und Kirchen wirksamere Modelle als bisher zur Erhaltung und Tradierung dieses Erbes zu entwickeln.
4. Kirchengebäude sind ein großes Potential für den christlichen Glauben. Sie wollen von mehr Menschen als bisher zu einer neuen Identifikation und zu geistlicher Motivation genutzt werden. Damit dies gelingt, sind sie soweit wie irgend möglich zu erhalten und überzeugender zu gestalten. Die Bevölkerung will dies, die Kirchen müssen auf allen ihren Ebenen den Anfang machen.
Bundestag und Bundesregierung werden aufgefordert, die steuerlichen Bedingungen für Stiftungen und Spenden für Kulturgüter endlich zu verbessern. Außerdem fordert der Evangelische Kirchbautag Kompensationen des Staates für die Einbußen an Kirchensteuern bei der Steuerreform. Arbeits- und Ausbildungsmaßnahmen für Arbeitslose, insbesondere Jugendliche, müssen in großem Maße die ehrenamtlichen Tätigkeiten beim Wiederaufbau der Kirchengebäude ergänzen.
2002
Nehmt eure Kirchen wahr!
Nach dem 24. Evangelischen Kirchbautag (31.10.–3.11.2002) in Leipzig mit dem Thema »Sehnsucht nach heiligen Räumen« wenden wir uns an die Landeskirchen und Kirchengemeinden in Deutschland:
Wir nehmen wahr, dass sich immer mehr Menschen nach »heiligen Räumen« sehnen: nach Rastplätzen für ihre Seele, nach Freiräumen für ihr Denken, nach Oasen für ihr Gebet sowie nach Feierorten für ihr Leben.
Wir erleben, dass Menschen unsere Kirchen in Situationen der Not, des Entsetzens und des Schreckens aufsuchen – ganz gleich, ob sie Kirchenmitglieder sind oder nicht.
Wir wissen, dass unsere Kirchengebäude hilfreiche Zeichen des Anderen in einer diesseitigen Welt und Wegweiser für Sinn in einer fragenden Welt sind.
Wir erfahren, dass in der sich verhärtenden Konkurrenz um Wirtschaftsräume auch die Räume unserer Städte immer enger werden, dass der öffentliche Raum zunehmend wirtschaftlichen Nutzen bringen muss und die Verdichtung der Stadträume auf Kosten der »Anderorte« und damit auch zu Lasten der Kirchen geht.
Wir erinnern daran, dass unsere Kirchengebäude »Seelen und Gedächtnis« der Dörfer und Städte sowie des Gemeinwesens sind, worin wir wurzeln. Als Gemeinden sind wir zwar Eigentümer und Nutzer unserer Kirchengebäude, diese sind aber auch unaufgebbares Kulturgut der Allgemeinheit. Deshalb ist immer wieder für eine gesamtgesellschaftliche Erbemitverantwortung zu werben und zu sensibilisieren.
Wir empfehlen, selbstbewusst und mutig die Chancen unserer sakralen Räume zu nutzen, mit diesem Pfund zu wuchern und die uns überkommenen Gebäude verlässlich zu erhalten, denn
Kirchen sind Versammlungsorte der christlichen Gemeinden:
Mit ihren Glocken sagen sie eine andere Zeit an. Durch das, was in ihnen geschieht – Gottesdienste und Andachten, Hören und Beten, Loben und Klagen – werden sie erst zu »heiligen« Räumen. Hier versichern sich Menschen ihrer religiösen Identität, hier erfahren sie Begleitung in den Schwellensituationen ihres Lebens (Taufe, Hochzeit, Trauerfeier). Hier findet der Ausgegrenzte Asyl, hier kann die Erschöpfte aufatmen – in einem offenen, zweckfreien Raum.
Kirchen sind Schatzkammern des christlichen Glaubens:
Ihre Mauern und Steine predigen, mit ihren Räumen sind sie ein Asyl für die letzten Dinge, ihre Altäre stiften Gemeinschaft, mit ihren Orgeln und Glocken loben sie Gott, mit ihren Kunstwerken legen sie Zeugnis ab und erzählen die Geschichte unserer Kultur, mit ihren Kerzen erinnern und mahnen sie, mit ihrem Schmuck danken sie für alle guten Gaben des Schöpfers. Lassen Sie uns unsere größten Schätze treu bewahren, sie bewusst wahrnehmen und ihre Botschaft vermitteln.
Kirchen sind Kraftorte:
Sie bauen an unserer Innerlichkeit. Sie erbauen uns, sie reden mit uns, sie heilen uns. Sie sind Orte des Hörens und des Sehens. Kirchräume gehören allen. Darum müssen sie geöffnet und allen Menschen zugänglich sein. Lassen Sie uns alle Anstrengungen unternehmen, dass unsere Türen offen stehen. Wir kennen die Bedenken. Aber wir meinen, dass es für jede Gemeinde Wege gibt, diese Bedenken zu überwinden. Der Wert von Kirchen, die »offen für alle« (so das Motto der Nikolaikirche Leipzig) sind, ist größer als der Schaden, der eventuell eintreten könnte.
