Jacques Loussier: Classic
Jacques Loussier: Classic
Jacques Loussier: Classic
Telarc CR01526, 2018
Das »Wie kann man nur …« hat sich Jacques Loussier, der just im März mit 84 Jahren gestorbene Grandseigneur der Sparte »Jazz meets Classic«, von Puristen ein Leben lang anhören müssen; Eifrige haben dem immer das Totschlagargument entgegen gehalten »Lebte Bach heute, wäre er Jazzer« – womit sie zweifellos recht haben. Oder? Jacques Loussier war einer jener Ganzkörpermusiker, denen es nie um das Entweder-Oder, sondern immer um das Sowohl-Als auch ging; der jede Melodie als Spielball für eine neue nutzte und so Musik ganz durch die ihr innewohnende Lebendigkeitbegriff. Sprechen die Einen von der Wucht Bachs, die Anderen von seiner Tiefe, präsentiert ihn Loussier als schwebendes Sternschnuppentheater. Verstehen wir Bach ergriffen als das Urbild himmlischer Erlösung mit eindeutiger Beauftragung aus diesen Sphären, zieht Loussier ungerührt die Reißleine und lässt seine Mitmacher Vincent Charbonnier (Bass) und André Arpino (Schlagwerk) von derselben, so dass man unversehens vom Offbeat durchgeschüttelt wird und sich in einem von Energie und Inspiration schweißheiß aufgeladenen Jazzkeller wiederfindet, wo selbst der sonst so coole Barkeeper nicht stillstehen kann. Was für ein Spieltrieb. Wie viel Lust und noch mehr Laune. Zugegeben: Manchmal, wenn Loussier der eigenen stilistischen Virtuosität gar zu ausgiebig den Hof macht und beim Ragtime und in den Salons der 1920er einkehrt, möchte man ihn zum schnellen Weiterziehen ermuntern und ihm sein Spielzeug entziehen. Aber er weiß auch als selbstverliebter Tastenakrobat immer, was er tut – und wenn er mit einer weiteren der insgesamt fünf CDs dieser Classic-Vital-Box über die exzellent durchstreiften Jahreszeiten Vivaldis solistisch zu den nebelig verhangenen Nocturnes Chopins und wieder im Trio – hier wie bei den Goldbergvariationen mit Benoit Dunoyer de Segonzac am Bass – schließlich zu Erik Satie aufbricht, dann gerät selbst Loussiers ohnehin bravourös nuanciertes Spiel noch einmal in eine neue Form der Tastenträumerei und eine impressionistisch-surrealistische Verzückung, die Satie meditativ lebendig in einen neuen Raum neben Gabriel Fauré stellt. Hier scheiden sich womöglich erneut die Geister, Loussier-Fan aber sind entzückt – aus den »Gymnopédien« und »Gnossiennes« hat er elf gewählt, hat ihre Motive gedreht und gewendet, in die Weite und ins Wasser geworfen und mitunter einer ans Ohr huschenden Litanei gleich als Codewort der Nacht auf die innere Hörwand gesprayt. Mit allem hat Loussier genieartig gemacht, was er wollte und stellte den Interpreten selbstbewusst in den Mittelpunkt. Das ist Jazz. Und wer das zu schätzen vermag, hat hier ein erinnerndes Klangkaleidoskop an einen wunderbaren großen Könner – inspiriert und leichtfüßig, zupackend und flüchtig.
Klaus-Martin Bresgott