Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Werkstatt und Laden an der nordöstlichen Peripherie des Herzens von Frankfurt am Main

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Im Alltag sieht man Charlotte Gehrig und Marc Hilgenfeld mit dem goldenen Fließ auf dem Schoß meist über originellen Broschen, an hintersinnig-geistreichen Ring-Formen oder Ketten aus ungewöhnlichen Materialien sitzen. Werkstatt und Laden an der nordöstlichen Peripherie des Herzens von Frankfurt am Main zwischen Universität und Zoo sind nicht nur eine Fundgrube für Fertiges und elegante Kleinodien, die die Liebe und die Schönheit pflegen, sondern gleichermaßen ein Ort des Brütens, des Ausprobierens, von ge- und manchmal auch misslingenden Versuchen auf der Suche nach der besten Form. Charlotte Gehrig, die Designerin für Schmuck und Gerät, Marc Hilgenfeld, der Gold- und Silberschmiedemeister, tauchen gemeinsam in die uralte Historie der Schmuck-Kunst und des liturgischen Geräts ein, fragen sich und die Geschichte nach ausgespielten Möglichkeiten und geben altem Sinn eine neue Form.

Der Beruf des Silberschmiedes ist ein sehr alter. Mit dem Begriff des Schmiedes assoziiert man eher Amboss und Hammer, also Arbeit unter großer Anstrengung. Darüber hinaus heißt es landläufig, die Silberschmiede seien die Zimmerleute gegenüber den Goldschmieden, die eher mit den sehr viel feiner arbeitenden Schreinern verglichen werden. Sagen Sie uns, wie Sie Ihren Beruf beschreiben und was Sie tun?

Die meiste Zeit waren diese Berufe ein einziger. Vielleicht in der Gotik, spätestens im Barock und allerspätestens, als jedes und alles einen Namen brauchte, haben die Bezeichnungen auch Berufe getrennt. Der Mangel an Lehrlingen für den Silberschmied führte zur Wiedervereinigung von Gold- und Silberschmied in einem Beruf, das geht wohl immer mal hin und her. Wir haben beide das Silberschmieden gelernt, die Eine mehr Silberschmiedin, als Goldschmiedin, der Andere weniger Silberschmied als Goldschmied. Die fachlichen Anforderungen sind bei genauem Hinsehen sehr unterschiedlich. Dieselben Gesetze wirken sich im Kleinen anders aus als im Großen. Vielleicht vergleichbar mit dem Kochen für eine Person im Gegensatz zum Kochen für 20 Personen. Bei uns ist es so: Wir bekommen meist einen Anruf, der einer Empfehlung folgt und machen vor Ort einen Termin mit den »Entscheidern« aus. Wir versuchen sehr genau hinzuhören, was, wie, wo und mit welcher Geschichte entstehen soll oder schon da ist und erweitert werden soll. Dann folgt die Entwurfsphase, die meist Zeichnungen, manchmal auch schon im ersten Durchgang Modelle hervorbringt. Zu den Entwürfen finden wir jeder für sich, aber wir besprechen uns, kritisieren gemeinsam und suchen gemeinsam aus, welche Entwürfe wir vorlegen wollen. Es kommt nicht selten vor, dass wir unterschiedliche Entwürfe bevorzugen, das kommt wiederum den Auftraggebern zugute, die so mehrere Entwürfe vorgelegt bekommen. Und anschließend bauen wir die Stücke - das tun wir immer gemeinsam.

Ist es in der Vielfalt dessen, was Sie tun, logisch und zwangsläufig, dass man auch zu sakralem Interieur kommt? Oder braucht man dafür eine besondere Lust oder Aufmerksamkeit?