Kirchen sind gestaltete Räume:
Ihre Ästhetik und Atmosphäre berührt uns Menschen. Die Gestaltung unserer Kirchräume darf nicht kurzweilig herrschendem Geschmack oder scheinbar unabwendbaren Erfordernissen zum Opfer fallen. Der Erhalt der ursprünglichen, von der Liturgie bestimmten Gestaltungsintention bewahrt dem Gebäude seine Sprachgestalt. Bei Fragen der Gestaltung sollte immer das Gespräch mit Architekten und Architektinnen als den »Experten des Raums« gesucht werden.
Kirchen sind Freiräume:
Das Experiment darf hier zuhause sein. Das Wagen des Neuen, das Ausprobieren des Ungewohnten, das Versuchen der Grenzgängerei ist den »heiligen Räumen« nicht fremd, sondern eigen. Wir ermutigen deshalb, dem Dialog mit der Kunst die Türen zu öffnen mit Musik, bildenden Künsten, Literatur und anderen zeitgenössischen Mischformen des künstlerischen Ausdrucks. Wir regen an, als Fragende das Gespräch aus evangelischer Perspektive mit Künstlerinnen und Künstlern zu suchen.
Wo es allerdings um die bisweilen sicher auch nötigen veränderten Nutzungen der Kirchräume geht, erinnern wir daran, dass nicht jedes Experiment nützt und es zum Schaden aller gereicht, wenn unsere Räume Gegenstand einseitiger Schlagzeilen werden.
Es ist höchste Zeit für den Aufbruch. Lassen Sie uns gemeinsam die überkommenen und die verborgenen Schätze und Chancen unserer Kirchräume neu entdecken und zur Geltung bringen!
2008
I Gesellschaften ändern sich. Gemeinden ändern sich. Wir selbst verändern uns. Kirchen werden gebaut und erhalten. An ihnen wurde und wird immer weitergebaut. Manche wurden zerstört, andere verfallen. Neue Kirchen werden gebaut. Architektur ist Transformation.
II Liturgien verändern sich. Auch Kirchbauten verändern sich. Sie sind sichtbare und wandelbare Zeichen für Gott, dessen Sinnfülle in keinem Zeichen vollständig erfasst wird. Gott können wir hörbar und spürbar erfahren. Aber wir können ihn nicht verdinglichen. Das ist der Maßstab auch für das Bauen, Umbauen und Weiterbauen von Kirchen und Kirchenräumen.
III Unsere Kirchen gehören nicht uns selbst. Wir sind nicht ihre Eigentümer. Wir sind ihre Treuhänder. Ohne ihre Geschichte haben wir keine Zukunft. Unsere Kirchen sind offen für alle Menschen. Und weil nach unserem Glauben alle Menschen zu Gott gehören und zu ihm gerufen sind, sind unsere Kirchen öffentliche Orte der Transzendenz.
IV Darum halten wir fest:
1. Kirchen sind in Jahrzehnten gebaut und über Jahrhunderte hin verändert worden. Der lange Atem und der Mut früherer Generationen können uns heute gelassener machen.
2. Die Kompetenz des Glaubens und der Kirche für Veränderungsprozesse wollen wir neu entdecken und für die anstehenden Transformationen nutzen.
3. Die Wiederentdeckung der Kirche als Kulturträgerin und die zunehmende Bedeutung der Kirchengebäude als Erinnerungsorte für die kulturelle Tradition in unserem Land eröffnen viele Möglichkeiten für die gesellschaftliche Kommunikation.
4. Kirchen sind religiöse Räume für suchende und bekennende Menschen. Kirchen sind öffentliche Räume für alle Menschen, die im Horizont unserer Kultur leben wollen.
5. Kirchen bieten Raum für soziale und kulturelle Arbeit am Ort. Sie haben eine wichtige Aufgabe für soziales Handeln in der Gesellschaft als Auftrag des Evangeliums.
6. Darum stehen Kirchengebäude nicht nur in kirchlicher, sondern auch in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Mit früheren Kirchbautagen betonen wir erneut, dass sich diese Aufgabe auch in Kooperationen und gemeinsamen Finanzierungen mit allen politisch, wirtschaftlich und kulturell Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen verwirklicht. Das gilt insbesondere für den Denkmalschutz.
7. Die unvermeidliche Konzentration auf Geld und Wirtschaftlichkeit soll mit der Suche nach kreativen Lösungen, gelingenden Kooperationen und zukunftsweisenden Experimenten einhergehen.
8. Kirchenräume gewähren vielen Menschen eine »spirituelle Heimat«. Sie bieten große Chancen, die Sinnschätze der christlichen Tradition wahrzunehmen. In ihnen erfahren Menschen zugleich Geborgenheit und Mut zum Aufbruch.
9. Die Gestaltung von Kirchen als Profilkirchen (z. B. Musik-, Kunst-, Diakonie-, Jugendkirchen ) in Ergänzung zu Gemeindekirchen ist in der Verantwortung für das Evangelium zukunftsweisend.
10. Am Bestand weiter zu bauen und neue Kirchen zu planen, ist ein Zeichen der Hoffnung.
11. Wir haben nicht zu viele Kirchen, wir haben zu wenig Ideen.
2011
Orientierung für die Region / das Dorf / den ländlichen Raum
Über Generationen haben Kirchgemeinden, haben Bürgerinnen und Bürger die 580 Dorf- und 84 Stadtkirchen in Mecklenburg erhalten. Dies ist trotz abnehmender Bevölkerungszahl und kleiner werdender Kirchgemeinden gelungen, weil man gemeinsam die Kraft dafür aufgebracht hat, weil Christen und Nicht-Christen sich dieser Aufgabe gestellt haben und weiterhin stellen.
Bewundernd und dankbar haben wir dieses große Engagement erlebt. Die Gesellschaft tut gut daran, ihre Kirchen zu erhalten. Wo Kirchen verfallen, erodieren auch Dörfer, und mit den Dörfern geht die regionale Identität für alle Menschen verloren – ob Christ oder Nicht-Christ. Deshalb muss der Erhalt der (Dorf-)kirchen als innere Mitte der Orte die Aufgabe aller sein.
1. Die gegenwärtige Situation:
– Staat und Kommunen, Kirche und Gemeinden stehen vor denselben Herausforderungen: Geburtenrückgänge, Überalterung, Finanznot, Entvölkerung des ländlichen Raums.
– Kirchbauten verkörpern gerade auf dem Land elementare Grundgedanken und -wahrheiten des christlichen Glaubens und der europäischen Kultur. Diese steingewordene Präsenz ist ein hohes Gut und muss gepflegt werden, wenn auch nicht jede Kirche eine eigene Gemeinde hat. Die Reduzierung des Angebots allein auf eine Grundversorgung ist keine zukunftsweisende Lösung. Sinnvoll erscheint vielmehr eine Differenzierung der Dorfkirchen in Themen-, Kultur-, Pilger-, Gemeinschafts-, Winter- oder Urlaubskirchen. Sinnvoll ist auch der Einbau von Gemeinderäumen.
– Für die Regionalisierung gilt: Nicht jede Kirche muss dasselbe leisten. Vielfalt bedeutet auch Reichtum. Dabei ist auf das Bedürfnis und die elementaren Interessen der Menschen nach Begleitung und Nähe zu achten.
– Vom Prinzip der Gleichbehandlung aller Dörfer ist Abstand zu nehmen. Statt »Allen das Gleiche« muss gelten »Jedes Dorf bekommt, was es braucht«.
2. Ideen für die Zukunft
– Theologisch nachdenken über den Auftrag in konkreten Situationen: Was sollen Gemeinden für ihr Dorf (ihre Dörfer), für Bewohner und Gesellschaft leisten? Den Grundsatz der formalen Solidarität und das »Gießkannenprinzip«, das weitgehend die Strukturreformen bestimmt, klären.
– Von den Bedürfnissen der Dorfbewohner ausgehen: Was wollen, was brauchen sie? Für sich selbst und das Miteinander? Was will der Kirchenvorstand? Woran fehlt es konkret?
– Gemeinschaftliche Prozesse der Mitwirkung initiieren. Auf Partizipation setzen, um gemeinsam flexible Lösungen zu erreichen.
– Intensive Förderung von Kirchbauvereinen und anderen Initiativen für den Erhalt, den Umbau und die Gestaltung von Kirchen.
– Stiftungen und Fördervereinen mit ihren z.T. vielen konfessionslosen Mitgliedern mehr Verantwortung und Zuständigkeiten für die Kirchen und das kirchliche Leben übertragen. Nachdenken über neue örtliche Leitungsstrukturen jenseits des geltenden Kirchenrechts.
– Den Gedanken vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden weiter entwickeln. Ehrenamtlichen Selbstverantwortung und Rechte einräumen. Die Ausbildung von Lektoren, Seelsorgern und diakonischen Nachbarschaftshelferinnen und deren Weiterbildung fördern.
– Kooperationen mit Kommunen, Vereinen, Initiativen, Architekten und Künstlern für konkrete Projekte des Dorfes und der Kirchengemeinde schaffen. Die gemeinsame Nutzung der Kirche mit Partnern durch Verträge sichern, um Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit zu erreichen.