Es ist eher logisch als zwangsläufig. Wir sind beide aus protestantischen Familien, die keinerlei Berührungsangst mit der Kirche und dem Glauben haben. Sakrales Gerät verlangt vielleicht eine inhaltliche Auseinandersetzung, die wir immer wieder eingehen. Ob die Auseinandersetzung aber zwingend ist, darüber lässt sich streiten. Für uns ist diese Auseinandersetzung sehr interessant und sie hat uns in völlig neue Denkwelten gebracht. Nachdem wir einige Male sakrales Gerät für verschiedene Kirchen gemacht haben, hat man uns irgendwann die Gestaltung von Prinzipalstücken und später auch von Räumen zugetraut. Es war also ein Hineinwachsen in die Aufgabe. Durch unsere Ausbildungen sind wir von Anfang an geübt, künstlerisch wie handwerklich, außergewöhnliche Stücke zu erdenken und herstellen zu können. Auch deshalb ist es vielleicht logisch, dass wir zu einer der Königsklassen der Einzelanfertigung gefunden haben.

Wie haben Sie sich inhaltlich dem Thema kirchlicher Auftragskunst genähert? Beschäftigen Sie sich mit der Tradition? Oder fangen Sie aus sich heraus neu an? Stellen Sie Verbindungen her – und wenn: Welche?

Unser erster Auftrag war, zwei Kelche herzustellen, die ausdrücklich modern sein sollten. Wir haben eine Lösung gefunden, die, trotz des ungewohnten Aussehens, einige traditionelle Merkmale hat. Wir denken, dass die Tradition ein guter Richtungsweiser ist, der nicht das Ziel festlegt. Es gibt für uns also trotz unserer Verbundenheit mit der Tradition viel Freiheit.

Inwiefern sind Ihre Arbeiten symbolisch?

Das können wir nicht beantworten. Das kann vielleicht die Zukunft? Da wir bisher ohne direkte Bezüge oder mit gegenständlicher Darstellung gearbeitet haben, findet die Symbolik bei unseren Arbeiten vielleicht durch die Formgebung ihren Ausdruck.

Wie problematisch ist es, Nutzbarkeit und Praktikabilität mit der künstlerischen Idee zu verbinden?

Die Nutzbarkeit ist für sakrales Gerät die unüberwindbare Grenze der Kreativität. Je nach Auftraggebern ist der Raum bis zu dieser Grenze kleiner oder größer. Das Fehlen jeder Vorschrift für Gestalt oder Material des sakralen Gerätes in der protestantischen Kirche – außer einer unkonkreten Beschreibung der Eigenschaften im »Eisenacher Regulativ von 1861« – führt zu hoher Freiheit, die die Silberschmiede eigentlich hätten. Dennoch blieb die Formensprache vor allem der Kelche streng am katholischen Kelch orientiert, mindestens bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist meist sehr schwer, Menschen beim Verlassen der strengen Tradition »mitzunehmen«. Da spielt sicher auch die Befürchtung eine Rolle, von anderen Konfessionenn nicht ernst genommen zu werden, wenn man keinen »richtigen« Kelch zum Abendmahl hat. In dieser Freiheit steckt aber die Möglichkeit, eine oder viele neue Formensprachen zu finden, die die Würde des Anlasses verkörpern. Vor allem heute, da jeder Fußballpokal und sonstige Pokale sich genau dieser Würde bedienen, um das Besondere dieses Sieges zu zeigen.

Wie autonom können Sie in Ihren Auftragsarbeiten sein? Wie viele Absprachen sind möglich? Wie viele sind nötig? Welche Auftraggeber sind Ihnen lieber: die mit starker eigener Vorstellung – oder solche, die Ihnen das freie Spiel gewähren? Gibt es Ideen, die Sie unbedingt einmal verwirklichen wollen?

Wie gesagt, wir hören möglichst genau hin, wenn die Wünsche, Bedingungen und Ansprüche an die neuen Gegenstände formuliert werden. Bestimmte dieser Voraussetzungen sind meist unüberwindbar. Manche, die wir vielleicht als allzu starke Einschränkungen sehen, können wir besprechen und argumentativ entkräften. Wenn wir es schaffen, ein Stück zu erdenken, zu zeichnen und herzustellen, das fast allen gefällt, sind sogar die Zweifler dazu bereit, ihre Bedingungen zu vergessen. Im Prozess der Vorstellung der Entwürfe und der Diskussion darüber werden die Beteiligten zu Fachleuten. Sie lernen zu »sehen«, zu verstehen, was wir suchen und tauchen tief in die Gestaltungsfragen ein. Es ist meistens ein langer und manchmal etwas anstrengender Weg – »… das sieht ja aus wie ne Kaffeemaschine vom Alesi!« kann erst auf Hessisch richtig genossen werden, aber auf diese Weise entsteht etwas, das über die Auseinandersetzung zu einem Teil der Kirche und der sie belebenden Menschen wird. Auf beiden Seiten wird dazugelernt, ärgert man sich manchmal vielleicht sogar, lacht zusammen und findet – bis jetzt fast immer – ein »Lieblingsstück«. Sehr genaue Vorstellungen der Auftraggeber haben ja zur Folge, dass unsere Kreativität stark eingeschränkt wird. Dann sind wir vermutlich nicht die richtigen für die Lösung. Klar gibt es Ideen, die wir gerne mal ausführen würden - für ganz bestimmte Kirchen - die aber leider nichts Neues brauchen oder wollen. Auch da hoffen wir auf die Zukunft.

Das Gespräch führte Klaus-Martin Bresgott.

Charlotte Gehrig, geboren 1969 in Berlin 1994 Zeichenakademie Hanau, Ausbildung zur Silberschmiedegesellin, 1998 Fachhochschule Pforzheim, Diplom zur Designerin für Schmuck und Gerät, bei Professor J. Dahm und Professor R. Bott, 1999 Gründung der Familie Hilgenfeld-Gehrig und gemeinsame Selbständigkeit mit Marc Hilgenfeld in Frankfurt am Main

Marc Hilgenfeld, geboren 1964 in Royan, Frankreich 1993 Zeichenakademie Hanau, Ausbildung zum Goldschmiedegesellen, 1998 Goldschmiedeschule mit Uhrm. Schule Pforzheim, Abschluss zum Gold- und Silberschmiedemeister, 1999 Gründung der Familie Hilgenfeld-Gehrig und gemeinsame Selbständigkeit mit Charlotte Gehrig in Frankfurt am Main

Werksverzeichnis (Auswahl) – 1993 Zwei Patenen für die Evangelische Kirche Dicker Busch, Rüsselsheim am Main – 2006 Amtskreuz für den Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – 2007 Zwei Kelche, Patene für das Zentrum Verkündigung, Markuszentrum, Frankfurt am Main – 2009 Zwei Kelche, Kanne, Patene, Pyxis für die Evangelische Kirche Oestrich-Winkel; zwei Kelche, zwei Patenen, Pyxis für den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt – 2010 Ehrennadeln für die Kirchenverwaltung der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt – 2011 Altartisch für die Evangelische Kirche St. Johann, Rheinhessen; zwei Kelche für die Evangelische Nazarethkirche, Frankfurt am Main; zwei Kelche, Kanne, Patene, zwei Kerzenleuchter, Bibelablage und Taufbecken für die Evangelische Kirche Hochborn, Alzey – 2013 Zwei Altarleuchter, Altarkreuz, Bibelablage, Ambo, Osterleuchter und Liedtafel für die Martinskirche, Darmstadt – 2014 Drei Kelche, zwei Patenen für die Evangelische Johanniskirche, Hofheim am Taunus – 2015 Kerzenleuchter, zwei Stühle, zwei Tische, drei Hocker für die Evangelisch-Lutherische Kirche Dautphe, Marburg; Altarkreuz, zwei Altarleuchter, Altarvase, Osterleuchter und sechzig Einzelkelche für die Evangelische Kirche Burgbracht, Wetterau; vier Patenen für die Ephipaniaskirche, Frankfurt am Main – 2016 36 Einzelkelche für die Evangelische Kreuzkirche, Frankfurt am Main; Altarkreuz für die Evangelische Marienkirche, Frankfurt am Main; Kerzenleuchter, zwei Stühle, zwei Tische, drei Hocker für den Andachtsraum der Martinskirche, Darmstadt

Hilgenfeld – Schmuck & Gerät Eckenheimer Landstraße 42, 60318 Frankfurt

Internet: www.hilgenfeld.biz

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede0

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede1

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede2

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede3

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede4

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede5

Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig – Gold- und Silberschmiede